Projekt Berresgasse in Wien
Im Herbst 2019 soll der Spatenstich für eines der größten Stadterweiterungsgebiete Wiens erfolgen: Das Projekt Berresgasse in der Donaustadt wird in seiner finalen Gestalt rund 3.000 Wohnungen aufweisen und ist das Ergebnis des bisher größten vom wohnfonds_wien abgewickelten Bauträgerwettbewerbs. Das neue Stadtviertel punktet mit nachhaltiger Quartiersentwicklung: Das Wohnquartier auf rund 170.000 m2 umfasst sowohl innovative, gut leistbare Mietwohnungen und Gemeindewohnungen NEU als auch belebte Erdgeschoßzonen mit gewerblich und gemeinschaftlich genutzten Flächen, einen vernetzten Freiraum mit vielfältigen Spiel- und Erholungsbereichen sowie eine gute Infrastruktur mit Supermärkten, einem Kindergarten und Lokalen.
Einen guten Überblick über das Gesamtprojekt, das aus zehn Teilprojekten besteht bietet der Link: www.gbstern.at/news/berresgasse. Eine Besonderheit weist das Bearbeitungsgebiet 6 aus, bei dem erstmalig Building Information Modeling zur Errichtung von sozialem Wohnbau eingesetzt wird. Bauträger sind u.a. die Sozialbau AG sowie die EGW Heimstätte und die Heimat Österreich. Auch drei Architekturbüros sind involviert: Pichler & Traupmann Architekten, Baumschlager Eberle und die Projektbau Planung Projektmanagement Bauleitung. So viele Beteiligte in der Planung rufen förmlich nach einer digitalen Optimierung der Koordination und Kommunikation, wie sie BIM möglich ist.
„Wir setzen BIM zum ersten Mal für unsere Planungen ein“, erklärt Arch. DI Andrea Steiner, Abteilungsleiterin Projektentwicklung bei der Sozialbau AG. „Wir wollen damit den Aufwand der Planung verbessern und reduzieren. Selbst wenn in der Anfangsphase die Herausforderungen größer sein sollten – was angesichts eines neuen Tools nicht verwundert –, arbeiten alle Beteiligten laufend am selben Modell und verkürzen dadurch die Entwicklungszeit.“
Hoher Standardisierungsgrad
BIM wird explizit für das sogenannte Bearbeitungsgebiet 6 mit in Summe 730 geförderten Wohnungen eingesetzt. Bei derart großen Volumina mit vielen genormten Materialien und dementsprechend einer Vielzahl an standardisierten Einzelteilen, kann eine Änderung per einfachem Knopfdruck beträchtliche Konsequenzen für die Planung bewirken. Plakativ ausgedrückt ist es wie bei dem Textverarbeitungsprogramm, mit welchem dieser Artikel entsteht: Mit der Funktion Suchen & Ersetzen könnten alle Wortgefüge wie „Building Information Modeling“ durch das Kürzel BIM ersetzt werden.
Der Vorteil bei einem Bauvorhaben mit ausgesprochen hohem Anteil an standardisierten und auch identen Bauteilen liegt auf der Hand. Es wird möglich, die Bedingungen für den Bau mit diesem oder jenem Detail in der Planung vorab genau anzusehen und die ökonomischen, ökologischen und planerischen Qualitäten somit besser zu kalkulieren. „Wenn ich drei Fensterformate wähle, die in entsprechend hoher Anzahl vorkommen, und verschiedene Typen vergleiche, dann sind die Konsequenzen dieser Wahl sofort quantitativ erfassbar“, führt Steiner aus. „Dorthin geht schließlich die planerische Reise, dass ich dasselbe Element möglichst oft einsetzen kann. Trotzdem soll die Architektur vielfältig bleiben.“ Dafür sind schließlich auch die drei Architektenteams zuständig, die dann zwar mit denselben Bausteinen arbeiten, diese jedoch unterschiedlich einsetzen können.
BIM auf spezifische Anforderungen adaptieren
Zum ersten Mal wird im Wohnbau BIM so eingesetzt, vom Anfang bis zum Ende. Alle Konsulenten können darauf zugreifen. Das verspricht eine wesentlich bessere Abschätzung der Kosten und eine verlässlichere Einhaltung des Zeitplans. Durch den hohen Vorfertigungsgrad kann die erfahrungsbedingt angemessene Bauzeit für ein bestimmtes Stadtentwicklungsareal dieses Umfangs unter Umständen sogar verkürzt werden.
Entscheidend für die Effizienz von BIM ist selbstverständlich die vorhandene digitale Infrastruktur bei allen Beteiligten. Interessant ist dabei insbesondere wie die Sozialbau AG an dieses Projekt herangegangen ist: „Wir haben das gesamte Haus zusammen getrommelt“, macht Steiner anschaulich. „Also nicht nur die Entwicklung, sondern die Leitung, die mit der Ausführung befasst ist, die Hausverwaltung, die dann den Betrieb verantwortet, die eigene IT und auch die eigene Sanierungsabteilung, die hoffentlich erst viel später im Zuge des Betriebs mit den ersten Sanierungen konfrontiert sein wird. (Anm.: Schließlich halten wir unsere Häuser im Bestand und veräußern sie nicht. Auch in dieser Hinsicht erwarten wir von BIM einen großen Vorteil, die Baustellendokumentation wird der Sanierungsabteilung wertvolle Rückschlüsse ermöglichen.) Dann haben alle ihre Erfahrungen und Wünsche mitgeteilt, auch die Erwartungen an BIM. Aufgrund dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Materie ist das Paket der 'Arbeitgeber-Informations-Anforderungen' – kurz AIA – entstanden. Das ist die Vorgabe für den Schärfegrad der Planung.“
Für den Wohnbau könnten diese AIA durchaus eine Pionierfunktion leisten. Frühzeitige Kalkulationssicherheit ist in einem Umfeld, in welchem Investitionsentscheidungen noch vorsichtiger getroffen werden müssen (um später leistbaren Wohnraum anbieten zu können), ebenso attraktiv wie die Betrachtung der Kosten über den gesamten Lebenszyklus eines Objektes. Der Vorteil von BIM ist weiters eine verbesserte Datenverwaltung für die Baustellenlogistik und die Optimierung der Bewirtschaftung.
Kommunikation nach innen und außen
In einem disruptiven Geschäftsfeld wie es digitale Innovationen mit sich bringen, klagen heute Architekten darüber, dass sie zuerst ihre Mitarbeiter ausbilden und diese dann verlieren, weil sie sich als Consulter selbstständig machen. Aber auch diese Zeitspanne der Freiberuflichkeit könnte kurz sein, wenn Bauträger und andere am Bau Beteiligte künftig eine BIM-Fachkraft im Stammteam haben oder BIM sowieso in den Lehrplänen erschöpfend behandelt wird.
Wie sich durch BIM die Qualität beim Baustellenmanagement ändern wird, ist abzuwarten. „Wir haben immer eine Generalunternehmer-Ausschreibung“, erläutert Steiner. „Dieser GU hat stets eine Reihe von Subunternehmern. Wie sich hier die Kommunikation durch BIM verändert, kann man derzeit noch nicht beurteilen. Wir können selbstverständlich ein BIM-Modell zur Verfügung stellen, die Bauunternehmen werden davon hoffentlich profitieren und dann sollte das positive Auswirkungen auf Bauzeit und -preis haben. Die Kennwerte können jedenfalls schon sehr früh mit höherer Detailgenauigkeit erkannt werden.“
Aber nicht nur für die beauftragten Spengler, Maurer, Installateure und alle anderen sollte die Kommunikation auf der Baustelle direkter, digitaler und optimaler ablaufen. Auch für die Anrainer ist das Verstehen dessen, was in unmittelbarer Nachbarschaft vor sich geht, ein entscheidender Aspekt dafür, gelassen in die Zukunft zu blicken und zu wissen, wie sich die Wohnumgebung verändert. „Natürlich ist bei einem Projekt dieser Größenordnung die Kommunikation mit den bereits vor Ort wohnenden Menschen sehr wichtig“, weiß Steiner. „Bis jetzt gab es durch die Gebietsbetreuung, die unmittelbar in der Berresgasse ein Geschäftslokal bespielt, eine ausgezeichnete Information über das Projekt und die künftige Baustelle. Schließlich werden hier nicht nur Wohnungen und Geschäftslokale entwickelt, sondern Straßen und Plätze. Hier gibt es naheliegenderweise eine enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden Dienststellen der Stadt Wien.“
Infrastrukturen und Wohnen
Es gibt bereits Bus-Verbindungen in der Umgebung; eine Buslinie wird künftig zwecks besserer Anbindung durch das Projektgebiet geführt. Der Schulcampus ist schon in Bau und wird eine bessere Anbindung benötigen und diese so auch erhalten.
Das Stadterweiterungsgebiet Berresgasse wird darüber hinaus eine Vielzahl an Multifunktionsräumen aufweisen, um auch gemeinschaftliche Nutzungen zu verwirklichen. Waschküchen oder Kinderspielräume gehören ohnedies zum Standard. Aber der geplante Quartierstreff mit Bibliothek oder eine Mobilitäts- und Verleihstation sowie Musik-Proberäume erweitern das Angebot und leisten ein städtisches Angebot, das hier sonst nicht vorhanden wäre. Zudem stellen Angebote wie betreutes Wohnen oder auch zwei Wohngemeinschaften Formen der sozialen Durchmischung dar, die wichtig sind, um Ghettoisierung vorzubeugen beziehungsweise den Austausch verschiedener Milieus zu begünstigen.
„Wir streuen den Wohnungsmix“, führt Steiner aus. „Wir fahren nicht die einfachste Schiene und stellen ausschließlich 2-Zimmer-Wohnungen her. Wir bieten den Bewohnerinnen und Bewohnern ganz bewusst unterschiedliche Größen. Theoretisch kann man zuerst in eine Singlewohnung gehen, dann ausweiten, damit eine Familie Platz hat, und später, wenn die Zahl der Familienmitglieder wieder geringer wird, einfach in eine kleinere Wohnung zurückgehen. Das heißt konkret, ich muss das mir lieb gewonnene Wohngebiet nicht verlassen und kann entsprechend meiner Lebenssituation die dafür geeignete Wohnung im gleichen Haus oder zumindest derselben Wohnanlage wählen.“ Für die zwei Wohngemeinschaften sind im Übrigen mehrere Garçonnièren geplant, die durch ein Gemeinschaftswohnzimmer und eine Wohnküche verbunden sind. So entsteht das individuelle Wohnen und das soziale Erleben Tür an Tür.
Bis zum Spätherbst sollte eine Baubewilligung für das Bearbeitungsgebiet der Sozialbau und Ihrer Partner vorliegen. Die Übergabe der Wohnhausanlagen an die Bewohner ist für 2022 vorgesehen. Dann findet auch die IBA – die Internationale Bauausstellung – in Wien statt. Ihr zentrales Thema ist „Neues Soziales Wohnen“. Das Stadterweiterungsgebiet Berresgasse scheint dafür prädestiniert.
Mehr Informationen Pichler & Traupmann Architekten