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Ökobilanzierung im Bauwesen: Vom Datenfriedhof zum Datenbahnhof

Taxonomie, Ökobilanzierungsregeln, Kostenprüfung und Baudokumentation werden für kleine und mittlere Baugewerbebetriebe finanziell und ressourcenmäßig zunehmend zur Belastung. Kürzlich wurde ein Digitalisierungsprojekt der Bundesinnung gemeinsam mit dem Bauinformationsdienstleister Inndata Datentechnik und der Zukunftsagentur Bau (ZAB) gestartet. Die „Prozessbezogene Datenbereitstellung für das Bauwesen“ hat das Ziel, die erforderlichen und ohnehin in verschiedenen Quellen verteilt vorhandenen Informationen prozessbezogen für die Ökobilanzierung digital verfügbar zu machen.

Die Taxonomie-Keule kommt für das ausführende Baugewerbe durch die Hintertür. Lange Zeit wurde der Wirtschaft glaubhaft gemacht, dass die ESG-Vorschriften nur große – vor allem berichtspflichtige börsennotierte  – Unternehmen betreffen würden. Aber die Banken haben bereits signalisiert, dass sie in Zukunft in grüne und braune Investments unterscheiden und einen Aufschlag für nicht ESG-konforme („braune“) Immobilien vorsehen werden. Die EZB sieht Preisaufschläge von 20-35 Basispunkte für die Refinanzierung vor, wenn eine Bank kein ausreichend nachhaltiges Finanzierungsportfolio nachweisen kann. Die Bank legt die Aufschläge dann auf die nicht ESG-konformen Projekte um, dadurch aus den 35 Basispunkten gleich mal 70 werden, was im Barwert der erhöhten Finanzierungskosten rund zehn Prozent der Bausumme entspricht. „Damit ist der Zweck, die Bauherren dazu zu zwingen, diese ESG-Vorschriften einzuhalten, total elegant erreicht“, so Otto Handle, Geschäftsführer Inndata Datentechnik.

Ausführende Bauunternehmen sind daher zunehmend mit Dokumentationsanforderungen konfrontiert, die sich mit herkömmlichen, papiergebundenen Verfahren nicht mehr abbilden lassen. Neben qualitativen Nachweisen der Bauausführung und der Bereitstellung von Informationen für den Gebäudebetrieb kommen zunehmend auch ökologische Nachweis- und Berechnungspflichten auf die Ausführenden zu – sei es aus rechtlichen, sei es aus faktischen Zwängen heraus. Gerade die Ökobilanzierung als Teil der von Großunternehmen geforderten Taxonomie-Nachweise und Berichtsregeln über die Nachhaltigkeit der Geschäftstätigkeit wird zunehmend auf die Ausführenden abgewälzt.

Vereinfacht gesprochen ist die Ökobilanz die Summe aller verwendeten Baustoffe multipliziert mit deren Gesamtmasse und ihren Eigenschaften laut EPD-Zertifizierung. Auf Grundlage der Planung lässt sich dies nur unvollständig ermitteln, da – zumindest bei vergaberechtskonformen Projekten – in der Planungsphase die endgültigen Produkte noch nicht feststehen. Und die Gesamtmenge ohnehin nicht, zu groß sind die Mengenabweichungen gegenüber der Planung aus Verschnitt, Schwund, Verschwendung und Änderungsaufwand aufgrund baubegleitender Planung oder anderen Störungen des Bauablaufes.

Otto Handle, Geschäftsführer Inndata Datentechnik:

Damit der kleine Gewerbebetrieb eine Chance hat, in so einem Umfeld weiterhin Geschäft zu machen, braucht er Möglichkeiten, die Anforderungen, die damit auf ihn zukommen, umzusetzen. Aus eigener Kraft ist das nicht zu schaffen. Wer einmal ein EPD-Zertifikat gesehen hat, weiß, welcher Aufwand es ist, die Daten dafür zu finden, zu entschlüsseln, zu bewerten und zu berechnen.

Realmengen aus Frachtpapieren abtippen?

Der gängige Weg, reale Mengen aus Liefer- und Retourscheinen, aus Frachtpapieren oder auch aus der in wenigen Jahren zwingend auf Positionsebene digital bereitzustellenden elektronischen Rechnungslegung abzuleiten und weiter zu verarbeiten ist zu wenig effizient um die kommenden Anforderungen zu bewältigen. Unstrukturierte Daten in Form von – allenfalls gescannten – Lieferscheinen können nur mit erheblichem manuellen und damit auch fehleranfälligem Aufwand digital weiter verarbeitet werden.

Strukturierte Daten aus den kommenden Rechnungslegungsvorschriften landen im falschen Programm – Buchhaltungsprogramme eignen sich nicht besonders gut zur Ökobilanzierung. Außerdem gibt es Diskrepanzen zwischen vorhandenen und benötigten Informationen. In der Buchhaltung genügt eine proprietäre Artikelnummer, solange der richtige Preis dabei steht. Für die Ökobilanz werden konkrete Artikel mit Herstellerbezug benötigt, während der Einkaufspreis an dieser Stelle mehr als unerwünscht ist.

Handle: „Die Bundesinnung Baugewerbe hat das Problem und mit uns gemeinsam erkannt und dass es eine relativ elegante Möglichkeit wäre, die Baumeister und Gewerbebetriebe in die Lage zu versetzen, diese Anforderungen aus der EU-Taxonomie zu erfüllen, wenn man die Informationsquellen miteinander verbindet und in die Systeme der Baumeister hineinbekommt.“

Verschiedene Datenquellen kombinieren

Grundsätzlich lassen sich fast alle im Bauwesen an irgendeiner Stelle erforderlichen Informationen auf vier Basisinformationsquellen zurückführen:

  • Rechtliche Rahmenbedingungen (OIB, Normen, Baugesetze etc.)
  • Architektonische und technische Planung
  • Materialeigenschaften
  • Transaktionsdaten der Lieferanten (von Materialien und von Leistungen)

Das Geheimnis ist, die für den jeweiligen Prozess – bzw. die rund 100 Beteiligten – von der Umweltschutzinitiative über die Baubehörde, den Baustoffhersteller usw. – die notwendigen Teildaten aus diesen vier Quellen zu finden, zu extrahieren und korrekt kombiniert an die Zielsoftware bereit zu stellen.

Am Beispiel der Ökobilanzierung sind die unterschiedlichen Datenkombinationen gut zu erkennen. In der Vorwärtsbetrachtung des Variantenvergleiches während der Projektplanung sind die wesentlichen Bemessungsdaten die Planmengen aus dem Gebäudemodell multipliziert mit den Branchen-EPDs als Worst-Case Annahme für die jeweiligen Baustoffe.

In der Rückwärtsbetrachtung nach der Fertigstellung des Gebäudes bestehen die Bemessungsdaten aus den tatsächlichen Mengen aller Lieferungen multipliziert mit den spezifischen EPD-Kennwerten der tatsächlich verwendeten Bauprodukte.

Datenquellen zugänglich machen

Wenn Bauunternehmen nun die Ökobilanz ihrer Bauleistung nachzuweisen haben, benötigen sie im Wesentlichen die Bauprodukte, deren exakte Eigenschaften und EPD-Kennwerte sowie die tatsächlichen Mengen, erklärt Gunther Graupner, als Geschäftsführer der ZAB Zukunftsagentur Bau für die Bundesinnung in das Projekt involviert: „Alle diese Informationen liegen vor. Schön ausgedruckt am Lieferschein die Mengen, schön versteckt auf hunderten Herstellerwebsites die PDF-Dateien mit endlosen Bewertungstabellen der Produkte nach EPD – vom Arbeitsaufwand her nicht bewältigbar.“

Das aktuelle Projekt mit dem Namen „Prozessbezogene Datenbereitstellung für das Bauwesen“, das im Internet unter der Domain „baudigital.info“ einzusehen ist, beabsichtigt derartige Kostentreiber zu eliminieren. Es entsteht eine Art „Datenbahnhof“, der dafür sorgt, dass die richtigen Informationen aus den richtigen Quellen in der richtigen Kombination beim richtigen Softwaresystem für den gewünschten Nachweis ankommen.  Mit Hilfe des Projektes bekommt der zuständige Ökobilanzierer alle Mengen und Produktidentifikationen vom Lieferanten und alle Eigenschaften zu den Produkten aus dem österreichischen Industriedatenpool, inklusive der EPD-Kennwerte die im Vorfeld z.B. von Baubook oder der EPD-Bau Gmbh für die Hersteller zertifiziert wurden.

Diese Daten liegen in der für das jeweilige Softwaresystem geeigneten Form vor und können unmittelbar zur Berechnung verwendet werden. Kein Suchen, kein Abtippen, keine Fehlerfassungen mehr, sondern ein hochmoderner, digitaler Prozess, der auch kleine Betriebe in die Lage versetzt, künftige Anforderungen zu erfüllen. Graupner: „Das Schöne an dem Projekt ist, dass wir nicht mit der BIM-Keule alle erschlagen, sondern dass wir schauen, wie arbeiten die kleinen Baumeister und Gewerbebetriebe und wie kann man im Hintergrund die Daten richtig zuweisen, ohne dass die Prozesse dafür großartig geändert werden müssen. Dabei entsteht eine Art Datenpackage.“

Gunther Graupner, Geschäftsführer der ZAB Zukunftsagentur Bau:

Der Baumeister erhält einen generierten Datensatz, eine Art Datenpackage, das er an den Bauherrn, an die Bank oder Gebäudezertifizierer weiterleiten kann, ohne dass er seine Prozesse dafür großartig verändern muss.

Breite Vernetzung der Projektbeteiligten

Die Bundesinnung Baugewerbe vertritt mit 14.000 Mitgliedsunternehmen alle Baugewerbebetriebe und einen relevanten Teil der Planer. Gleichzeitig arbeitet sowohl das Innungsprojekt als auch das Begleitprojekt für die Bauplanung intensiv mit der Ziviltechnikerkammer zusammen. Die jahrzehntelange Tätigkeit des technischen Projektpartners inndata als zentraler Datendienstleister der Baustoffhandels- und Baustoffindustrieverbände sowie die gute Zusammenarbeit mit den Softwareherstellern ermöglichen dem Projekt eine breite Nutzerbasis.

Selbstverständlich werden in der Projektentwicklung höchste organisatorische und technische Sicherheitsstandards implementiert, sodass den Anwendern weder wirtschaftliche, noch rechtliche noch technische Risken drohen. Neben dem ausführungsbezogenen Projekt der Bundesinnung Baugewerbe ist inndata auch Lead-Partner des Begleitprojektes „BauWert-Infobasis“, das vom Land Tirol gefördert wird, um auch den Planern die Basisinformationen für die Ermittlung der ökologisch optimalen Bauweise im Rahmen des vorgeschriebenen Variantenvergleiches zu erleichtern.

Aktuell versuchen die Projektbetreiber, allen voran die Inndata Datentechnik als umsetzendes Unternehmen weitere wichtige Stakeholder ins Boot zu holen. Handle: „Die Baustoffindustrie ist über unser Projekt bereits informiert und die Baumeister und Gewerbebetriebe profitieren jedenfalls von dieser Lösung. Jetzt geht es darum, die Baustoffhändler und Softwarehersteller ins Boot zu holen. Technisch sind die Dinge bereits gelöst, die Raketenwissenschaft bei dem Projekt ist, das alle Marktteilnehmer diese Lösung akzeptieren und das Vertrauen für diesen Daten-Hub zu schaffen.“ Erste nutzbare Anwendungen für einzelne Teilnehmer werden im Sommer 2024 erwartet. Der Abschluss des Projekts ist für Mitte 2025 geplant.

So funktioniert der Daten-Hub

Bislang musste der Baumeister oder Gewerbebetrieb von den Webseiten des Baustoffherstellers die EPD-Zertifikate herunterladen, die entsprechenden Daten herausziehen und in das OI3-Rechenprogramm eingeben. Zukünftig soll das automatisch passieren. Unter baudigital.info entsteht ein Daten-Hub, der auf der einen Seite auf die Lieferscheine des Baustoffhändlers, die EPD-Daten des Herstellers, auf Planungsdaten aus Softwarelösungen etc. zugreift, die Daten entsprechend verknüpft und dem Baumeister oder Gewerbetreibenden automatisch ins System einspielt.

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