KI rockt die Welt, was passiert am Bau?
Der Science-Fiction-Film „The Matrix“ aus dem Jahr 1999 verwischte die Grenzen zwischen Realität und virtueller Welt. Ein Vierteljahrhundert später führen dramatische Fortschritte in der KI und digitalen Simulation dazu, dass die Art und Weise, wie Technologie entwickelt und genutzt wird, grundlegend verändert wird. Heute ist es bereits möglich, digitale Darstellungen von Komponenten, Produkten und Prozessen zu erstellen, die das Verhalten ihrer realen Gegenstücke präzise nachbilden. Das bietet den Teams aus den Bereichen Engineering und Fertigung den perfekten Spielplatz, um Probleme zu lösen, die Grenzen ihrer Entwürfe zu erkunden und innovative Lösungen zu entwickeln. Und das in atemberaubender Geschwindigkeit. Konkrete Anwendungsfälle für künstliche Intelligenz gibt es genug, in vielen Bereichen steht man aber noch ganz am Anfang. Insbesondere die rechtlichen Herausforderungen und der Umgang mit neuen Regulativen wie dem im März veröffentlichten Artificial Intelligence Act (AIA) der Europäischen Kommission sind nicht zu unterschätzen. Experten sehen massive Rechtsunsicherheiten auf uns zukommen, denn die europäische Verordnung enthält viele auslegungsbedürftige Ausdrücke und Definitionen. Da hohe Strafen bei Verstößen drohen, sind Unternehmen entsprechend vorsichtig und zurückhaltend. „KI rockt die Welt und Europa reguliert“, formulierte es KI-Rechtsexperte Wolfgang Zankl, stv. Vorstand des Instituts für Zivilrecht der Universität Wien, im Rahmen der im Ende März abgehaltenen „Rubner Future Night“, wo Chancen und Herausforderungen von KI in der Bau- und Immobilienwirtschaft diskutiert wurden.
Interview mit Strabag-Digitalisierungs-Experte Marco Xaver Bornschlegl
Porr-CEO Karl-Heinz Strauss präsentierte in diesem Rahmen einige Use Cases aus seinem Unternehmen, die das hohe Potenzial von generativer KI in der Bau- und Immobilienwirtschaft verdeutlichen: Von automatisierter Baustellenüberwachung und nachhaltigem Abfallmanagement über Generative Design, Predictive Maintenance für Maschinen, Echtzeitplanung und Ressourcenoptimierung bis hin zu Qualitätskontrolle und Mängelerkennung. Konzernweit würden derzeit der Austausch und die Ideen zu KI gefördert werden.
„KI hat unser Arbeiten, Lernen, Kommunizieren und Interagieren schon verändert. Das wird beim Bauen und Wohnen nicht anders sein. Wir müssen unsere Organisationen bestmöglich darauf vorbereiten, die Mitarbeiter und auch den Endnutzer schulen. Nur so kann der verantwortungsvolle und zielgerichtete Einsatz von KI gewährleistet sein“, erklärte Isabella Stickler vom Bauträger Alpenland.
KI – das unverzichtbare Werkzeug für die Gebäudeautomation
Da die Welt vor der Herausforderung des Klimawandels steht und nachhaltigere Gebäude benötigt werden, bieten KI-gesteuerte Gebäudeleitsysteme eine zugängliche und kostengünstige Möglichkeit, den Energieverbrauch zu verwalten und im Sinne einer Verbrauchsreduktion zu optimieren. Meist handelt es sich dabei um intelligente cloudbasierte Software, die auf dem bestehenden Gebäudeleitsystem aufsetzt und einen digitalen Zwilling des Gebäudes erstellt, mit dem berechnet werden kann, wie viel Energie für den Betrieb benötigt wird und dann die erforderlichen Informationen an die installierten Energiesysteme schickt, um das Lastmanagement zu optimieren. Optimalerweise unter Einbeziehung integrierter Energiespeicherlösungen. So weit die Theorie.
Wie es gehen kann, zeigt etwa das nunmehr abgeschlossene Projekt „Prelude“ der Fachhochschule Burgenland. Angewendet werden dabei KI-Methoden wie datengetriebene modellbasierende Regelungsstrategien und Predictive Maintenance. Neben einem proaktiven Optimierungsservice für unterschiedlichste Gebäudetypen schafft „Prelude“ die automatisierte Evaluierung von Bestandsgebäuden, für die somit kosteneffiziente Sanierungsmaßnahmen abgeleitet werden können.
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KI für KMUs
„Der Übergang der zentralen zur dezentralen Energiewelt hat eine enorme Datenmenge generiert, die nun verarbeitet werden muss. Effektives Datenmanagement ist entscheidend, um präzise Vorhersagen für die Energieproduktion zu generieren. KI-Modelle analysieren historische und aktuelle Daten, was eine verbesserte Planung und Ressourcennutzung ermöglicht, die Effizienz von Energieerzeugungsanlagen steigert und den Energieverbrauch optimiert“, erklärt die KI-Expertin Elaheh Momeni, Mitbegründerin und CTO des KI-Unternehmens eMentalist.AI, leitende Dozentin und Forscherin an der Fakultät für Informatik der Fachhochschule Technikum Wien.
Für österreichische Klein- und Mittelbetriebe sieht Momeni insbesondere durch den Einsatz von sogenannten Large Language Models kosteneffektive Lösungen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie schaffen „Quick Wins“ und Echtzeitlösungen in unterschiedlichsten Geschäftsprozessen, ohne enorme Kosten und Ressourcen dafür aufwenden zu müssen. Ausgereifte Modelle sind auf KMU-spezifische Aufgaben (Prompting) individualisierbar, ermöglichen eine Anpassung an Unternehmensdaten und Auseinandersetzung mit konkreten Anwendungsfeldern.
Die Sensibilisierung der Mitarbeiter auf dieses Thema ist dabei einer der ersten Schritte. Die Angst vor Jobverlusten durch KI-Tools ist jedoch unbegründet. Es ist sogar entscheidend, den Menschen ins Zentrum der KI-Entwicklung zu stellen: Die Einsatzmöglichkeiten von KI haben Grenzen und erfordern ein hohes Maß an menschlicher Fachkompetenz – „Human in the Loop“ und Schwarmintelligenz. „Die steigende Nachfrage spezialisierter KI-Kompetenzen schafft demnach neue Arbeitsplätze“, betont Momeni.
Das bestätigt auch der jüngste „AI Jobs Barometer 2024“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Branchen mit hoher KI-Nutzung erleben fast fünfmal (4,8-mal) höhere Wachstumsraten in der Arbeitsproduktivität. „KI könnte somit vielen Nationen ermöglichen, das stagnierende Produktivitätswachstum zu überwinden, den Fachkräftemangel zu lindern und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern“, erklärt Rudolf Krickl, CEO von PwC Österreich: „Unternehmen und Regierungen weltweit müssen sicherstellen, dass sie angemessen in die erforderlichen Fähigkeiten von Menschen und Organisationen investieren, um im KI-Zeitalter erfolgreich zu sein.“
Humanoide Roboter erobern ihren Platz am Fließband
Auch wenn die Angst, dass der Roboter zunehmend den Menschen ersetzen wird, über weite Strecken grundlos ist, so gibt es Einsatzfelder, für die genau das die Zukunft ist – und nicht zum Nachteil der Arbeitskräfte. Wie die Horváth-Marktanalyse „Humanoide Roboter in Operations“ zeigt, verlassen humanoide Roboter das Labor und wandern in die Werkshallen großer Industriebetriebe. „Schon 2025 werden menschenähnliche Roboter für den industriellen Einsatz in Serie produziert“, prognostiziert Christoph Kopp, Industrieexperte und Associate Partner bei der Managementberatung Horváth. Durch die technologische Weiterentwicklung wird der Reifegrad humanoider Roboter bis 2030 sogar so weit fortgeschritten sein, dass sie in ihrer Bewegungsgeschwindigkeit, Flexibilität und Feinmotorik menschliche Fähigkeiten übertreffen.
Bislang nutzt die Industrie vor allem sogenannte Articulated Robots (Gelenkroboter) zum Schweißen, Lackieren und in der Montage. Cobots (kollaborative Roboter) werden unter anderem zur Qualitätsinspektion eingesetzt. Beide Typen ähneln einem menschlichen Arm. Humanoide Roboter gleichen dagegen in ihrer gesamten Statur dem Menschen und sind auch so groß und so schwer. Damit eignen sie sich besonders gut für die Arbeit in Umgebungen, die für Menschen konzipiert wurden. Erste Pilotprojekte in der Automobilindustrie laufen bereits. So testet Mercedes beispielsweise den Einsatz eines Modells des US-Herstellers Apptronik: Apollo ist ca. 1,73 Meter groß, wiegt 73 Kilogramm und kann 25 Kilogramm heben. Er soll in der Produktion eingesetzt werden, etwa bei der Auslieferung von Montagesätzen an die Arbeiter.
Anschaffungskosten sinken drastisch
Aktuell sind die Anschaffungskosten für menschenähnliche Roboter noch höher als für andere Industrieroboter. Horváth rechnet zur Markteinführung mit einem Preis von durchschnittlich 80.000 Euro. Hinzu kommen etwa 4.000 Euro Wartungs- und Instandhaltungskosten pro Jahr. Durch die Serienproduktion soll der durchschnittliche Beschaffungspreis bis 2030 jedoch auf 48.000 Euro sinken.
Die Experten gehen davon aus, dass der Return on Invest pro Roboter je nach Anschaffungspreis anfänglich bei weniger als 1,36 Jahren liegen und sich durch die technische Entwicklung in den kommenden Jahren drastisch verringern wird. Kopp dazu: „Mittelfristig verfügbare humanoide Roboter haben das Potenzial, mehr als 50 Prozent der manuellen Tätigkeiten im Produktionsumfeld zu übernehmen. Die menschenähnlichen Roboter können entstandene Personallücken bei immer wiederkehrenden, körperlich schweren Arbeiten schließen und dabei helfen, hoch qualifiziertes Personal am Fließband zu entlasten. Schon jetzt sollten Industrieunternehmen das Transformationspotenzial in ihrer Strategie berücksichtigen und mögliche Anwendungsfelder identifizieren.“
KI-Tools als Treiber der Real Estate Branche
Die Zunahme verfügbarer Daten, Hardwareverbesserungen und Fortschritte in den Algorithmen führen zu einem exponentiellen Anstieg der Datenmenge und einem wachsenden kommerziellen Interesse an KI-Anwendungen. Der Einsatz von KI-Tools in der Bau- und Immobilienbranche birgt großes Optimierungspotenzial und verspricht Unternehmen gewinnbringende Quick Wins. Durch die Auswertung von Echtzeitdaten aus Gebäudesensoren bieten KI-gestützte Predictive-Maintenance-Systeme zunehmend auch Verbesserungen im Bereich der Wartung und des Facility Managements. Sie erlauben immer präzisere Vorhersagen über den Wartungsbedarf und die Vermeidung von Ausfällen, noch bevor sie auftreten. „Immobilienverwaltungen können mithilfe von KI-Systemen Schadensfälle effektiv priorisieren, indem sie den Schweregrad und die Dringlichkeit anhand von Datenanalysen einschätzen. Das führt zu schnelleren und kosteneffizienteren Reaktionen. KI- Technologien unterstützen auch bei der Erstellung von Objektdesigns, der intelligenten Immobiliensuche sowie bei der Erstellung von Exposés und Marketingmaterialien“, so die promovierte Informatikerin Momeni.