BIM: Das Ende der kreativen Planung?
Rudolf Kolbe vergleicht die aktuelle Situation mit den Anfängen von CAD in den 80er Jahren: „Da haben wir uns auch gefragt, wozu brauchen wir das? Und auch damals haben wir die Kosten für die Software hinterfragt. Viele Kollegen sehen heute BIM als Gefahr, weil scheinbar etwas vorgeschrieben wird“, bringt der Vizepräsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten auf den Punkt, was viele Planer derzeit beschäftigt: die Angst vor dem Verlust der Unabhängigkeit in der Planung.
Ein Reality check sei dringend notwendig, weil sich mit Building Information Modeling ein breites Feld zwischen Theorie und Praxis aufgetan habe, ergänzt Christian Aulinger, Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten: „Es werden derzeit mit BIM Erwartungshaltungen geschürt, die nicht mit der Realität zusammen passen. BIM wird eine Macht zugeschrieben, die so nicht haltbar ist.“ Es gehe darum, den Auftraggebern realistische Einschätzungen zu kommunizieren.
Das Themenfeld beim 1. Symposium Digitalisierung, bei dem erstmals Planende und öffentliche Auftraggeber – unabhängig von der Softwareindustrie, wie die Veranstalter betonten – über die Praxistauglichkeit von Bim und die Anforderungen an diese Technologie diskutierten, war dementsprechend breit. Die spannendsten Fragen aus Sicht der Planer seien, so Aulinger in seiner Einleitung: Inwieweit wird der Gesetzgeber Bim verbindlich vorschreiben? Welche Positionen werden Planern in diesem Prozess zugeschrieben? Und wie kann die Trennung von Planung & Ausführung aufrechterhalten werden?
Open BIM mit funktionierenden Schnittstellen
Erster Redner des Symposiums war BIM-Pionier Arte Kiviniemi, Professor für digitale Planung an der Universität Liverpool, weltweit anerkannter, führender BIM-Experte und seit 1996 maßgeblich an der Entwicklung und Implementierung dieser Technologie beteiligt. In seiner Keynote machte Kiviniemi auf die Bedeutung der IFC-Schnittstellen und ihre Grenzen aufmerksam: „Es ist wichtig zu hinterfragen, was denn der Zweck von IFC ist und wir müssen definieren, was denn nun eigentlich das digitale Modell ist.“
Der Punkt sei, dass es nicht nur ein digitales Gebäudemodell geben kann, so Kiviniemi, denn die unterschiedlichen Fachplaner haben unterschiedliche Anforderungen, unterschiedliche Inhalte und Darstellungen. Ein und dasselbe komplette Modell unter den einzelnen Fachgebieten weiterzureichen sei daher nicht zielführend. Von dieser Vorstellung müssen wir uns verabschieden. Sinn mache hingegen ein gemeinsam genutztes Datenmodell, das jeder Fachplaner mit den notwendigen Informationen ausstattet. Beim Datenabruf würden alle Planer nur die jeweiligen Änderungen in das eigene Modell übernehmen und so am jeweils aktuellsten Stand sein. Was nicht passieren sollte, so der BIM-Experte, dass jeder Planer quasi seine übertragenen Daten wieder zurück überträgt. Genau dies führe zu den Überlastungen der Schnittstellen und Datenverlust.
Kiviniemi tritt vehement für Open BIM ein. Die IFC-Schnittstelle sei nicht perfekt, gibt er zu, aber sie funktioniere im Prinzip. Die Probleme, die wir derzeit haben, und damit ist vor allem der Datenverlust gemeint, entstehen nicht aufgrund der IFC, sondern weil die IFC nicht ordentlich implementiert sind. Die verlustfreie Übertragung von Daten unterschiedlicher Herkunft – sei es aus Produkt-Datenbanken, BIM-Modellen oder FM-Modellen – ist das Ziel. Jeder kenne BIM in seinem Bereich, aber niemand kenne alles. Die Herausforderung ist, die einzelnen Disziplinen zusammen zu bringen. „BIM macht die Probleme sichtbar, die wir in der Zusammenarbeit schon immer hatten, so Kiviniemi.
Andere Vorstellungen von Raum
Kollaboration war auch das Stichwort von Iva Kovacic: „Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir alle am selben Modell arbeiten, weil jeder Fachplaner eine andere Vorstellungen von Raum hat“, so die Leiterin der Forschungsgruppe für integrale Planung im Forschungsbereich Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung an der TU Wien. Weil wir in der Planerlandschaft Mikro-Unternehmungen haben, bedeutet integrale Planung Kollaboration, wobei hier auch die Bauherren an den Tisch müssen.
Dass von Seiten der Bauherren überzogene Erwartungen an BIM gestellt würden, liege unter anderem daran, dass viele Auftraggeber gar nicht wüssten, was BIM eigentlich sei. Keiner mache sich Gedanken, was er mit BIM bezwecken möchte, welche Daten er generieren möchte. Das sei aber die Voraussetzung, wenn BIM in der Ausschreibung gesetzlich verankert werden soll.
Auch Kovacic wies auf das angespannte Verhältnis zwischen Planern und der Softwareindustrie hin: „Es ist ein Problem, wenn die Softwareindustrie uns mit ihren Programmen diktiert, wie wir zu planen haben. Gewisse Prozesse werden uns von der IT vorgeschrieben.“ Sie ruft die Planer dazu auf, die Softwareprogramme mit zu entwickeln. Zum Teil werden diese Fähigkeiten bereits auf den Unis unterrichtet, berichtete Kovacic: „Engagieren sie sich, lassen Sie sich das Lenkrad nicht aus der Hand nehmen.“
Man dürfe sich von BIM keine Wunder erwarten, so die TU-Professorin, man müsse sich den Workflow erarbeiten. Am Beginn stehe eine genaue Analyse der eigenen Bedürfnisse als Planer, und die seien nicht immer mit dem populärsten Programm abzudecken, so Kovacic: „Ich glaube, dass wir in Zukunft mit mehreren Softwareprogrammen arbeiten müssen. Ich weiß, das ist finanziell ein Wahnsinn, aber nur mit einem Werkzeug zu arbeiten – das wird sich nicht ausgehen.“
Digitalisierung als Haftungsfalle
Elementare Fragen im Zusammenhang mit der Risikozuordnung ortet Rechtsanwalt Wilhelm Bergthaler, der sich in seinem Vortrag mit Rechtsfragen zu Copyright und Kollaborationsmodellen beschäftigte. Weil es keine Übergabe der Daten im herkömmlichen Sinn und keine Stichtage gebe, sei es schwierig, den Haftungsübergang zu bestimmen. Es erfolge eine synchrone Datenansammlung, wodurch sich die Grenzen zwischen Eigen- und Fremdleistung verschieben würden, so Bergthaler.
Heikle Themenfelder ergeben sich daher in mehrerer Hinsicht: Wer hat welche Ansprüche und wie ist die jeweilige Leistung vor Nachahmung geschützt? Weiters stellen sich die Fragen: Wer ist wofür verantwortlich? Wer haftet bei einem schadenstiftenden Beitrag? Hätte man Fehler erkennen müssen? Und was ist mit Fehlern der Softwarehersteller? Bergthaler: „Kollaborationsmodelle werden so zu einem Haftungsnetz.“ Der Gesetzgeber habe bislang auf diese technischen Entwicklungen noch nicht reagiert.
Verworren sind die Regelungen auch hinsichtlich des Urheberrechts bei BIM-Daten, denn Bauwerke und auch Modelle, Pläne, Entwürfe etc. sind als Werke der bildenden Künste laut § 3 Abs 1 des Urheberrechtsgesetzes geschützt, während Computerprogramme als „Sprachwerke“ ähnlich der Werke der Literatur gelten. Daraus ergebe sich BIM als Puzzlebild mit einzelnen unterschiedlich schutzfähigen Teilen, weil es kein gemeinsames Werk geben könne, so der Jurist.
Im weiteren Vortrag ging Bergthaler auf mögliche Kollaborationsmodelle ein. Bei einem Mehrparteienvertrag warnte der Jurist vor der drohenden Solidarhaftung und empfahl eher Einzelverträge auszuarbeiten. Geregelt werden sollten dabei die BIM-spezifischen Rollenbilder auf Seiten des Auftraggebers wie Auftragnehmers und die Verantwortung, also wem welches Risiko zugeordnet wird. So hafte etwa der anweisende Werkbesteller für die vorgegebene Modellwahl, der Planer für sein Werkzeug. Von Software-Seite sind wasserdichte Haftungsausschlüsse zu erwarten. Auch wenn die Vertragsgestaltung mühsam anmute, alles sei besser als eine Solidarhaftung, so Bergthaler.
Danach ging der Jurist auf den Begriff „Technischer Schulterschluss“, wobei sich Schnittstellen als Haftungsfalle herausstellen können. Bilden die mit verschiedenen Lieferanten abgeschlossenen Verträge eine wirtschaftliche Einheit, besteht grundsätzlich eine Rechtspflicht zur Koordination der selbständigen Teilleistungen der Vertragspartner. Das sei bei BIM sehr kritisch, analysierte Bergthaler: „Hier komme man schleichend in eine Gesamthaftung, weil man die Pflicht habe zu schauen, dass das Gesamtwerk funktioniere.“
Grenzen in der Haftung zeigt der Gesetzgeber insofern auf, dass der Werkunternehmer prinzipiell davon ausgehen könne, dass sein (fachkundiger) „Vormann“ auch fachgerecht gearbeitet hat. Aber es bestehe dennoch das Risiko der „Seitenblickehaftung“: Wer zufällig mitbekommt, dass etwas falsch laufe, also ein klassischer Zufallsbefund, habe eine aktive Reaktionspflicht, erklärt Bergthaler.
Zum Abschluss zitierte der Jurist im Hinblick auf „smart contracts“ und „smart permits“, also weitgehend vertragsfreie Auftragsabwicklung mithilfe von Computerprotokollen seinen Kollegen Rainer Kurbos: „Der Umbau in ein digitalisiertes Baurecht ist unmerklich, aber schon voll im Gange.“ Prinzipiell sei nichts zu befürchten, aber man solle nicht unvorbereitet in einen BIM-Auftrag hineingehen, denn sonst sei man dem freien Ermessen der unabhängigen Gerichte ausgesetzt, meine Bergthaler augenzwinkernd.