Auftragsvergabe: Klassisch oder mit neuen Vertragsmodellen?
Die Anwendung neuer Vertragsmodelle setzt voraus, dass die Bauschaffenden, allen voran Bauherren, einen Schalter im Kopf umlegen. Wie bei jedem Paradigmenwechsel muss der Leidensdruck so hoch werden, dass der Weg für Neues frei wird. Viele der Beteiligten fürchten sich noch vor dem Sprung ins kalte Wasser. Die Bauherren haben Angst, dass sie bei neuen Vertragsmodellen höhere Risiken tragen müssen. Die Planer haben Angst vor dem Verlust ihrer Selbstständigkeit. Am wenigsten Angst haben die Ausführenden, sind aber bei der Wahl des Vertragsmodells ohnehin selten die Hauptakteure. Angst zu überwinden ist immer ein schwieriges Unterfangen. Bauherren und Planer sollten nicht übersehen, dass sie bei allen neuen Vertragsmodellen durch das spezielle Vergütungsmodell am gemeinsamen Erfolg beteiligt sind.
Alle kooperativen Vertragsmodelle unterscheiden sich vom klassischen Modell durch die frühzeitige Einbindung der ausführenden Unternehmen in die Projektplanung. Das klassische Projekt läuft in zwei Phasen ab. In der ersten Phase wird die Planung des Projektes ausgeschrieben. Ist die Planung im Idealfall abgeschlossen, werden in einer zweiten Phase die Bauleistungen ausgeschrieben. Dadurch ist es für die Einbringung des technischen Know-hows der ausführenden Unternehmen schon zu spät. Viele gescheiterte Großprojekte beweisen, dass fix und fertige Planungen von den ausführenden Unternehmen nicht umgesetzt werden können. Ihre vorzeitige Einbeziehung hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem frühen Projektstadium zu rechtzeitigen Umplanungen geführt.
Der Vorteil für die Bauherren gegenüber dem klassischen Modell ist ein Vieraugenprinzip in die „andere Richtung“. Im klassischen Modell kontrolliert der Ingenieur die richtige Umsetzung der Planung, bei den neuen Vertragsmodellen kontrollieren die ausführenden Unternehmen den Planer, und das in einem sehr frühen Stadium. Dies ist auch unter dem Aspekt der Konfliktvermeidung ein großer Vorteil für den Bauherrn, weil die fachliche Auseinandersetzung (im Sinne einer technischen Diskussion) vor Baubeginn stattfindet, also in der Regel bevor es noch zu einem Schaden gekommen ist. Die Abstimmung von Planern und Bauschaffenden wird „vorverlagert“, ohne dass noch ein Schaden entstanden ist.
Auch die Gestaltung der Entgeltsvereinbarung unterscheidet sich deutlich vom gewohnten klassischen Modell. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind mannigfaltig. Bei Allianz-Verträgen etwa besteht das Vergütungssystem aus drei Stufen. Mit der ersten werden alle tatsächlich anfallenden Kosten nach einem „Open Book“-Prinzip erstattet. Die zweite beinhaltet die Vergütung eines vereinbarten Betrages für allgemeine Geschäftsgemeinkosten und Gewinn. Die dritte Stufe sieht ein Zusatzhonorar für außergewöhnliche Leistungen und ein Pönale für Minderleistungen vor.
Eine zentrale Rolle spielt die Diskussion über die Trennung von Planung und Ausführung. Während die Ziviltechniker die fachliche Unabhängigkeit verteidigen, weil die Trennung helfe Fehler zu vermeiden und der Qualitätssicherung sowie dem Schutz des Bauherrn diene, führen namhafte Bauunternehmer ins Treffen, dass Planen und Bauen untrennbar miteinander verbunden sei. Durch die Trennung werde es den Bauunternehmen nahezu unmöglich gemacht, ihre Kernkompetenz rechtzeitig und im Sinne des Bauherrn einzubringen. Sie verweisen auch darauf, dass die Trennung von Planung und Bau der Grund sei, warum Großprojekte katastrophal scheitern.
Am Markt ist zu beobachten, dass die Anzahl der TU-Verträge (Totalunternehmerverträge) zunimmt. Sollte der Trend anhalten, wäre dies ein erster Schritt weg vom klassischen Vertragsmodell in Richtung partnerschaftlicher Kooperationen. Die Standesvertretung der Ziviltechniker lehnt auch Totalunternehmerverträge ab, weil diese, vereinfacht gesagt, für die Aufhebung des Prinzips der Trennung von Planung und Ausführung stehen. Anders wird dies von der Bauindustrie gesehen. Karl-Heinz Strauss, CEO der Porr AG, hat in einem Interview mit a3BAU Mitte 2019 die Vorzüge dieser Vertragsform in Kombination mit dem „Early Contractor Involvement“ hervorgehobenen.
Im Zuge der Diskussion über neue Vertragsmodelle taucht immer wieder das Argument auf, dass das Vergaberecht ein Hindernis darstellt. Es mag schon sein, dass da und dort Änderungen wünschenswert wären. Namhafte Vergaberechtsexperten sind jedoch der Ansicht, dass schon die derzeitige Gesetzeslage einen tauglichen Rahmen bietet. Das gleiche gilt im Übrigen auch für zivilrechtliche Regelungen, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit einen sehr weiten Spielraum für Innovation bietet. Damit schließt sich der Kreis: Gefragt sind mutige Bauherren. Einige wenige sind angeblich bereits gesichtet worden. Für einen Trend sind das aber noch zu wenige.
Dr. Georg Karasek ist Mitbegründer der Kanzlei KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte in Wien und spezialisiert auf Baurecht, Immobilienrecht, Architektenrecht sowie die Vertretung vor Gerichten und Schiedsgerichten.
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