BauKarussel: Im Rückbau steckt der Neubau
Fachkundiges Personal ist für den Erfolg des Rückbaus unverzichtbar. Kaum jemand weiß das besser als Architekt Thomas Romm: „Oft ist es so, dass unmittelbar nach einer Vergabe ein pönalisierter Termin über einem Abbruchunternehmen schwebt. Bewusst legen die meisten Bauherren aus Kostengründen den tatsächlichen Rückbau an den Neubau an. So wird von einem Generalunternehmen die Baustelle zum nächsten weitergereicht.“ Deshalb sollte ein versierter Rückbauer vorher aktiv sein, denn die Wertschöpfung in den Baumaterialien ist auch angesichts der Lieferkettenproblematik, Engpässen in der Ressourcenbeschaffung und einer sich aufbauschenden Inflation das Gebot der Stunde. Klarerweise ist die Kreislaufwirtschaft ökologisch verbindlich, um die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Romm hat, gemeinsam mit Matthias Neitsch von RepaNet und Markus Meissner vom Ökologie-Institut, BauKarussell gegründet. BauKarussell ist einer der ersten österreichischen Anbieter für den verwertungsorientierten Rückbau mit besonderem Fokus auf Wiederverwendung (Re-Use) für großvolumige Objekte.
6-Stufen-Plan zum verwertungsorientierten Rückbau
„Versuchen sie einmal auf einer Baustelle mit drei verschiedenen Trockenbauern, den ordnungsgemäßen Abfalltrennung zu orchestrieren“, lässt Romm tief in die Tücken des Alltags einer geplagten Baustelle blicken. „Die Bauarbeiter werfen seit Jahr und Tag den Gipsverschnitt mit dem Verschnitt der Mineralwolle und die Metallschiene in eine Mulde. Dann haben sie vier Mulden nebeneinander, die alle gemischten Abfall beinhalten. Natürlich gibt es eine Trennverordnung, aber in der Praxis kämpfen wir oft mit diesem Szenario beim Neubau. Lösen kann man das so, indem die Mixmulde in die Sortieranlage geschickt wird. Dieses Problem haben wir im Rückbau besser im Griff als im Neubau.“ Ein Zeit- und Ressourcenaufwand, der sich bei einer klugen Umsetzung des Rückbau-Konzeptes vermeiden ließe.
BauKarussell hat eine sechs Punkte umfassende Strategie formuliert, die eben gerade für die Gewinnung der wertvollen Buntmetalle wie für die Beseitigung problematischer Stoffe sorgt. Nach dem Erfassen des Rückbauobjekts ist eine Ausschreibung der Schad- und Störstofferkundung nötig. „Der übliche Störstoff in der mineralischen Aufbereitung ist für gewöhnlich der Holzanteil“, erläutert Romm. „In der mineralischen Fraktion ist der Holzanteil der Qualitätsbestimmer. Ich muss das extra betonen, Holz ist natürlich ein ausgezeichnet verwertbarer Baustoff. Aber für die gewünschte Güteklasse des Recyclats muss ich Sortenreinheit anstreben.“
Es sind drei Säulen, auf welchen der Erfolg des Rückbaus ruht: Die Gewinnung der Wertstoffe durch sortenreines Trennen wie etwa Buntmetalle, die einen beträchtlichen Mehrwert bedeuten. Die Wiederverwendung von Bauteilen, das heißt zum Beispiel der Re-Use-Anteil im B2B-Bereich sowie der vorbereitete Rückbau, also das Entfrachten des Gebäudes von Stör- und Schadstoffen, um damit den rechtskonformen Rohbau zu erreichen. Dann erst darf der eigentliche Abbruch beginnen. Bei BauKarussell ist eine weitere Besonderheit zu erwähnen. Es handelt sich um Social Urban Mining, das heißt um Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft, die einen Arbeitsmarktfaktor einbeziehen.
Social Urban Mining
Dafür spielen die lokalen Partner von BauKarussell eine Rolle. Sozialökonomische Betriebe haben hier nicht den gleichen Kosten- und Zeitdruck und können kleinteilige Arbeitsschritte besser bewältigen. Dass hier die Stadt Wien und bei anderen Initiativen andere Kommunen unterstützen ist im Sinne sozialer Stadtentwicklung. „Die Kernidee von BauKarussell ist der Tausch von Wertstofferlösen gegen die Leistung des Entfrachtens, also das Freimachen von Störstoffen und darin liegt auch der Beschäftigungstreiber“, betont Romm. Wer einmal eine Wand von innen sieht oder Bauteile unter die Lupe nimmt, weiß das: Rohstoffe wie Aluminium oder Kupfer können nur durch gewissenhafte und sachverständige Sortierung wiedergewonnen werden.
Schadstoffe stellen zudem ein Gesundheitsrisiko dar. Asbest ist in verschiedenen Klassen in praktisch allen vor 1990 errichteten Gebäuden vorhanden, teilweise in Fliesenklebern. „Es gibt Verbindungen, wo wir selbst staunen, dass zwar ein Belag selbst nicht toxisch ist, aber in Anteilen gemessen und durch die Verklebung bedingt Grenzwerte erreicht werden“, weiß Romm. Es ist auch nicht mit dem Asbestverbot allein getan. In jeder Bauepoche gibt es unterschiedliche Schadstoffe. „Es gibt zwar mittlerweile ein Herstellungsverbot von kurzfaserigen Mineralwollen in Österreich, aber de facto noch kein Verbot des Inverkehrsetzens, weshalb auch teilweise 2020 errichtete Gebäude mit diesen Stoffen ausgestattet sind“, schildert Romm eine Herausforderung. Künstliche Mineralfasern wie Glas-, Stein- oder Schlackenwolle, Textilglasfasern oder polykristalline Fasern spielen im Bau eine zentrale Rolle. Mit den HP-Kriterien sind Gefahren definiert. Die kurzfaserigen Mineralwollen erfüllen das HP7-Kriterium, sie sind lungengängig und karzinogen. „Die künstlichen Mineralfasern kann man als das neue Asbest bezeichnen“, fast Romm eine knifflige Aufgabenstellung beim Identifizieren und Entfrachten von Schadstoffen zusammen. „Das Baujahr gibt im Übrigen keinen ausreichenden Indikator über die Art der involvierten Schadstoffe. Sie müssen bedenken, Gebäude sind vielfach umgebaut, saniert oder erweitert.“
Ressourcen in der Schleife lassen
Sind die Schad- und Störstoffe erkundet, braucht es ein Rückbau- und Wertschöpfungskonzept. Dieses dient der Ausschreibung eines verwertungsorientierten Rückbaus, das sind die Schritte drei und vier des 6-Stufen-Plans. Danach kommt die Rückbaubegleitung und finalisiert wird mit den abbruchvorbereitenden Rückbauarbeiten. Die Verwertung des Rückbaus führt zu Wertstoffen. Immerhin mehr als zehn Millionen Tonnen mineralische Bau- und Abbruchabfälle entstehen jährlich in Österreich. Gleichzeitig weiß man, dass die Bauwirtschaft einen wesentlichen Teil am Ressourcenaufkommen hat – bis zu 70 Prozent sollen es sein, insbesondere in den Zentren bauaktiver Schwellenländer und immens wachsender Megapolen ist das Bauen deutlich ressourcenintensiver als die ebenfalls gewaltigen Treiber Mobilität oder Ernährung.
Alle heroisch formulierten Ziele bezüglich des Einsparens von Ressourcen drohen verfehlt zu werden, wenn man nicht gleichzeitig an die Ertüchtigung des Bestands denkt, an Verdichtungen, Sanierungen und an Re-Use. Dafür gibt es etwa den Bauteilkatalog, der bei BauKarussell in Anlehnung des deutschen Vorbildes erstellt wurde. Klarerweise ist die 1:1-Wiederverwertung von Bauteilen die beste Option im Sinne des Kreislaufgedankens. Dafür braucht es Börsen und Kommunikationsschnittstellen. „Wir arbeiten unisono mit BIM-Modellen der Gebäude, in denen wir tätig sind, so können wir anderen Planern die Information geben, die hilfreich sind. Das ist meiner Erfahrung nach noch effizienter als Elemente per Bauteilkatalog anzubieten“, erörtert Romm.
Die Lagerung von ausgebauten Teilen und die Logistik binden natürlich wieder Ressourcen in Form von Energie und Raum. Vielleicht führt auch der Mangel bestimmter Rohstoffe oder Produkte dazu, dass sich Bauherren mehr beim Altbestand als beim Baumarkt umsehen, wo sie die Materialien für ihr nächstes Bauprojekt erstehen können? In großen Mengen stellen etwa Vollholzparkettböden eine sinnvolle Re-Use-Option dar. „Da kann nur jeder gewinnen“, empfiehlt Romm. „Der Parket wird geschliffen, neu verfugt und lackiert. Bei Altholz ist der Nachhaltigkeitsgedanken am stärksten erfüllt.“ Bei entsprechend bekannten Objekten wie etwa Sportstadien oder Konzerthäusern kann man sicherlich auch mit Auktionen dafür sorgen, dass die Innenausstattung neue Nutzer findet. Jüngst war das beim Dusika-Stadion in Wien der Fall, wo etwa die designaffinen Stühle versteigert wurden. Dieses Projekt wurde von BauKarussell betreut und hat sich mit einem besonders hohen Re-Use-Anteil bewährt. Verständlicherweise bieten Industriebauten weniger Potenzial für diese gegenständliche Wiederverwendung, aber die in der Regel großen Kubaturen bedeuten viel Material. Man muss natürlich wissen, wofür man dieses einsetzt. Putz enthält zum Teil auch Gips. Wenn ich den Betonabbruch komplett im Straßenbau einsetzen möchte, muss ich den Gips vorher entfernen, denn dieser beginnt bei Wasserkontakt zu quellen. Das Resultat wären aufgebrochene Straßen beim ersten massiven Gewitter.
Open Mine Days
Bevor die BIG für die Medizinische Universität Wien auf dem Areal des ehemaligen Wien Energie-Zentrums in Wien Alsergrund den neuen MedUni Campus Mariannengasse errichtet, konnte BauKarussell 140.000 Kilogramm Material aus den bestehenden Gebäuden gewinnen und verwerten. Beeindruckend und beispielgebend ist die Menge wiederverwendbarer Bauteile und Gegenstände, die der Rückbau dieses Gebäudes bewirkt hat: In Summe 60.400 Kilogramm – von Schwerlastregalen über Treppenhandläufe bis zu Vintage-Uhren und Paternosterkabinen – wurden über den Bauteilkatalog vermittelt und erfüllen in neuen Projekten ihren ressourcenschonenden Zweck.
Das jüngste Projekt von BauKarussel betrifft das Wiener Sophienspital. Hier entsteht bis Ende 2024 ein Stadtquartier mit insgesamt 180 Wohnungen sowie eine Infrastruktur an Bildungs- und Kultureinrichtungen. Im Rahmen der Ende März erstmals stattfindenden Open Mine Days 2022 wurden die Wertschöpfungspotenziale durch den Rückbau analysiert. Bis Ende Februar sind insgesamt 4.100 Kilogramm Baumaterial des aufbereiteten Baus in die Wiederverwendung gelangt. Die Kooperation mit Künstlern hat dem Ende dieses Spitals noch einmal eine neue Öffentlichkeit beschert. Durch visuelle Interventionen schafft die Kunst am Rückbau auch eine Sichtbarkeit von Gebäuden und einen Dialog am Ende ihres Lebenszyklus und verstärkt zudem die Wahrnehmung von Social Urban Mining.
Auch ein Kreislauf hat einen Anfang
Angesichts der Tatsache, dass die Bauwirtschaft in Österreich etwa 30 Millionen Tonnen an Aushüben aller Art pro Jahr verursacht, weiß man, dass man hier ansetzen muss, um die dabei entstehenden Mengen sinnvoll zu nutzen. „Wir machen einen Fehler, wenn wir nicht darauf achten, dass jede Baustelle kreislauffähig sein muss“, plädiert Romm für eine grundsätzliche Gewichtung der Kreislaufidee. Für die Verankerung dieser wäre es beim Bauen erstrebenswert nicht nur ein Bestbieterprinzip für Ausschreibungen zu haben, sondern neben dem Energieausweis auch einen Materialpass, der die Beschaffenheit eines Gebäudes und der verbauten Fläche von Anfang an dokumentiert. „Früher oder später wird der Materialpass so selbstverständlich sein wie der Energiepass“, prophezeit Romm. „Es besteht schließlich ein Mehrwert. Wenn wir Gebäude sowieso digital planen, dann können wir sie auch mit einem digitalen Materialpass ausstatten. Dieser zeigt mir auch, was vom Gebäude wie demontabel ist und damit für die Kreislaufwirtschaft von Nutzen ist.“