Mag. Martin Schiefer
Vergaberechtsexperte Mag. Martin Schiefer im Interview mit a3BAU
© Nik Pichler

„Das Vergaberecht muss als Belohnungs-Tool verstanden werden“

Im Interview beleuchtet Vergaberechtsexperte Martin Schiefer, dass allein CO2-neutrales Bauen nicht ausreicht, um echte Nachhaltigkeit im Gebäudesektor zu erreichen. Ein zentraler Ansatzpunkt ist die Schaffung von sogenannten „Green Leases“, bei denen Unternehmen durch klimabewusstes Handeln Vorteile erhalten.

Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, wie CO2-neutral gebaut wird, wird uns das als Gesellschaft nicht weiterhelfen. Es muss möglich sein, in Mietverträge einzugreifen, um Green leases – also Verträge, wo Unternehmen profitieren, sofern sie klimafit agieren – umsetzen zu können. Die bestehende Mietrechtsmaterie umzukrempeln und ein Umdenken im Vergaberecht werden entscheidend sein, um Gebäude nachhaltig zu bauen und zu betreiben, so Vergaberechtsexperte Martin Schiefer. Sein Ansatz: Vergaberecht als Belohnungs-Tool der öffentlichen Hand einsetzen.

a3BAU: Der Bau- und Immobiliensektor spielt eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele. Dekarbonisierung ist klar das Ziel. Wie kann man in der Auftragsvergabe die Weichen dafür stellen?

Martin Schiefer: Wir kennen die Zahlen und wissen, dass der Bausektor eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der Klimaziele und CO2-Neutralität spielt. Dabei müssen wir jedoch klar differenzieren: Einerseits geht es um den Neubau, andererseits um den Bestand. Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, wie wir CO2-neutral bauen, dann wird uns das als Gesellschaft nicht weiterhelfen. Der Fokus muss daher dringend auf dem Bestand liegen. Attraktive Modelle sind nötig, um bestehende Gebäude so zu adaptieren, dass sie klimafit und für die Bewohner:innen ansprechend sind. Hier spielt das Recht eine sehr große Rolle. Es geht vor allem darum, neue Modelle für Mietverträge zu finden. Es muss Möglichkeiten geben, beispielsweise Passivhäuser mit ‚Green Leases‘ umzusetzen – Mietverträge, die Anreize schaffen, sich klimafreundlich zu verhalten. Gleichzeitig müssen wir Eingriffe in den Bestand ermöglichen, um notwendige Anpassungen vornehmen zu können. Ein weiterer entscheidender Punkt, den wir auch bei den Österreichischen Bautagen diskutieren werden, ist die Kostenfrage. Sanierungen dürfen nicht teurer oder weniger attraktiv sein als Neubauten. Hier brauchen wir klare wirtschaftliche Anreize und Lösungen.

Sehr oft wird daher auf der grünen Wiese gebaut – wie kann man gegensteuern?

Wir müssen umdenken. Nehmen wir das klassische Beispiel eines Kindergartens oder Feuerwehrhauses: Oft wird einfach geschaut, wo eine Liegenschaft zur Verfügung steht, und dann möglichst kostengünstig neu gebaut. Aber wir brauchen eine lebenszyklusorientierte Herangehensweise. Ich glaube, dass die Bürgermeister:innen in Zukunft anders denken müssen, denn wir haben Klima-Klagen, die uns ins Haus stehen. Ein aktueller Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zeigt das deutlich: Ein Niederösterreicher mit Multiple Sklerose klagt, dass sich sein Zustand durch die Hitze verschlechtert und der Staat Österreich nichts dagegen unternimmt, obwohl er dafür verantwortlich ist.

Bestehen Chancen, dass derartige Klima-Klagen recht bekommen?

Im Fall eines Schweizer Klima-Klägers hat das Land bereits den Prozess beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verloren. Der österreichische Fall wird jetzt vorgereiht. Bislang besteht die Meinung, dass Klimaschutz kein einklagbares Recht ist – doch die Entwicklung zeigt, dass sich die öffentliche Hand intensiv damit auseinandersetzen muss, welches Erbe ihre Bauprojekte den kommenden Generationen hinterlassen.

Sie haben vorhin gesagt: Wir müssen anders denken – worauf haben Sie sich da bezogen?

Wir stehen vor der Herausforderung, die Gebäudesanierungsrichtlinie für öffentliche Gebäude umzusetzen. Themen wie Kreislaufwirtschaft und neue Bauordnungen rücken zunehmend in den Fokus – besonders in Wien wird die Kreislaufwirtschaft stark priorisiert. Wir müssen unsere Projekte daher neu denken. Das Thema „Wir reißen ein altes Gebäude ab und bauen an dieser Stelle ein neues“ wird so nicht mehr funktionieren. Die Frage wird vielmehr lauten: Können wir nicht stattdessen den Bestand adaptieren? Hinzu kommen Herausforderungen bei der Investorensuche. Es ist ein Unterschied, ob ein Investor nach seinen eigenen Vorstellungen bauen kann oder ob er überlegen muss, wie er den Bestand so modernisiert, dass er zugleich eine attraktive Rendite erzielt.

Sie haben die Verantwortung der öffentlichen Hand angesprochen. Wie kann sie hier die Weichen stellen?

Bürgermeister:innen müssen abwägen, ob sie wertvollen Baugrund für „nicht gewinnbringende Aktivitäten“ nutzen wollen. Es wäre gescheit, auf wertvollem Bauland – ich sage immer – lebbares Wohnen zu ermöglichen. Denn dabei geht es längst nicht mehr nur um leistbaren Wohnraum, sondern darum, Wohnungen zu schaffen, in denen man bei Hitze und Kälte gut leben kann und die sich effizient betreiben lassen – auch mit Unterstützung der Gemeinnützigen und einer soliden Nutzung, die Rendite erwirtschaftet. Kindergärten und ähnliche Einrichtungen könnte man durch neue Instrumente des Raumordnungsvertrages im Altbestand unterbringen, damit vielleicht auch wieder das Ortsbild beleben, die Menschen in die Orts­kerne zurückholen und generell ein besseres Immobilien­management bewirken.

Gibt es dafür nicht sogenannte „städtebauliche Verträge“?

Die neuen Raumordnungsverträge basieren auf diesem Ansatz, und es gibt mittlerweile auch die entsprechende gesetzliche Grundlage. Viele Bürgermeister:innen wissen jedoch noch nicht, dass sie diese Instrumente nutzen und damit zusätzlichen Mehrwert schaffen können. Wir empfehlen dringend, dass sich Bürgermeister.innen intensiv damit auseinandersetzen, wie sie durch gezielte Auftragsvergabe Lenkungseffekte in Richtung Klimaneutralität erzielen können.

Sie haben viele Stichwörter geliefert – Eingriff ins Mietrecht zum Beispiel. Die Änderung des MRG ist eine Never-ending Story, an der bislang jede Regierung gescheitert ist. Welche Regierung brauchen wir dafür?

Eine handlungsfähige, die gemeinsam an einem Strang zieht. Es wird irgendwann die Regierung der klugen Köpfe brauchen, um diese Monster-Aufgaben zu schultern. Weitere fünf Jahre werden wir uns nicht leisten können, in denen wir nur verwalten, aber nicht gestalten. Wir müssen ins Gestalten kommen. Ganz klar.  »

Anderes Stichwort, das ich herausgehört habe: Benefitsfür Vermieter, dass sie im Gebäudebestand mehr tun – was schwebt Ihnen da vor?

Wir haben ein Modell, das sehr gut funktioniert – das sind Energiegemeinschaften, die wie Schwammerln auf einem frisch beregneten Waldboden aus der Erde sprießen. Daran sieht man, dass die Bevölkerung – jeder einzelne – voll motiviert ist, seinen Beitrag zu leisten. Nur muss diese Transformation im Sinne einer Blue Economy funktionieren, also im Sinne von Anreizsystemen. Von einem Bestrafungsdenken halte ich nichts. Wir müssen die Leute dafür belohnen, wenn sie Ressourcen einsparen. Die Technologien gibt es dafür. Es zeigt sich auch, dass Immobilien mit Green Leases sich besser vermieten und verkaufen lassen als klassische „graue“ Mietverträge – selbst wenn diese günstiger sind. Wenn jeder einzelne das Gefühl hat, dass sich seine Anstrengung lohnt, dann ist er eher bereit, diese Bewegung zu unterstützen.

Das heißt, wir müssen ein gutesStück den Mieter auch in die Pflicht nehmen?

Wir können den Mieter insofern in die Pflicht nehmen, wenn er nachher mehr im Börserl hat. Die wirtschaftliche Situation wird nicht besser, und da wird jeder froh sein, wenn er mit relativ einfachem Aufwand Geld spart und für andere Dinge zur Verfügung hat. Davon bin ich fest überzeugt.

Aber ohne Änderungen im Mietrecht wird es nicht gehen?

Man kann neue Ansätze verfolgen, man kann die Leute motivieren, man kann sie auf freiwilliger Basis einbinden, aber ich glaube, es braucht eine ganz klare Vorgabe, dass auch die Legislative dahintersteht und sagt: Lieber Eigentümer und auch liebe Mieter, ihr habt die Möglichkeit, Verbesserungen vorzunehmen und solltet oder müsst es auch tun.

Stichwort Förderungen: Haben wir die falschen Systeme oder kommen die Förderungen zu spät?

Sie sitzen bei einem Vergaberechtler, der eigentlich vom Geschäftsmodell lebt und nicht von Förderungen. Die öffentliche Hand hat allein im Beschaffungswesen ungefähr 70 Milliarden zur Verfügung, die man gescheit gestalten kann. Ich finde daher, dass diese „Förderungen über alles“ ersetzt werden sollten durch Bonussysteme aus Vergabeverfahren heraus. Wir sollten Unternehmen belohnen, die sich jetzt schon Gedanken machen und innovative technische Lösungen anbieten. Diese sollten wir unterstützen, damit sie durch Aufträge Geld erwirtschaften und nicht durch Förderungen.

Das heißt Förderungen sind nur ein Teil der Lösung …

Es wird immer Bereiche geben, wo Förderungen notwendig sind, aber ein funktionierendes System muss ohne Förderungen auskommen.

Zweckbindung der Wohnbauförderung – ebenfalls ein Thema, das wir bei den Österreichischen Bautagen beleuchten werden – eine wichtige Forderung an die zukünftige Regierung?

Wenn wir im Wohnbau etwas bewirken wollen und wenn es uns darum geht, Wohnen leistbar und wie gesagt lebbar zu machen, werden wir die Zweckbindung festschreiben müssen. Es ist für mich auch immer wieder schwer erklärbar, warum sich ein gemeinnütziger Bauträger plötzlich in ganz anderen Bautätigkeiten beschäftigt und die Gelder dann dort bindet. Das ist eine jahrzehntelange Diskussion. Man muss auch dazu sagen eine Tradition. Aber neu denken heißt auch, Traditionen kritisch zu hinterfragen.

Das heißt, auch bei den Gemeinnützigen sollten die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert werden?

Gegründet wurden sie, um den Wohnbau zu forcieren. Ich bin der Meinung, dass man den Gemeinnützigen im Wohnbaugesetz Rahmenbedingungen schaffen sollte, die der Realität entsprechen. Das heißt, mehr Geld in die Hand nehmen können, um tatsächlich nachhaltig zu bauen, Lebenszyklusbetrachtungen mit aufnehmen, die Maßstäbe, was ein Quadratmeter kosten darf, entsprechend adaptieren. Man sollte auch den Gemeinnützigen vorschreiben, nachhaltig zu bauen, und nachhaltig versteht sich nicht nur mit Blick auf verwendete Baumaterialien und Herstellkosten, sondern vor allem auch auf den Betrieb. Aus meiner Sicht ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis nachgefragt wird, ob man Projekte wirtschaftlich tatsächlich sparsam durchdacht hat oder ob man über einen Lebenszyklus betrachtet eine Altlast schafft, die nachher fast nicht mehr kalkulierbar ist.

Sind wir schon an dem Punkt, wo im Vergabeverfahren Einsprüche erhoben werden, weil keine nachhaltigen Angebote zum Zug kommen?

Da sind wir noch nicht, weil es im Moment noch keine Verpflichtung gibt, nachhaltig auszuschreiben. Das Vergabegesetz hat zwar eine Muss-Bestimmung, umweltgerecht zu beschaffen. Was das genau ist, lässt das Gesetz aber offen. Der Auftraggeber kann zwar bestimmen, was er gerne haben möchte, also etwa klimaaktiv Gold oder ÖGNI Platin ausschreiben. Wenn er es aber nicht tut, gibt es keinen Zwang, solche Standards einzuhalten. Jetzt müsste man wieder in die Bauordnungen hineinschauen. Der Auftraggeber bekommt nur dann eine Widmung bzw. eine Bewilligung, wenn er gewisse Regeln einhält. Über diese Zusammenschau aus Vergaberecht und materiellen Regeln kommen wir dann schon auf ein gewisses Niveau, das zwingend einzuhalten ist. Themen wie Lebenszyklusbetrachtungen, Nachnutzungsmöglichkeiten und die Wiederverwertung verwendeter Baumaterialien im Sinne der Kreislaufwirtschaft müssen zentrale Bedingungen einer jeder Ausschreibung werden.

Die öffentliche Hand muss Ihrer Meinung nach als Vorbild vorangehen?

Ja, für mich muss ein öffentlicher Auftraggeber seine Bau-­Beschaffungen mittlerweile anders gestalten. Wir haben ESG – das ist ökologisch, sozial und vor allem auch die Governance. Unsere Interpretation von ESG ist umweltgerecht, sozial und gerecht. Damit heißt ESG regional auszuschreiben, dort wo es möglich ist und global so weit wie nötig. Das ist das, was wir in der Kanzlei für Ausschreibungen vorsehen. Vergaberecht muss von der öffentlichen Hand als ­Belohnungs-Tool verstanden werden. Bekommen vorbildlich wirtschaf­tende, innovative Unternehmen aus der Region den Vorzug, so ist das nicht nur im Sinne des Klimaschutzes, sondern auch im Sinne der heimischen Wirtschaft.

Ist das in den Planungsabteilungen der Kommunen schon angekommen?

Die großen Städte und Gemeinden wissen ganz genau, was da auf sie zukommt. Das beginnt beim Green Financing, Green Budgeting. Es müsste eigentlich jeder Bürgermeister schon im Auge haben, was es bedeutet, wenn plötzlich CO2-Strafbeträge ins Haus stehen, wenn plötzlich die Entsorgungskosten durch die Decke gehen und vor allem: Wenn jetzt der Wert, den eine Gemeinde hat – nämlich das Immobilienportfolio – im wahrsten Sinne des Wortes „verbaut“, also verschleudert oder schlecht eingesetzt wird, dann ist diese Gemeinde für die Zukunft nicht gut aufgestellt. Bei den großen Kommunen ist das sicher angekommen. Kompliment an den Gemeindebund und auch an den Städtebund in diesem Zusammenhang, die tun wirklich viel. Es ist aber eine Holschuld der jeweiligen Akteure, sich Informationen, die es gibt, abzuholen.

Letzte Frage: Ihr Wunsch an die nächste Regierung?

Es ist auch für uns Juristen mittlerweile sehr, sehr schwierig, den Überblick zu behalten, welche Regelungen alle einzuhalten sind. Wir haben eine Gebäudesanierungsrichtlinie, Ökodesignverordnungen, KI und AI Act, ein Renaturierungsgesetz, ein Lieferkettengesetz. Viele dieser Regelungen sind erst kürzlich in Kraft getreten und müssen noch in die Praxis integriert werden. Die Frage ist: Wenn ich Ziel 1 verfolge, erreiche ich damit auch Ziel 2 oder stehen sie sich möglicherweise im Weg? Der aktuelle Zustand der Richtlinien und Rechtsakte erinnert ein wenig an das Zusammenspiel zwischen Arzt und Apotheker. Das heißt, wenn unterschiedliche Medikamente verschrieben werden und man nicht darauf schaut, ob sich die Wirkungen nicht gegenseitig aufheben, dann hat man zwar viel geschluckt, aber nichts bewirkt. Das sehe ich als Gefahr – und das wäre eine Forderung an die neue Regierung: einmal durch diesen Regulierungswahnsinn durchzugehen und sich wirklich zu überlegen, welches Mittel hat welche Wirkung? Und heben sich diese alle gut gemeinten Maßnahmen nicht gegenseitig auf? Das ist mittlerweile so, dass wir zum Beispiel Umspannwerke gar nicht mehr ausschreiben können. Ein konkretes Beispiel ist die Ausschreibung von Umspannwerken: Nach den geltenden Normen dürfte man gar nicht mehr ausschreiben, weil bereits neue Normen in Vorbereitung sind. Schreibt man jedoch nach den neuen Normen aus, entstehen andere Kosten, obwohl diese noch nicht verbindlich sind. Man muss also eine Zukunftsschätzung vornehmen, was sowohl für Auftraggeber als auch für Bieter äußerst schwierig ist. ■

Zur Person:

Mag. Martin Schiefer ist seit mehr als 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Seine Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte hat Büros in Wien, Salzburg, Graz, Klagenfurt und St. Pölten.

Martin Schiefer ist Speaker beim Fachkongress Österreichische Bautage. Seine Schwerpunktthemen: „Neue Raumordnungsverträge“ und „Nachhaltigkeit in der Wohnungswirtschaft“.

Mehr Informationen: www.bautage.at