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Wolfgang Gepp, Matthias Ratheiser und Simon Tschannett (v.l.) sind die Geschäftsführer von Weatherpark
© Weatherpark

Weatherpark: Die Windflüsterer

Windforschung und Stadtklimatologie ist das zentrale Aufgabengebiet von Weatherpark, einem Ingenieurbüro für Meteorologie.

Manchmal fürchteten die Tormänner den Abstoß im alten Rapid-Stadion in Wien-Hütteldorf. Bei entsprechender Windsituation flog der Ball nämlich mehr hoch als weit und der Gegner kam bedrohlich rasch vor das eigene Tor. Angelastet wurde dieses Winddesaster dem Architekten, dem ehemaligen Rapid-Spieler Gerhard Hanappi. Doch zu Unrecht. Die feine Technik, die den verdienstvollen Fußballer auszeichnete, konnte man dem 1980 Verstorbenen auch als Architekt attestieren. Er wusste genau, wie das Stadion zu konstruieren sei, um dem Wind ein Schnippchen zu schlagen.

Leider hat der damalige Bürgermeister Leopold Gratz aus finanziellen Gründen eine Drehung des Stadions eingefordert. Dass Politiker in Architektenentscheide eingreifen ist auch heute – wider bessere Erfahrung – zuweilen festzustellen. Hätte Gratz die Experten von Weatherpark zu Rate gezogen, wäre dieser Fehler vermutlich nicht passiert. „Heute ist die Akzeptanz der Windprophylaxe spürbar gestiegen“, versichert Simon Tschannett, einer der drei Geschäftsführer der Weatherpark GmbH. Gemeinsam mit Matthias Ratheiser und Wolfgang Gepp untersucht das Unternehmen in erster Linie Fragen der Stadtklimatologie und der Windverhältnisse.

„In Wien sorgt das Wiental für frische Luft aus dem Wiener Wald“, weiß Tschannett. Die Crux ist es, die richtige Balance aus Windzufuhr und Windschutz zu finden. In Wien haben die Menschen mitunter das Gefühl, dass sie an einem Küstenort und nicht im Binnenland leben, denn die Lage am Alpen-Ostrand sorgt für entsprechende Beschleunigung, die im Wiener Becken so richtig in die Gänge kommt.

Im Fachjargon bedeutet das, dass in Wien bloß zwei Prozent Kalmen herrschen, ein Gradmesser für Windstille. „In Feldkirch allerdings haben wir 30 Prozent Kalmen und damit ein völlig anderes Mikroklima“, erläutert Tschannett und macht damit deutlich, dass in Österreich sehr unterschiedliche Windbefindlichkeiten existieren. Aber nicht nur eine regionale Verschiedenheit ist feststellbar, auch innerhalb von Wien – und natürlich im Jahresverlauf verändert der Wind sein Verhalten wie es ihm gerade gefällt.

Windkomfort bedeutet das erwünschte Maß zu finden: „Schließlich ist die Luftqualität durch den präsenten Wind in Wien besonders gut, anders als in Graz oder Linz, wo in den Herbst- und Wintermonaten die Emissionen durch das Heizen und den Verkehr nicht so leicht verblasen werden, da es häufig Invasionswetterlagen gibt, die wie ein Deckel die Schadstoffe in der Stadt halten“, macht Tschannett einen Vorteil der so unsteten Wiener Luft anschaulich.

Wind als Teil des Mikroklimas

Damit kommen wir zur Kernaufgabe von Weatherpark. Wind als ein Teil des Mikroklimas zu sehen, ist eine von vielen Maßnahmen, um die Planung mit zeitgenössischem Wissen anzureichern. Nicht umsonst erschien etwa 2015 ein von der MA22 herausgegebener Strategieplan, um den UHI, den Urban Heat Islands, den Kampf anzusagen. Grüne Infrastruktur wie Fassadenbegrünung etc. spielt dabei eine maßgebliche Rolle, aber eben auch die Eruierung des Windkomforts. Denn sowohl bei der Planung des einzelnen Objekts wie der urbanen Zentren und ihrer Peripherien sind die Windwege sinnvollerweise einzubeziehen, wie das eingangs erwähnte Beispiel vom alten Rapid-Stadion demonstriert.

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Wenn Luft auf ein massives Hindernis trifft, wird sie abgelenkt. © Weatherpark

Es kann aber auch ein umgekehrter Fall zu beachten sein. In Hamburg Rehagen hat Weatherpark eine Beratungsleistung erbracht, um die Auswirkungen einer geplanten baulichen Entwicklung auf die Kaltluftentstehung und den Kaltlufttransport in benachbarte Siedlungsgebiete zu quantifizieren und zu beschreiben. Der klimaökologische Nutzen dieser Fläche sollte trotz Bebauung erhalten bleiben.

Die Lösung war die Adaption der Planung. „Es geht in erster Linie um den Vergleich von Ist- und Plan-Zustand“, sagt Tschannett. „In Hamburg Rehagen konnten wir zeigen, dass durch den geplanten Neubau die Frischluftzufuhr in der Umgebung nur unwesentlich verändert wird. Durch unsere Berechnung konnte die Planung den Bau entsprechend adaptieren. Die sommerliche Überhitzung in der verdichteten Siedlung verändert sich dadurch kaum, und auch die weiter entfernten Teile der Stadt profitieren weiterhin von der Frischluftzufuhr.“

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Die in der Natur unsichtbaren, dreidimensionalen Luftströmungen werden im Computermodell berechnet und visualisiert. © Weatherpark

Nächtliche Kühleffekte und die Durchlüftung, um eine nährende Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten und die CO2-Emissionen zu schmälern, werden offensichtlich zunehmend zum Standortvorteil, um das Wohlbefinden der Wohnbevölkerung vor allem in Städten zu bewahren oder zu erhöhen: Schließlich geht es um Erholung und Behaglichkeit. Ein Zeichen für die globale Bedeutung der komplexen Windthematik angesichts des Klimawandels ist die mittlerweile 10te Internationale Stadtklima-Konferenz in New York, die im August (2018) stattfand. Mit Beteiligung von Weatherpark, das in einigen Forschungsprojekten involviert ist.

Aktuelle Windforschung

Beim im Frühjahr 2018 gestarteten Forschungsprojekt CLUDEX geht es unter anderem um die Auswirkung der Bauhöhen auf das Mikroklima in Wien. Dabei wird zum Beispiel die Temperaturverteilung während der Hitzewellen untersucht. Angesichts wachsender Verdichtung und der Forderung, die urbanen Räume zu optimieren, insbesondere weil Wohnraum knapp und teuer ist, ist das Bauen in die Höhe mehr und mehr attraktiv. „Im Augenblick geht das Konsortium der Frage nach, wie man 3D-Daten der Widmungsreserven kreieren kann.

Der gewidmete Raum in die Höhe ist ja prinzipiell noch bebaubar, entweder durch Aufstockung oder durch Neubau nach einem Abriss“, illustriert Tschannett. „Wir streben eine gemeinsame Karte aus den vorhandenen Scandaten der Stadt mit den Unterlagen der Widmungen an, wo wir die Bereiche identifizieren können, in welchen die Widmungsreserve am höchsten ist. Diese werden dann von uns untersucht.“

Es bestehen weltweit allerdings unterschiedliche Windsysteme und Winde. Die aus CLUDEX ableitbaren Erkenntnisse können jedoch durchaus Pionierfunktion haben, zumal nicht nur europäische oder nordamerikanische Städte mit einem wachsenden Bewusstsein hinsichtlich des Mikroklimas befasst sind, sondern vor allem die MegaCities in Schwellen- und Entwicklungsländern fallweise vor einer klimatologischen Katastrophe stehen.

„Gerade die Entwicklung in New York zeigt jedoch, dass eine Reglementierung des Gebäudetypus Vorteile beinhaltet, etwa die historische Sockelbauweise, durch welche der Sonnenlichteinfall bis auf das Fußgängerniveau gewährleistet ist und dadurch die Lebensqualität ganz beträchtlich steigt“, erinnert Tschannett. Er verweist auch auf gesundheitliche Aspekte, denn Durchlüftung und gute Präsenz von Sonnenlicht sorgen dafür, dass die Gefahr für Epidemien durch Krankheitserreger kleiner ist. Eine Maßnahme könnte dabei sein, dass Gebäude in einem bestimmten Viertel aufgeständert werden, damit eben die Frischluftzufuhr möglich wird, wenn dies durch die Verdichtung zuvor verhindert wurde.

Generell soll der öffentliche Raum durch eine engagierte Klimatologie weiter an Attraktivität gewinnen. Dazu gehört nämlich nicht nur der Windkomfort, sondern auch der Wärmeeintrag oder die Verhinderung von Frost. Die erwünschte Zunahme von Fußgängern und Radfahrern reduziert nicht nur die Emissionen, sie festigt in den allermeisten Fällen auch die Gesundheit der Bevölkerung. Angesichts zunehmender Hitzephasen im Sommer kann dabei jedoch die Verschattung von Geh- und Radwegen eine wesentliche Maßnahme sein, um die Ambition diese zu nutzen, hoch zu halten und nicht in den gekühlten PKW zu wechseln. Gleiches gilt für das Thema Feuchtigkeit, das ebenso grundsätzlich zur Klimatologie und damit zur Frage gehört, ob sich jemand im Freien aufhalten und bewegen will.

Eine rundum windige Angelegenheit

Das allgemein wachsende Bewusstsein für Fragen des Mikroklimas erfreut den Windexperten Tschannett: „Wir sind gerne sehr früh bei den Projekten dabei und arbeiten oft mit Planern zusammen, die wir schon länger kennen. Die wissen auch, dass es wichtig ist, uns von Anfang an einzubeziehen. Denn es rächt sich – wie viele Beispiele zeigen – gegen das Klima zu planen.“

Mit Stadtklimaanalysen, die von einem Expertenteam über Wochen oder Monate erstellt werden, entstehen Planungshinweiskarten für ganze Städte oder Stadtteile, aber auch für das einzelne Objekt ist die Wind- und Klimaanalyse ein hilfreiches Planungsinstrument. Dabei lassen sich die Angaben auch quantifizieren, was gerade für die Investoren und Bauherren ein zugkräftiges Argument ist. „Wind betrifft ja nicht nur die Passanten, sondern beim Hochhaus auch die Balkone. Es ist eine entscheidende Frage, ob ich Balkone vollkommen mit Glasfassaden schützen muss oder nur Teile davon oder vielleicht gar nicht“, macht Tschannett aufmerksam. Die Winddiagnose kann also auch helfen, die Kosten für einen Bau zu reduzieren, ohne dabei eine Einbuße an Qualität zu riskieren. Denn die Computersimulationen von Weatherpark schaffen eine realistische Situation des fertigen Gebäudes und der verschiedenen Windeinflüsse.

Weatherpark verantwortet dabei keine eigene Bauphysik, sondern gibt die Informationen zur Innenraumbetrachtung an die Planer, Developer, Architekten und Bauherren weiter, die dann autonom mit dem Bauphysiker die optimale Umsetzung entwickeln. „Wir stehen natürlich in Dialog und beteiligen uns beim Prozess, um die erwünschte Kühlung usw. zu erreichen“, erklärt Tschannett. „Es wäre aber zu viel, würden wir etwa Empfehlungen für Details abgeben, zum Beispiel welche Fassadenart oder welcher Jalousietyp gewählt werden soll. Allerdings können wir anhand der Simulationen feststellen, an wie vielen Tagen etwa der Wind die Nutzung der Jalousie verhindert ober massiv beeinträchtigt. Das hat dann natürlich wieder Einfluss auf die architektonische Gestaltung.“

Engagement der Zivilgesellschaft

Ein zweites Projekt, an welchem Weatherpark seit kurzem mitwirkt ist Lila4Green. Dabei soll ein Living Lab mit Bewohnern und Stakeholdern gebaut werden, um Lösungen mit größtmöglicher sozialer Wirkung und Akzeptanz in zwei Wiener Wohngebieten zu finden. Hier geht es auch darum, digitale Technologien so sinnvoll wie möglich zu nutzen und eine intelligente Beteiligung der Bewohner zu ermöglichen. Auf dem Weg in eine verantwortliche Zivilgesellschaft kann optimaler Weise jeder Einzelne zum Evaluieren ermutigt und ermächtigt werden, um damit die wünschenswerte Stadt mitzugestalten. Grüne Oasen im versiegelten Raum sind dabei natürlich ein Ziel von mehreren. „Wir streben best-practice-Beispiele an, die eben die Wünsche der Bevölkerung abbilden und zur Nachahmung animieren“, hofft Tschannett. „In vielen Fällen hängen Maßnahmen zur Abschwächung der Hitze oder zur Verbesserung der Luftqualität vom Leidensdruck und somit der Frage ab, wann raffe ich mich auf, um ein Problem zu beseitigen? Diese Frage richtet sich auch an die Politik!“

Wie schwierig aber die Frage nach einer Objektivierung ist, zeigt der Umstand, dass der Mensch bei manchen Beschäftigungen sehr viel Wind, bei manchen aber gar keinen braucht: Während sich beispielsweise der Segler über eine kräftige Böe freut, so missfällt dem Federballspieler sogar eine Brise. „Aus diesem Grund erarbeiten wir gerade ein Merkblatt, das zu ermitteln hilft, was Windkomfort grundsätzlich bedeutet und wie ich diesen quantitativ beschreiben kann, welche Kriterien ich anwende, wann der Windeinfluss erwünscht, wenn erträglich, wann jedoch lebensgefährlich ist“, betont Tschannett. Denn eines ist gewiss: Der Wind tut zwar so, als wäre er eine flüchtige Angelegenheit, aber er kommt immer wieder.

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