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Ukraine-Konflikt: Lieferketten in Gefahr?

Die Bedeutung der russischen und ukrainischen Wirtschaft auf die österreichische wirkt unterschätzt, aber dennoch erschüttert dieser Krieg – nach Corona zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit – unsere Wirtschaft und unser Geschäftsleben in den Grundfesten und stört empfindlich die Lieferketten. Rechtsanwalt Martin Schiefer über die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Kriegs auf Verträge, Ausschreibungen und das Vergaberecht.

Der Krieg hat eine Vielzahl von Auswirkungen, die überraschend schlagend wurden und im ersten Moment nicht sichtbar waren. Die Preise gehen durch die Decke, die Inflation wird angeheizt, Rohstoffbörsen kommen ins Wanken, seriöse Preiskalkulationen sind kaum möglich, die Parameter, die diesen zugrunde liegen, sind nicht berechenbar, die Lieferketten sind mehr als unzuverlässig und massiv gestört. Zudem fordern die Sanktionen gegenüber Russland sowohl rechtlich als auch moralisch ein angemessenes Handeln.

Die aktuelle Situation hat einen maßgeblichen Einfluss auf viele Verträge, Verhandlungen und Vergabeverfahren. Unterschiedliche Rechtsgebiete sind hier zu beachten. Unternehmen können und wollen die Bedingungen (öffentlicher) Ausschreibungen nicht mehr erfüllen, Zuschläge und Vertragsabschlüsse werden verweigert bzw. Vertragsverhandlungen und Angebotsabgaben abgebrochen. Besonderes Augenmerk gilt dabei für Verträge und Abrufe, die um den 23. Februar 2022 abgeschlossen oder getätigt wurden. Grundsätzlich müssen drei Fragestellungen beantwortet werden: Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Vertragsbeziehung, wer trägt das Risiko und wie muss man vorgehen, um sein Recht zu wahren? Und es muss daher unbedingt festgestellt werden, welches Recht überhaupt auf den jeweiligen Vertrag anzuwenden ist.

Bei laufenden Verträgen muss als erster Schritt der betroffene Vertrag geprüft werden, ob darin Regelungen über Fälle von Force Majeure direkt geregelt sind. Die Berufung auf Force Majeure, die höhere Gewalt, kann im Hintergrund der Ukrainekrise von vertraglichen Verpflichtungen entbinden. Es ist zumeist bei langfristigen Verträgen der Fall, dass eine entsprechende Klausel eingearbeitet ist. Ob nun die Invasion Russlands in die Ukraine und der Ausbruch des Kriegs unter die Klausel fällt, muss allerdings jeweils im Einzelfall geprüft werden. Die Wirtschaftskammer geht unter Berufung auf das Außenhandelsgesetz vom Vorliegen höherer Gewalt aus.

Befreiung von der Leistungsverpflichtung

Die Rechtsfolge ist dann häufig eine Befreiung von der Leistungsverpflichtung, solange die höhere Gewalt andauert. Hält dieser Zustand aber zu lange an, können die Parteien in der Regel den Vertrag kündigen, in Vergabeverfahren wohl auch aus dem Vergabeprozess aussteigen. Einem Urteil des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2005 zufolge, gilt im Falle von höherer Gewalt, dass prioritär eine Vertragsanpassung zu erfolgen hat, zum Beispiel durch Aussetzung der Leistung bis zum Wegfall der höheren Gewalt. Die Kündigung eines Vertrags soll erst dann zulässig sein, wenn die Leistungserbringung unmöglich oder unzumutbar ist.

Aber auch wenn der Vertrag keine konkrete Force-Majeure-Klausel enthält, ist der Vertrag auf etwaige andere Leistungsstörungsklauseln zu überprüfen. Unternehmer können im Vertrag die Risikozuteilung grundsätzlich beliebig regeln. So kann geregelt werden, dass zum Beispiel Anzahlungen beim Lieferanten auch dann verbleiben, wenn dieser seine Leistung unverschuldet nicht erbringen kann.

Unmöglichkeit der Durchführung

Enthält der Vertrag keine Regelungen über höhere Gewalt oder ist ein Krieg nicht von der Klausel gedeckt bzw. enthält der Vertrag sonst keine Leistungsstörungsregelungen, ist das jeweils anwendbare Recht für die Frage maßgeblich, welche Folgen der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine auf den Vertrag hat. Ist auf den Vertrag österreichisches Recht anwendbar, kommt für den Käufer vor allem der Rechtsbehelf der „nachträglichen Unmöglichkeit” in Betracht. Dazu muss die Erfüllung des Vertrags unmöglich geworden sein. Dies ist auch der Fall, wenn einzelne Lieferungen gemäß eines Rahmenvertrages oder einer Rahmenvereinbarung aufgrund der Unmöglichkeit nicht durchgeführt werden können. Im Falle einer nachträglichen Unmöglichkeit verbleibt das Risiko beim Leistungserbringer – dieser muss zwar nicht leisten, aber allfäIIig erhaltene Anzahlungen zurückzahlen. Ob wiederum der Russisch-Ukrainische-Krieg eine Unmöglichkeit darstellt, muss wiederum im Einzelfall geprüft werden. Überall dort, wo Lieferketten oder Rohstoffquellen unmittelbar betroffen sind, wird das wohl zu bejahen sein.

In jedem Fall sollten die Vertragspartner sich so schnell wie möglich und nachweislich über jegliche Leistungshindernisse informieren. Ebenso sollten Unternehmer darauf achten, dass ihr Schaden aufgrund eines Lieferausfalls möglichst gering bleibt. Ist dies nicht der Fall, kann dies zur Kürzung von etwaigen Schadenersatzansprüchen führen.

In laufenden Vergabeverfahren bzw. in Vergabeverfahren in Vorbereitung sind die Ausschreibungsunterlagen jedenfalls in den Bereichen der beruflichen Zuverlässigkeit und vor allem der wirtschaftlichen (Ausfall von Aufträgen, zu bildende Haftungsrückstellungen) sowie der technischen Leistungsfähigkeit (Sicherstellung der Lieferkette sowie entsprechende Bevorratung) anzupassen.

Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland

Ein dazu unter den Nägeln brennendes Thema dabei sind die Sanktionen gegen Russland. Die Sanktionspakete und Beschränkungen sind umfassend und beinhalten Güter und Dienstleistungen, den Kapital- und Finanzmarkt und damit den Zahlungsverkehr, den Luftraum, Rundfunklizenzen, regionale Sanktionen und Import- sowie Exportverbote von Waren und sanktionierte natürliche wie juristische Personen und Organisationen. Es muss in der Leistungserbringung sichergestellt werden, dass weder gegen Sanktionslisten oder ein Embargo verstoßen wird. Verstöße können Verwaltungsübertretungen mit Geldstrafen bis zu 40.000 Euro oder auch Verstöße gegen das Strafrecht darstellen.

In der Praxis zeigt sich, dass diese Themen jedenfalls zum Gegenstand der „Corporate Compliance“ zu machen sind. Die zum Einsatz kommenden Verträge sind jedenfalls in den Bereichen Preisbildung und Kalkulation, Leistungsstörungen, Insolvenzprophylaxe sowie hinsichtlich allfälliger Sicherheitsleistungen anzupassen.

Mag. Martin Schiefer im PorträtMag. Martin Schiefer

ist seit mehr als 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Seine Kanzlei Schiefer Rechtsanwälte hat Büros in Wien, Salzburg, Graz, Klagenfurt und St. Pölten.

Schiefer Rechtsanwälte