© Sabine Klimpt

Wiener Bauordnung

Die Ziviltechniker:innen setzen sich für eine umfassende Modernisierung der Wiener Bauordnung ein, um den Fokus auf klimafreundliches und grünes Bauen zu legen. Die Wiener Bauordnungs-Novelle wäre eine große Chance dafür. In einer gemeinsamen Pressekonferenz wiesen Planer und Vertreter der Immobilienwirtschaft auf die vielen Hindernisse und Hürden der aktuellen Bauordnung hin, die innovative Lösungen erschweren oder sogar verhindern.

Um den Klimawandel nicht weiter anzuheizen, sind tiefgreifende Änderungen unseres von fossilen Energieträgern angetriebenen Wirtschaftssystems erforderlich. Das betrifft in besonderem Maß das Herstellen, Ertüchtigen und Erhalten von Wohn-, Arbeits- und Lebensraum, also der gebauten Umwelt – und damit der Architektur- und Ingenieurbauwerke. Mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) sollen voraussichtlich bis 2040 alle fossil betriebenen Heizungen in Österreich dekarbonisiert werden. Es ist derzeit nicht absehbar, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Gleichzeitig sind Planer:innen und die Wirtschaft mit langen Verfahrensdauern und dem Problem konfrontiert, dass es nahezu unmöglich ist, bei Neu-, Zu- und Umbauten innovative Lösungen bewilligt zu bekommen. Ein Großteil der Wiener Flächenwidmungs- und Bebauungspläne entspricht nicht den aktuellen Zielen der Stadtplanung und stammt teilweise noch aus dem letzten Jahrhundert. Energieversorgung durch erneuerbare Energien, Dekarbonisierung, Anpassung an den Klimawandel waren damals noch kein Thema, so Bernhard Sommer, Präsident der zt: Kammer Wien Niederösterreich Burgenland: „Das erfordert neue Zugänge und neue städtebauliche Strategien, vor allem in der bereits gebauten Stadt.“

Langwierige Verfahren

Die Verfahren der Behörden werden als langwierig und unflexibel kritisiert. Geht es nach der Kammer, sollten die Behörden den Rahmen und die groben Ziele vorgeben, während die Umsetzung von technisch sicheren und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen den Ziviltechniker:innen, also letztlich der Wirtschaft, anvertraut werden sollte. Es wird als ihre Verantwortung und Kompetenz angesehen, nachhaltige und innovative Lösungen zu entwickeln, um eine grüne Zukunft für die Stadt Wien zu schaffen. Sie fordern mehr Spielraum, um technisch anspruchsvolle und zugleich umweltfreundliche Bauvorhaben zu realisieren. Nur so können innovative Konzepte und Ideen, die auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz ausgerichtet sind, schnell und effizient umgesetzt werden.

Um in der kurzen Zeit die erforderlichen Sanierungsschritte zu setzen und den Verbrauch von Grund und Boden zu stoppen, müssen die Flächenwidmung, die Bauordnung und die Verfahrenskultur so umgestaltet werden, dass Innovation und rasche Entscheidungen möglich sind, betont Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der Fachgruppe der Immobilien- und Vermögenstreuhänder der Wirtschaftskammer Wien. Dafür müsste zum Beispiel die Baubehörde eine neue Prüfkultur entwickeln, die sich auf Fragen der Nachbarschaftsrechte und hoheitliche Aspekte beschränkt. Derzeit berichten Planer von überschießenden Prüfungen, in deren Rahmen stückchenweise immer neue Aspekte, die für die Bewilligungsfähigkeit mitunter gar nicht relevant sind, infrage gestellt werden, mit dem Ergebnis, dass Bauakte nicht abgeschlossen werden.

Die wichtigsten Forderungen für die Wiener Bauordnungs-Novelle:

Regeln an den tatsächlichen Bedarf anpassen, Überregulierung beenden:
Die Mehrzahl der Regeln und Kennzahlen zielt auf den Neubau ab und damit auf ein Niveau, das die historische Bausubstanz überfordert. Für ein ressourceneffizientes Planen mit dem Bestand müssen die technischen Standards „übersetzt“ und flexibler gehandhabt werden. Im Hinblick auf Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimawandelanpassung können die Gesetzgebung und der Stand der Technik nicht mit dem Tempo der Forschung und technologischen Entwicklung mithalten. Um eine andere Verwaltungspraxis herbeizuführen, ist die Politik gefordert, Vorschriften und Gesetze besser abzustimmen und auf ihre
Notwendigkeit und Zielsetzung zu prüfen. Das würde auch die Kosten des Bauens verringern
und Wohnraum leistbarer machen.

Die kulturelle Qualität von Städtebau und Architektur fördern:
Wir wollen eine Förderung von qualitativ hochwertiger, identitätsstiftender und ressourcenschonender Stadtplanung und Architektur, die den erhaltenswerten Baubestand sorgfältig einbindet. In Zukunft müssen Strukturen und Qualitäten eine wichtigere Rolle spielen als Fluchtlinien. Durch die Einrichtung von interdisziplinären Gremien aus Dienststellen und unabhängigen Experten können Abwägungsverfahren und innovative Ansätze demokratisch und fachlich legitimiert und Prozesse somit effizienter durchgeführt
werden.

Der Schlüssel zum Erfolg bei der Gestaltung einer lebenswerten Umwelt liegt in der Vielfalt
der Lösungen. Der Rahmen dafür muss durch Gesetze und klare Zielvorgaben seitens der
demokratisch legitimierten Entscheidungsträger sowie durch die Verwaltungspraxis
geschaffen werden. Die Zielvorgaben müssen durch transparente Verfahren, wie etwa
Architektur- und Stadtplanungswettbewerbe, qualitativ abgesichert werden.

Entwicklung und Verfahren beschleunigen:
Die Ziele für eine klimafitte, ressourcenschonende und funktionale Stadt müssen eher heute
als übermorgen umgesetzt werden. Die Stadtplanung für morgen ist multidimensional und
lässt sich nicht mit Umrissen und Fluchtlinien definieren. Für diese immer komplexeren
Anforderungen müssen Verfahrensinstrumente und gesetzliche Weichen eingerichtet
werden, die effizient und dynamisch und gleichzeitig transparent und demokratisch sind.
Planen und Bauen sollen sich an Zielen orientieren und sich nicht an methodischen und
noch dazu überholten Vorgaben abarbeiten müssen.

Mobilität für alle statt Stellplatz für eine:n:
Der öffentliche Raum gewinnt immer mehr an Bedeutung und darf nicht mehr als großer
Parkplatz gedacht werden. Auch die Fahrbahnen selbst sind Flächen, die im
Zusammenhang mit dem Klimawandel und der Lebensqualität und nicht nur als Fortsetzung
des Autoreifens zu denken sind.

Mit der Umbenennung des Garagengesetzes in „Mobilitätsgesetz“ soll ein Umdenken
beginnen. Ein Konzept für ein bedarfsgerechtes Stellplatzregulativ wäre ein Zonenplan.
Generell sollte eine Entkoppelung von Gebäude und Fahrzeug stattfinden. Bedenkt man,
dass beim Bauen der Beton den größten CO2-Ausstoß verursacht und Garagen
üblicherweise aus Beton errichtet werden, wird das Ausmaß dieser
Ressourcenverschwendung schnell klar. Meistens werden die vorgeschriebenen Stellplätze
nicht einmal genutzt. In Städten wie Wien, wo bereits jetzt der Individualverkehr erfolgreich
minimiert werden könnte, ist so eine Vorgangsweise unverantwortlich. Denken wir an
standort-, nutzungs-, bedarfsbezogene und optimierte Mobilität und nutzen wir den
öffentlichen Raum als wertvollen und lebenswerten Aufenthalts- und nicht nur als
Abstellraum.

Zielkonflikte vermeiden:
Gravierende politische Zielkonflikte, wie sie derzeit in der Wiener Bauordnung und zwischen
den Landes- und Bundesgesetzen existieren, führen zu Pattsituationen (zum Beispiel bei der
Gehsteigbreite, der Fassadenbegrünung oder der Errichtung von Balkonen). Gerade die
komplexen Herausforderungen von heute erfordern es, klare Ziele und Prioritäten zu
definieren und diese ständig zu evaluieren und nachzujustieren. Die Wiener Bauordnung ist
eines der mächtigsten Landesgesetze. Klar ist aber auch, dass sie nicht regeln kann, was in
die Kompetenz anderer Gesetzgeber oder Gesetzesmaterien fällt, wie etwa leistbare Mieten,
Denkmalschutz, Kurzzeitvermietung und vieles mehr.

Behörden entlasten:
Durch unabhängige Ziviltechniker:innen und zielführende Digitalisierung können die
Behörden entlastet und die Verfahren beschleunigt werden. Die Expertise und
Verantwortung der Ziviltechniker:innen reicht für die mit weitreichenden Haftungen und
Verantwortlichkeiten verbundene Fertigstellungsanzeige, bei der Einreichung findet sie aber
keine Anerkennung.

Vorhandene Ressourcen nützen:
Die knappste und wertvollste Ressource ist Grund und Boden. Aber auch die Bestandsstadt
selbst muss heute als Ressource betrachtet werden. Die ideale Stadtentwicklung
berücksichtigt die vorhandenen Möglichkeiten umfassend und erlaubt und fördert Lösungen
entlang klimagerechter und gesellschaftlicher Zielvorgaben.

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