Podium BOKU Energiecluster

Lösungen für die Energiewende

Die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) lud zu einem Vortrags- und Diskussionsabend mit Fokus auf Gebäude-Adaption, um die Energiewende zu meistern. Die Keynotes gaben die ideale Richtung vor, das Gespräch zeigte die Tücken in der Umsetzung.

Wie die Energiewende gelingen kann, veranschaulichte der Themenabend des BOKU-Energie­clusters. Gebäude sollen laut Wiener Klimafahrplan bis 2040 klimaneutral werden. Es ist klar, dass die entscheidenden Fragen dazu den Bestand betreffen und nicht den Neubau. Dass es einer gemeinsamen Anstrengung bedarf, bewies schon die Auswahl der Referenten dieses Abends. Denn sowohl Entwickler, Industrie, Politik als auch Forschung und Innovation kamen zusammen, um ihre Stoßrichtungen zu zeigen. 

Grafik Energie der Zukunft

So stellte Stefan Sattler von der Stadt Wien (MA20) im Einstiegsstatement das Projekt „100 Projekte raus aus Gas“ vor, das im Rahmen der Energiewende den Gasausstieg im Wohnbereich forciert und verwies ferner auf die Projekte der Sonnenstrom-Offensive und der Geothermie. Wolfgang Amann, geschäftsführender Gesellschafter des IIBW (Institut für Immobilien, Bauen, Wohnen), betonte die Wichtigkeit einer Verdoppelung der Sanierungsrate von derzeit rund 1,4 Prozent. „Wir hatten vor fünfzehn Jahren eine Sanierungsrate von zwei und mehr Prozent“, erläuterte Amann. „Für 2023 und heuer sieht es nicht gut aus. Damals gab es einen richtigen Run von Bund und Ländern, wer die besseren Förderungen hat. Die aufgrund der Finanzkrise initiierten Konjunkturprogramme haben die Sanierungsrate in die Höhe getrieben. Die low hanging fruits, die leicht zu sanierenden Bauten, sind umgesetzt worden, die komplexeren Projekte blieben übrig. Es war damals das Narrativ, du kannst dir die Sanierung mit den Heizkosten­einsparungen finanzieren. Das geht sich allerdings nicht aus und da ist auch die eine oder andere Enttäuschung passiert.“

BOKU-Energiecluster zum Nachschauen

Diese Diagnose ist insofern aufschlussreich, weil sie den Gebäudewandel nicht nur als technologische Aufgabe benennt. Zudem sprach Amann davon, dass es kein Schweizermesser für die Sanierung im Rahmen der Energiewende gibt, sondern es um gezielte Maßnahmen gehen muss. Während einmal ein Bestandserhalt mit Heizungstausch ratsam ist, ist es ein anderes Mal die Sanierung mit Bauteilaktivierung. In diesem Zusammenhang stellte Amann, der außerdem Gründungsgenossenschafter des Innovationslabors Renowave ist, eine Erfindung von Thomas Buchsteiner in Kooperation mit AEE Intec vor: ein System mit Heizschlangen in der Außenwand, das über das gewählte Metall eine hohe Leitfähigkeit aufweist und dank Vollwärmeschutz und vorgehängter, hinterlüfteter Fassade gut beheizbar ist. Im Idealfall kann auf die bestehende Heizung im Innenraum verzichtet werden. 

Erste Hilfe für 60er-Jahre-Objekte

Magdalena Wolf vom BOKU-Institut für Verfahrungs- und Energietechnik erwähnte einer­seits den Schub hinsichtlich der Smartness von Gebäuden, die mit Wetterprognosen verknüpft sind und damit den Heiz- und Kühlbedarf optimieren, und andererseits skizzierte sie die Vision erneuerbarer Energien für den Gebäudebereich inklusive einer verbesserten Speicherung der täglichen Lasten und einer intelligenten Lastverschiebung. Ergänzend zu Amanns Vorstellung der Außenwandaktivierung erwähnte sie das Projekt „Sani60ies“, wo es genau um diese nutzerfreundliche und gebäudeschonende fassadenintegrierte Bauteilaktivierung geht. Auch wenn es zunächst danach klingt, dass hier ein Energieverlust über die Außenwand gegeben ist, zeigen erste Analysen, dass dem nicht so ist. Bei niedrigen Vorlauftemperaturen wird eine Grundlast der winterlichen Wärmeversorgung erreicht, gleichzeitig nutzt man Potenziale zur Energieflexibilität. Bestehende Heizkörper sind durch die gekoppelte Maßnahme von thermischer Sanierung und fassadenintegrier­ter Bauteilaktivierung entlastet. Ferner ist eine spürbare Senkung der Vorlauftemperatur möglich. Nicht umsonst verweist das Projekt auf „60ies“, weil die oft problematischen Objekte der 60er-Jahre im Blickpunkt sind. „Sani60ies“ verzahnt Forschung und Anwendung, denn auch Vasko-Partner Ingenieure GmbH sind hier involviert.

10-Punkte-Plan Wärmepumpen-Installation

Die Gebäudetechnikerin Barbara Beigelböck ist bei Vasko tätig und vermittelte anschaulich, wie die tatsächliche Umsetzung aussehen kann. Dazu stellte sie einen 10-Punkte-Plan mit Grundsatzentscheidungen vor, der eine sinnvolle Wärmepumpenplanung im Bestand ermöglicht. Natürlich liegen die Tücken im Detail. Etwa die Frage nach einem Kältemittel, das natürlich ist, aber dafür den Nachteil der Brennbarkeit mitbringt. Das Kältemittel wiederum beeinflusst die Vorlauftemperaturen. Diese wiederum hängen von der Frage ab, ob ich mit dem System auch eine Kühlung erzielen möchte und das zieht eben andere Faktoren nach sich. Deshalb ist dieser pragmatische Ansatz wichtig, weil nur die gewissenhafte Planung eine gute Umsetzung nach sich ziehen kann. 

Nicht zuletzt verläuft die Umsetzung manchmal in Etappen, das heißt, eine Anlage muss vorausgeplant werden, während noch die Gasleitung in Betrieb bleibt und deren Schächte in Nutzung stehen. Bei der anschließenden Debatte kam das Thema der Überschwemmung auf und dass teure Anwendungen wie Wärmepumpen durch Hochwasser bedroht sind; immerhin ist ein gravierender Anteil an Bestandsgebäuden in Überschwemmungsgebieten errichtet worden. Darauf hatte Beigelböck einen sehr vernünftigen Ansatz parat: „Die Luftwärmepumpe am Dach ist besser als die Gas­therme im Keller.“
Neunovellierung Wohnbauförderung als Katalysator für den CO2-Ausstieg
Nach diesen aufschlussreichen Impulsen ging es in die Diskussion, zu welcher sich Petra Schöfmann von Urban Innovation Vienna und Stephan Jainöcker vom Bauträger Mischek, die im Neubau grundsätzlich nachhaltige Konzepte verwirklichen, gesellten. 

Schöfmann stellte die kommunikative Rolle von Urban Innovation Vienna vor, da durch die Portfolio-Analyse viele Immobilienbetreiber erst profunde Kenntnisse zu ihrem Bestand erhalten, etwa ob mit Gas gekocht wird oder nicht. Der Wunsch nach gestiegener Information über die Beschaffenheit eines Gebäudes und seiner Energiebilanz ist in den letzten Jahren gewachsen und bildet die Voraussetzung für eine Gebäude­adaption. In diese Richtung zielt auch der Gebäude-Material-Pass, der im Neubau zur Regel wird oder werden sollte. Für den Bestand ist ein solcher schwieriger zu erstellen, da hier eventuell Pläne fehlen oder unvollständig sind. Keine geringe Rolle dabei spielt die Stadt Wien als Eigentümerin beziehungsweise als Gestalterin der politischen Rahmenbedingungen. Was für Wien gilt, ist mit den anderen Landeshauptstädten vergleichbar: ein hoher Anteil an Gasetagenheizungen und eine inhomogene Eigentümer- und Bewohnerstruktur. „Dass das Wohnrecht zwischen Bund und Land aufgesplittet ist, macht die Sache nicht einfacher“, bekennt Sattler. „Die Neunovellierung der Wohnbauförderung ab März 2024 verspricht einen erleichterten Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung. Wenn man es nicht mit einer Maßnahme komplett schafft, dann lässt sich etwa beim Streichen der Wände eine Zentralisierung vorbereiten, um später das erneuerbare Energiesystem zu integrieren.“ 

Die Dekarbonisierungsprämie und eine Fülle an Förderungen schaffen starke Anreize. Auch für die Planung einer Sanierung allein kann die Hälfte der Kosten über die Förderung rückerstattet werden. Generell verwiesen mehrere Podiumsteilnehmer auf den idealen Zeitpunkt, aktiv zu werden, nicht nur aufgrund des Klimawandels, sondern der attraktiven Förderlandschaft  »
für alle Stakeholder – vom Entwickler bis zum Mieter. Dennoch zeigen sich in der Praxis oft hohe Hürden. Amann betonte, wie schwer die Umsetzung der Kostenaufteilung auf die Mieter ist und wie hoch die entsprechende Frustration der Bauträger. Der zertifizierte Sachverständige erzählte von Beispielen, wo eine Erhöhung der Miete von einem Euro pro Quadratmeter keine Zustimmung fand. Obwohl die Einsparung an Energiekosten recht rasch erfolgt und langfristige Kostenvorteile wahrscheinlich sind. 

Woher kommt der Strom für die Energiewende?

Sicherlich sind Maßnahmen zur Gebäudesanierung zuweilen kostenintensiv, aber angesichts von einer Förderabdeckung von bis zu 85 Prozent, die Sattler anspricht und sich aus steuerlichen Vorteilen, 35 Prozent Landesförderung sowie einem Bundesteil zusammensetzt, sind die reinen Ausgaben kalkulierbar. Natürlich nur dann, wenn alle entsprechenden Maßnahmen gesetzt werden. Die 85 Prozent bilden also ein rares Optimum. Selbstverständlich ist der Gebäude­sektor nur einer, der einen wachsenden Strombedarf benötigt, um eine qualitative Versorgung zu sichern. Mobilität, Industrie, Medizin, Kommunikation, IoT und andere – all diese Bereiche verzeichnen deutliche Wachstumsraten hinsichtlich des Stromverbrauchs. Woher also soll dieser dringend benötigte Strom kommen? 

„Bis 2030 wollen wir 800 Megawatt installierte PV-Leistung verwirklichen und wir sind aktuell auf Zielerreichungspfad“, erläutert Sattler die Situation der Stadt. „Das sind 100 Fußballfelder an neuer Fläche pro Jahr. Die Fernwärme Wien hat einen Dekarbonisierungsplan. Wir sind dabei, die Tiefen-­Geothermie auszubauen. Großwärmepumpen etwa bei der Kläranlage, wo auf einem Standort sehr viel Energie aus Abwärme gewonnen wird, und eingebundene Spitäler und Rechenzentren sorgen für eine zukunftstaugliche Energiebilanz. Wertvolle Energieträger wie grünes Gas setzen wir dort ein, wo Alternativen fehlen, etwa bei der Kraft-­Wärme-Kopplung.“ 

Die sommerliche Überhitzung ist dank entsprechender Technologie auch speicherungsfähig. Denn Energiegewinnung ist ein Teil, der andere ist eben die Speicherung und dazu zählt auch das Entwärmen von Gebäuden. „Die Großtechnologien der E-Wirtschaft wie Power2Gas und Pumpspeicher leisten viel. Doch die E-Wirtschaft hat noch nicht so richtig Appetit auf die Immobilienwirtschaft. Wir untersuchen, in welche Richtung die Bauteilaktivierung geht und welche Mengen dadurch in 20 und 30 Jahren regulierbar wären. Ab heuer gibt es einen Smart-Readiness-Indikator für Wärmepumpen, dadurch können Wärmepumpen vom Betreiber ein- und ausgeschaltet werden“, erläuterte Amann. 

Energiebewusstsein schaffen

Die günstigste Energie ist schließlich die, die gar nicht genutzt werden muss. Damit verbunden ist das Nutzerverhalten, das nicht automatisch energiebewusst ist, nur weil erneuerbare Energiequellen genutzt werden. Schöfmann plädierte darum auch auf die Menschen einzugehen. Denn die Rebound-Effekte sind eben schwer kalkulierbar. Sie sprach vom Investor-Nutzer-Dilemma und weiters von den Realitäten, die eben nicht ausschließlich monetär sind, selbst bei einer Förderquote von 100 Prozent. „Ich muss schließlich jemand Fremden in meine Wohnung lassen, ich habe Dreck, Lärm und Ärger. Warum soll ich etwas ändern, wenn es ohnedies funktioniert?“, fragte die Energieberatungsexpertin rhetorisch. „Man braucht in einem Gebäude jede Wohnung, damit man das Gas kappen kann, man braucht in einer Straße jede und jeden, damit die Straße wegkommen kann vom Gas.“ 

Womit auch der finale Appell, gemeinsam aktiv zu sein, an den Anfang anschließt, denn die Energiewende der Gebäude betrifft eben nicht nur Gebäudeentwickler und -nutzer, sondern die urbane Infrastruktur. Dass seit etwa einem Jahr Erdsonden im öffentlichen Raum vor einem Gebäude eingebracht werden können, ist ein Beleg für das gewachsene systemische Denken. Gerade in dicht verbauten Vierteln ist es maßgeblich, jeden Platz zu nutzen, der vorhanden ist. Auch das Fachpublikum engagierte sich stark an der Diskussion, so verwies etwa Sebastian Spaun, Geschäftsführer der VÖZ, auf das neue EIWG, das Elektrizitätswirtschaftsgesetz, das seit 12. Jänner 2024 in Begutachtung ist und dieses Jahr eingeführt werden soll. Eines verdeutlichte die Diskussion, selbst die intelligenteste Lösung nimmt uns nicht aus der Pflicht, sorgsam mit der Energie umzugehen – bei der Gebäudenutzung wie anderswo. 

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