Bernhard Sommer a3bau
Bernhard Sommer, Vizepräsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland über unfaire Verträge
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» Die Asymmetrie ist der entscheidende Punkt «

Verträge zwischen Auftraggeber und Planer sollten dafür da sein, auch im Konfliktfall miteinander klarzukommen. In jüngster Zeit mehren sich jedoch Verträge, die auf ein asymmetrisches Machtverhältnis aufbauen, weil Architekturbüros juristisch mitunter nicht so hochgerüstet sind wie größere, etablierte Auftraggeber, sagt Bernhard Sommer, Vizepräsident der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Dagegen müssen sich die Planer wehren, die Kammer möchte sie dabei unterstützen.

a3BAU: Der geschlossene Rücktritt der Planerschaft* beim Projekt Donaumarina Tower hat eine Diskussion über faire Verträge und entsprechende Honorierung angefacht. Was sind aus Ihrer Sicht die gravierenden Missstände?
Bernhard Sommer: Meines Erachtens ist die Asymmetrie der entscheidende Punkt. Ein Vertrag ist immer dazu da, dass sich Partner gegeneinander absichern. Das sollte eine gute Basis sein, um auch im Konfliktfall miteinander klar zu kommen. Natürlich hat ein Auftraggeber beschränkte Ressourcen zur Umsetzung eines Projektes und der Vertrag soll auch dazu dienen, eine Leistung zu definieren und was passiert, wenn die Leistung oder umgekehrt die Zahlung ausfällt. Unsere Probleme entstehen durch ein asymmetrisches Machtverhältnis, weil die Architekturbüros juristisch nicht so hochgerüstet sind wie größere, etablierte Auftrag­geber. Wobei ich nicht weiß, ob diese Entwicklung wünschenswert wäre.

*) Beim Wettbewerb Donaumarina-Tower, ausgelobt von der Bauträger Austria Immobilien GmbH, ist das gesamte Teilnehmerfeld zurückgetreten: Artec, Coop Himmelb(l)au, Feichtinger, Franz und Sue mit Schenker Salvi Weber, Henke Schreieck, Hoffman Janz, Jabornegg & Palffy, Pichler Traupmann, Querkraft, Sauerbruch Hutton.

Dieses Machtverhältnis wird seitens der Auftraggeber verstärkt ausgenützt, meinen Sie?
Dass ein Ungleichgewicht in den finanziellen Mitteln gegeben ist, liegt auf der Hand. Und es wurde immer verführerischer, dieses Ungleichgewicht auch zu nutzen. Das, würde ich sagen, ist die Situation. Hinzu kommt, dass wir es im Zuge der Internationalisierung von Projekten auch mit Anlegerstrategien zu tun haben. Als Planer weiß man nicht unbedingt, wer am Ende des Projektes sein Gegenüber ist. Früher war der Vertrag ein Papier, das zwei Personen unterschrieben haben, die sich schätzten oder sich zumindest gekannt haben, und den man im aller-allerletzten Moment vielleicht mal aus der Lade geholt hat, wenn wirklich gar nichts mehr funktioniert hat. Diese Kultur ist nicht mehr gegeben, und zwar nicht unbedingt wegen der handelnden Personen, sondern weil z.B. ein Projekt während der Planung bereits verkauft wird und damit den Eigentümer wechselt.

Sie haben in einer Pressekonferenz gesagt, die Verträge beim Donaumarina Tower seien nicht die Spitze des Eisbergs, sondern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Kann man da von einem System sprechen, dass sich mittler­weile etabliert hat? Wie viele Verträge sind nach Ihrer Schätzung hinterfragungswürdig? Reden wir da von fünf oder von 20 Prozent?
Es ist eher zur Kultur geworden, würde ich sagen. Oder eher zur Unkultur. Ich fürchte, die Zahl liegt viel höher. Und was das Werknutzungsrecht betrifft, ist vielleicht sogar fast jeder Vertrag betroffen.Es geht um keine oder unzureichende Abgeltung der Werknutzungsrechte, die ins Eigentum des Auftraggebers übergehen. Das ist, fürchte ich, eine sehr verbreitete Praxis, die jetzt vor dem Hintergrund sich wandelnder wirtschaftlicher Zusammenhänge geändert werden muss. Irgendwie muss sich der Architekt oder Ingenieur absichern, dass sein Einfall, seine Idee, seine Lösung für ein komplexes Raumprogramm an einem bestimmten Ort, die er entwickelt, niemand anderer einfach übernehmen kann.

Wie kann man das verhindern?
Irgendwann kommt der Punkt, wo eine rechtliche Aktion interessant wird. Wenn sich da ein Kollege findet, der betroffen ist und Schaden nimmt, könnte man einmal so einen Vertrag juristisch durchfechten. Wir Planer hören von Juristen mitunter: Den Vertrag können Sie ruhig unterschreiben, das ist sowieso sittenwidrig und anfechtbar. Dass Verträge wirklich sittenwidrig sind, das würden wir gerne einmal nachweisen. Da würden wir als Kammer helfen und unterstützen, denn so einen Prozess muss man als Planer auch durchstehen.

Manche Auslober kooperieren ja mit der Kammer. Was sind die Qualitätskriterien eines solchen Verfahrens?
Dazu muss man sagen: Es ist nicht immer ein Wettbewerb, weil ein privater Auslober vielleicht keinen offenen Wettbewerb, sondern ein wettbewerbsähnliches Verfahren abhält. Aber wir schauen darauf, dass es ein Verfahren ist, in dem die teilnehmenden Planerbüros ähnliche Bedingungen vorfinden, wie wir sie beim öffentlichen Auftraggeber anstzen. Jedenfalls hat man eine faire Behandlung zu erwarten. Ich muss dazu sagen, das wettbewerbsähnliche Verfahren – wie das beim Donaumarina Tower der Fall war – ist sicher nicht unser Lieblingsverfahren, sondern die offenen Wettbewerbe, weil diese von vornherein die transparentesten und fairsten sind. Aber beim privaten Auftraggeber ist es mitunter legitim, auch so ein Verfahren zu wählen. Nach der wettbewerbsähnlichen Phase gibt es ebenfalls eine Jury, die so aufgebaut ist, dass man davon ausgehen kann, dass die Arbeiten fair beurteilt werden. Schließlich sollte auch das Preisgeld in Relation zur Leistung stehen, das heißt zur abzugebenden Arbeit. Zur tatsächlichen Leistung ist das Preisgeld sowieso nie proportional, muss man leider sagen, aber es sollte wenigstens ein wertschätzendes Verhältnis sein. Sehr wichtig ist für uns auch die Offenheit. Wir kooperieren nicht Verfahren, wo nur zwei, drei Büros mitmachen können.

In dieser Auslobungsphase ist aber noch nicht absehbar, was danach für ein Vertrag daherkommt?
Das ist unterschiedlich. Manche legen den Vertrag schon vorher bei oder die Vertragsbestandteile – in dem Fall waren es drei Teile. Der Vertrag über die Planungsleistungen wurden der Kammer nicht übermittelt, lag aber den Teilnehmern vor. Üblicherweise kommt es nach dem Wettbewerbsgewinn zu einem Verhandlungsverfahren mit dem Sieger. Bisher durfte man sich darauf verlassen, dass natürlich der Sieger dann verhandeln kann, weil er ja in einer besseren Position ist, da sein Projekt ja von der Jury als das beste Projekt festgestellt wurde. Beim Donaumarina Tower wurden die Antworten des AG auf Fragen der Teilnehmern offenbar so verstanden, dass über diese Vertragsbestandteile nicht verhandelt wird. Aber einen Vertrag, der beispielsweise eine unentgeltliche Umplanung – so lange bis die Kosten passen – vorsieht, kann ja niemand unterschreiben, das ist unseriös.

Dass der Wettbewerbssieger im Anschluss beauftragt wird, ist das einer der unumstößlichen Eckpfeiler von fairen Verfahren?
Die Realisierungsabsicht ist einer dieser zentralen Punkte. Sonst macht man einen Ideenwettbewerb, wo diese  Absichtserklärung nicht gegeben ist. Bei städtebaulichen Aufgaben könnte das sinnvoll sein, wo man sich eine Idee holt, die ­möglicherweise von jemand anderem verwirklicht wird. Aber dann muss das Preisgeld in einer anderen Dimension liegen, weil damit ja der Auftrag quasi beendet ist. Die Absichtserklärung ist übrigens, wie wir leider anhand einer Klage feststellen mussten, nur insofern belastbar, als sich tatsächlich für den Auftraggeber im Laufe des Verfahrens nichts Wesentliches ändert. Also wenn sich beispielsweise herausstellt, der Auftraggeber braucht das Raumprogramm nicht, nützt dem Planer die Absichts­erklärung nichts. Aber sie ist trotzdem ein Eckpfeiler jeder Auslobung.

Ich könnte mir vorstellen, dass man sich als Planer schwer tut, Verträge zu bekämpfen. Schließlich handelt es sich ja oft um wiederkehrende Auftraggeber und man befindet sich in einer Art Abhängigkeitsverhältnis …
Abhängigkeit würde ich das nicht nennen wollen, weil jedes Büro hoffentlich mehr als nur einen Auftraggeber hat. Aber die Asymmetrie ist gegeben, umso mehr, je attraktiver ein Auftraggeber ist. Bei der BAI (Anm.: Bauträger Austria Immobilien GmbH) ist es ja nicht so, dass wir davon ausgehen, dass sie nicht unser Partner sein will. Das waren – wie soll ich sagen – juristische Fantasien, freundlich ausgedrückt.

Wie geht es bei diesem Verfahren jetzt eigentlich weiter?
Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, wir sind in Kontakt. Ob die Weiterentwicklung des Projekts in einer Kooperation mit der Kammer sein wird, glaube ich im Moment nicht. Es wird davon abhängen, wie sehr sie auf unsere Argumente eingehen.

Wenn ich es richtig verstehe, möchten Sie Auftraggeber von vornherein ins Boot holen, beispielsweise mit Musterverträgen.
Das haben Sie richtig aus den Diskussionen der vergangenen Wochen herausgehört. Es gibt bereits Mustervereinbarungen mit bestimmten öffentlichen Auftraggebern. Das Ziel wäre, dass mehr Auftraggeber damit arbeiten und diese Standardvereinbarungen nur mehr an das jeweilige Projekt anpassen. Teilweise ist es z. B.erstaunlich, welche Leistungs­modelle gezimmert werden. Es wäre sicher auch im Sinne der Auftraggeber vernünftig, mehr auf die Expertise der Kammer zurückzugreifen. Aber Sie haben recht, es ist schwierig von den einzelnen Kolleginnen und Kollegen zu verlangen, gegen ihre hoffentlich auch zukünftigen Auftraggeber juristisch vorzugehen. Dazu wollen wir auch nicht aufrufen. Wir sind ohnehin der Meinung, dass das Geld besser beim Ziviltechniker als bei den Juristen aufgehoben ist und man nur in Extremfällen gegen unfaire Auslobungen juristisch vorgeht. Lieber wäre es uns, wir würden schon vorab informiert und viel früher involviert werden, wenn es Probleme gibt. Wir sind als Kammer wiederholt erfolgreich gegen unfaire Auslobungen vorgegangen. Gegen unfaire Vertragsbestimmungen ist es schwieriger, weil die Verträge ja privatrechtlicher Natur sind. Da können wir als Kammer in dieser Form nicht aktiv werden.

Der Auftraggeber könnte auch verbieten, dass ein Planer mit dem Vertrag an die Öffentlichkeit geht …
Ja, diese Verträge sind meistens vertraulich.

Sie haben jüngst auch gesagt, Sie könnten sich eine Plattform vorstellen, wo man unfaire Vertragsbestimmungen meldet. Geht das denn überhaupt rechtlich?
Anonymisiert wäre es, glaube ich, möglich. Es wäre auch hilfreich, weil wir dann auch wissen, wie es tatsächlich um die Fairness bei den Verträgen in unserer Branche bestellt ist. Ihre Frage eingangs, wie viele Problemfälle es gibt, kann ich Ihnen so gar nicht beantworten, weil das derzeit nirgends registriert wird.

Gibt es schon Signale aufseiten der Auftraggeber, Ihren Vorschlag mit den Musterverträgen aufzugreifen – weil Sie vorhin die institutionellen Investoren angesprochen haben …
Konkrete Signale gibt es noch nicht, aber wir merken in Gesprächen schon ein erhöhtes Bewusstsein.

Und mit den öffentlichen Auftraggebern? Die Kommunen sind ja auch wichtige Auftraggeber für die Planer …
Da besteht dringend Handlungsbedarf. Mit dem Land Niederösterreich beispielsweise haben wir eine Musterauslobung und auch einen Musterwerkvertrag für Planer- und Konsulentenleistungen, wenn der Auftrag von der Landesbaudirektion kommt. Auch wenn nicht alle Dienststellen folgen, ist das ein sehr positives Beispiel. Aber mit der Gemeinde Wien wäre es natürlich auch schön, so etwas zusammenzubringen. Auch mit der BIG gibt es seitens der Bundeskammer Gespräche für einen Mustervertrag. Es ist nicht so, dass es da keine Initiativen gibt, aber es stimmt, dass wir in der Vergangenheit unseren Fokus viel stärker auf der Auslobung hatten und den Vertrag als etwas zu Verhandelndes zwischen Auftraggeber und Planer gesehen haben. Da werden wir eine höhere Aufmerksamkeit entwickeln müssen. Das ist aber leider auch eine Frage unserer Ressourcen.

Stellt sich die Frage, ob sich die Auftraggeber dann auf eine Kooperation mit der Kammer einlassen?
Ja, wo es ohnehin schon schwierig ist, Kooperationen zu haben. Es gibt vieles, was man da berücksichtigen muss. Jedenfalls müssen wir sicherlich auch auf der Ebene von Verträgen stärker initiativ werden. Diese Erkenntnis ist quasi das Positive an der Geschichte, an dem Fall Donaumarina Tower.

Kommen wir zur Solidarität: In den Diskussionen im Netz stand immer wieder der Vorwurf im Raum: Irgendein Planer übernimmt den Auftrag auch unter unfairen Bedingungen. Wie ist es mit der Solidarität unter den Planern bestellt?
Da muss ich jetzt schon die Kollegen in Schutz nehmen. Im gegenständlichen Fall hat diese Gruppe von Architektinnen und Architekten die Öffentlichkeit gesucht. Aber meistens kommt es eben nicht zum Vertragsabschluss und der Auftraggeber geht zum nächsten Planer.  Der Planer, der unterschreibt, weiß vielleicht gar nicht, was vorher passiert ist. Das ist, fürchte ich, eher der Normalfall. Solidarität kann erst dann funktionieren, wenn andere Kollegen davon erfahren. Die Frage ist auch: Verzichtet man auf ein Vertragsverhältnis, das, wenn alles gut geht, einen guten Umsatz beschert? Das ist ein Riesendilemma für die ganze Branche. Also unsolidarisch würde ich das nicht nennen. Problematischer sehe ich die mangelnde Solidarität bei der Honorarfrage. Da ist ein viel höheres Bewusstsein gefordert, dass Kollegen und Kolleginnen nicht soweit runter gehen mit den Honoraren, denn das müsste eigentlich jeder richtig einschätzen können, da muss man kein Jurist sein.

Preisdumping bei Planerhonoraren …?
Das sollte man sich schon überlegen. Wenn ich einen Auftrag annehme und ich weiß im Vorhinein, den kann ich nur leisten, wenn ich querfinanziere, dann ist das eigentlich schon an der Grenze des Anständigen. Jedenfalls müssen wir hier mehr Solidarität schaffen, das ist die einzige Chance, gegen diese asymmetrischen Verhältnisse vorzugehen. Aber ich würde nicht sagen, dass die Architekten per se eine weniger solidarische Gruppe wären als andere.

Dass dieser Fall – also die Verträge beim Donaumarina Tower – an die Oberfläche gekommen sind, könnte das die Trendwende sein, sodass die Planer sagen: Ok, es nützt doch etwas. Gehen wir mehr in die Öffentlichkeit mit unserem Problem …
Das war das Ziel der Pressekonferenz und ist es auch von diesem Interview. Das ist korrekt, ja. Natürlich ist das ein Wendepunkt, bei   »
den betroffenen Kolleginnen und Kollegen handelte es sich um etablierte Büros, die bedächtig handeln und sich überlegt haben, dass sie ihre Teams auch finanzieren müssen.

Sie wollen damit ausdrücken, dass der Rücktritt vom Verfahren nicht leichtfertig passiert ist …?
Das war sicher keine leichtfertige Entscheidung. Das war sicher eine Entscheidung, die geprägt war von Verantwortungsbewusstsein. Und das, glaube ich, macht schon Eindruck. Und daher war es uns auch wichtig, den Fall bekannt zu machen, dem Gegenüber zu zeigen, dass man dieses asymmetrische Verhältnis nicht beliebig überdehnen kann. Die Planerschaft hat damit gezeigt, so können wir nicht mehr anbieten, diesen Vertrag können wir nicht mehr unterschreiben, weil das unseriös wäre. Dabei handelt es sich um juristische Fantasien, die auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen blühen.