Münzen aufgestapelt, kleine Pflänzchen wachsen raus
Leistbares Wohnen muss umweltfreundliches Wohnen sein
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Neubau falsches Signal: nur umweltfreundliches Wohnen ist leistbares Wohnen

„Stärker auf Neubauten und somit auf Versiegelung zu setzen, um die Bauwirtschaft anzukurbeln, wäre als würden Ärztinnen und Ärzte eine weitere Pandemie fordern, um mehr Patientinnen und Patienten behandeln zu können. Das aktuelle Paket bedeutet aber 780 Millionen Euro für die Pandemie und 220 Millionen Euro für die Lösung des Problems“, zeigt sich Präsident DI Daniel Fügenschuh von der Kammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker besorgt.

Prinzipiell begrüßen die Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker ein Baukonjunkturpaket, wie es von der Bundesregierung vorgelegt wurde, jedoch: „Das Verhältnis Neubau zu Sanierung ist kritisch zu sehen. Diese Abgrenzung wäre vielleicht auch nicht notwendig, wenn die Schaffung hochwertigen Wohnraums gefördert wird und die Fördermittel an die Umweltauswirkungen, ermittelt über eine Lebenszyklusanalyse, geknüpft werden. Damit würde dem Sanieren und Bauen im Bestand meist automatisch der Vorzug gegeben werden“, fordert Bernhard Sommer, Präsident der Länderkammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Neubau fördern ist prinzipiell gut, aber es sollte sichergestellt werden, dass dafür kein neues Bauland gewidmet wird. Denn es gibt bereits jetzt einen Überhang an gewidmetem Bauland. Beispielsweise sollten Brachflächen im vorhandenen Siedlungsraum genutzt werden. Auch das Ziel der Anhebung der Sanierungsrate auf 3% wird durch die ungleiche Aufteilung der Förderung nicht erreicht werden können.

Nur umweltfreundliches Wohnen ist leistbares Wohnen

Wir müssen ganzheitlich betrachten, was wir mit leistbarem Wohnbau meinen. Leistbar ist Wohnen nur, wenn es umweltfreundlich ist. Denn: Wer billig baut, zahlt langfristig drauf! Wir müssen also auch Ausgaben für Reparaturen im Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten, genauso wie die Umweltschäden, Baustoffe und Ressourcen, die wir im Endeffekt bezahlen müssen.

Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker sind es gewohnt, langfristig und ganzheitlich zu planen und bieten in ihrem Positionspapier zu Klima, Boden und Gesellschaft Lösungen an. Wenn wir Neubau fördern, verbrauchen wir weiterhin zu viel Boden wie bisher. Wir müssen leistbaren Wohnraum schaffen, und gleichzeitig das Klima mitdenken.

Innovative Wohnformen und -konzepte können den Mangel an leistbarem Wohnraum verringern. Dafür braucht es vereinfachte Verfahren, Ausweisung von Gebieten in der Raumplanung und prozessbasierte und objektbasierte Förderungen für die Umsetzung.

Mögliche Leerstandsabgabe wichtiges Signal

Die vorgeschlagene Leerstandsabgabe ist ein Teil der Lösung. „Leerstand darf nicht rentabel sein. Wir begrüßen daher ausdrücklich die Möglichkeit, diese nunmehr flächendeckend in Österreich umzusetzen“, zeigt sich Bernhard Sommer erfreut.

Denn sonst wird wertvoller Bestand nicht verwendet und anderswo Boden verbraucht. Daher sind Maßnahmen zur Leerstandsvermeidung sinnvoll. Um statt der Gießkanne zielgerichtete Maßnahmen zu entwickeln, muss es zuerst ein bundesweites Leerstandsmonitoring geben. Auf dieser Basis können informierte Entscheidungen getroffen werden. Das verpflichtende Leerstandmonitoring ist eine Forderung des jüngst präsentierten Positionspapiers der Bundeskammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker.

Nachhaltige Maßnahmen für die Bauwirtschaft

Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer und Bau-Gewerkschafter Josef Muchitsch haben kürzlich einen Eigenheimbonus gefordert. Erklärtes Ziel: die Bauwirtschaft anzukurbeln.

„Planerinnen und Planer sind ein wichtiger Teil der Bauwirtschaft. Architektinnen und Architekten und Zivilingenieurinnen und Zivilingenieure sehen aber eine Förderung des Einfamilienhauses als zu kurz gedacht. Wir müssen Verantwortung für die Zukunft tragen und daher Nachhaltigkeit in den Fokus der Bauwirtschaft stellen“, zeigt sich Architekt Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker besorgt.

Ein Steigern der österreichweiten Sanierungsrate durch (noch) bessere, zielgerichtetere Sanierungs-Boni, Nachnutzungskonzepte von bracher Gewerbefläche, verpflichtende Wettbewerbe für die öffentliche Hand und generell Qualitäts-Wettbewerbe, die leistbare Wohnräume schaffen und nachhaltige Baustellenkonzepte, die das Klima schonen. Das ist das Gebot der Stunde. „In die qualitätsvolle Innenentwicklung von Ortschaften zu investieren, würde beide Ziele verknüpfen: Die Bauwirtschaft anzukurbeln und leistbaren Wohnraum zu schaffen“, betont Präsident Fügenschuh.

Bodeninanspruchnahme – sei es in Österreich, in Europa oder auch global betrachtet – wird überall hinterfragt – und das zu Recht! EU-Vorgaben sehen bis 2050 einen Netto-Null-Bodenverbrauch vor, denn gigantische 11,3 Hektar – das sind 16 Fußballfelder – werden in Österreich pro Tag (!) beansprucht, so die Zahlen des Umweltbundesamtes.

„Einfamilienhäuser, die vorrangig in der Peripherie auf die grüne Wiese gestellt werden und die Ortskerne zu Geisterstädten durch Zersiedelung mutieren lassen, weil man außerhalb des Orts-Zentrums lieber die übliche Einkaufstempel-Prärie frei Haus mitliefert, sind da leider kontraproduktiv“, zeigt sich Fügenschuh besorgt.

Die Infrastrukturkosten, die durch die Zersiedelung entstehen, sind volkswirtschaftlich gesehen nicht mehr leistbar. Dieses Geld fehlt am Ende bei wichtigen Projekten, wie Bildungsbauten, Kinderbetreuung oder sozialem Wohnbau.

Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker sind freiberuflich tätige, staatlich befugte und beeidete Expertinnen und Experten in den jeweiligen Fachgebieten einer technischen, naturwissenschaftlichen oder montanistischen Studienrichtung.

Positionspapier Klima-Boden-Gesellschaft