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Die großzügige Umwidmung von Grünland in Bauland wird von Raumplanern oft spöttisch als "fünfte Fruchtfolge" bezeichnet
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Bodenverbrauch mit schweren Folgen

Am 5. Dezember war Weltbodentag: Die fortschreitende Verknappung von Agrarflächen ist ein globales Problem ersten Ranges. Während andernorts Naturkatastrophen die Lebensgrundlage ganzer Nationen gefährden, sind es in Österreich die zügellose Bau- und Siedlungstätigkeit.

Nirgends in Europa wird so viel fruchtbares Land für die Siedlungsentwicklung verbraucht wie in Österreich: Rund 7.000 Hektar waren es zuletzt im Jahresschnitt – eine Fläche größer als das Stadtgebiet von Salzburg. So verschwinden per anno 0,5 Prozent unseres landwirtschaftlichen Bodens. In Deutschland und der Schweiz ist es nur halb so viel. Laut Umweltbundesamt haben wir in den letzten 50 Jahren rund 300.000 Hektar Bauernland für Wohnhäuser, Supermärkte, Gewerbehallen, Straßen, Parkplätze und vieles andere mehr in Anspruch genommen – was der heutigen Agrarfläche ganz Oberösterreichs entspricht.

Der mangelnde Bodenschutz spiegelt wider, wie ernsthaft umwelt- und planungspolitische Aufgaben hierzulande wahrgenommen werden. Denn im Jahr 2002 hatte die österreichische Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie eine drastische Reduktion des Bodenverbrauchs bis 2010 um sage und schreibe 90 Prozent beschlossen – tatsächlich nahm er in den folgenden Jahren noch weiter zu. Dieser Umgang kann nicht mehr nur als verschwenderisch bezeichnet werden, er ist in hohem Maße verantwortungslos. Boden ist selbstredend nicht vermehrbar, fruchtbarer Boden schon gar nicht.

Die Geschichte des Bodenverbrauchs

Bis in die 90er-Jahre wurde die großzügige Umwidmung von Grünland in Bauland von Raumplanern oft spöttisch als „fünfte Fruchtfolge“ bezeichnet, da sie – in Anlehnung an die produktivitätssteigernde Drei- oder Vierfelderwirtschaft – als ultimative Bodenwertsteigerung unzähligen Bauern millionenschwere Erträge einbrachte. Heute zeigen sich zumindest die offiziellen Vertreter der heimischen Landwirtschaft längst besorgt über den Schwund an Agrarflächen durch den Bodenfraß unserer Gesellschaft, zumal selbst die theoretische Möglichkeit der Eigenversorgung Österreichs in akuter Gefahr ist. Man könnte angesichts manch unbewirtschafteter oder verwaldender Flächen meinen, dass nach wie vor genügend Grünland vorhanden sei.

Doch sind unsere Städte und Dörfer inmitten der fruchtbarsten Böden entstanden: Bis ins frühe 20. Jahrhundert lebten sie von unmittelbaren Nähe zu den Wiesen und Feldern, die Arbeit und Nahrung boten. Mit dem Bedeutungsverlust der Landwirtschaft und dem gleichzeitigen Aufkommen der Automobilisierung verlor diese räumliche Bindung schlagartig an Relevanz. Zunehmender Wohlstand und ökologische Sorglosigkeit führten zu einer raschen Ausdehnung unserer Siedlungsräume – fatalerweise genau auf jenen Flächen mit der höchsten Bodengüte. Doch nicht nur aus landwirtschafts- und umweltpolitischer Sicht ist die Vergeudung von Boden ruinös: Je sorgloser das Tourismusland Österreich seine Landschaft zersiedelt und zerschneidet, umso mehr schwächt es die Basis eines seiner wichtigsten Wirtschaftszweige.

Volkswirtschaftlich folgenschwer ist der Bodenverbrauch auch durch die extensive Besiedlung: Weitläufige Wohn- und Gewerbegebiete fernab der Ortszentren ziehen immense öffentliche Ausgaben für die Errichtung und Erhaltung der Verkehrs- und Siedlungsinfrastruktur sowie für die soziale Versorgung der Wohnbevölkerung nach sich. Es wird schnell klar, dass die überfällige Einschränkung unseres Flächenkonsums nicht von einem Ressort allein veranlasst oder auf nur einer politischen Ebene bewerkstelligt werden kann, sondern eine gesamtstaatliche Aufgabe ist.

Klare Grenzen für den Bodenverbrauch setzen

So wäre es etwa Aufgabe der Raumordnungspolitik der Länder, endlich auf einer disziplinierten Flächenwidmungsplanung der Gemeinden zu beharren – mit klaren Siedlungsgrenzen, mit Rückwidmungen des immensen Baulandüberhangs an ungünstigen Standorten sowie mit einem Umwidmungsverbot von Flächen mit hoher Bodengüte. Flankierend müssten die inzwischen bestehenden Instrumente zur Mobilisierung gehorteten Baulands zwingend Anwendung finden. Die Gemeinden sollten schon bei der Parzellierung des Baulands für deutlich kleinere Grundstücksgrößen sorgen, da sich ansonsten verdichtete Bauformen am Land niemals durchsetzen – und politische Ziele wie ein täglicher Bodenverbrauch von „nur“ 2,5 Hektar auf ewig Illusion bleiben.

Die Wohnbaupolitik der Länder müsste bodensparendes Bauen zur Bedingung für die Gewährung von Wohnbauförderung machen. Selbiges gilt für die Wirtschaftspolitik und ihre Subventionierung von Betriebsansiedlungen. Die Bundesfinanzpolitik wiederum müsste den Finanzausgleich dahingehend reformieren, dass die Kommunen nicht mehr nur für Wachstum um jeden Preis belohnt werden: Ähnlich den Stilllegungsprämien in der Landwirtschaft sollten Gemeinden davon profitieren können, wenn sie ihren Boden zum Wohle der Allgemeinheit von Verbauung freihalten.

Zudem müssten die Bürgermeister vom ruinösen und flächenintensiven Wettlauf um die Kommunalsteuer befreit werden, dem wir eine Unzahl überflüssiger oder zu groß dimensionierter  Gewerbegebiete verdanken. Laut Umweltbundesamt bestehen in Österreich 130 Millionen Quadratmeter ungenutzte lndustrie- und Gewerbehallen. Berücksichtigt man auch noch alle leer stehenden Wohn-, Büro- und Geschäftsimmobilien, kommt man auf 500 Millionen Quadratmeter verbauter Nutzfläche, die oft schon seit langem brachliegen. Längst müssten sämtliche öffentliche Entwicklungsanreize auf die Sanierung, Verdichtung und Umnutzung der bestehenden Bebauung statt auf Neubau und Neuansiedlung abzielen.

Eine bundesweite Regulierung des Markts wiederum ist im Einzelhandel vonnöten: Österreich hat mit 1,9 Quadratmeter Verkaufsfläche pro Kopf die mit Abstand höchste Einzelhandelsdichte aller EU-Staaten – und damit weit über jedes vernünftige Maß hinausgeschossen. Deutschland auf Platz zwei kommt mit lediglich 1,4 Quadratmetern aus, Großbritannien gar mit nur 0,7. Zudem sind in der BRD nur 17 Prozent des Handels flächenintensiv „auf der grünen Wiese“ situiert – in Österreich dagegen 51 Prozent. Und um dieses Bild abzurunden, sei noch angeführt, dass bei den heimischen Kaufhäusern, Supermärkten, Fachmarktzentren und Shopping Malls 2,8 Millionen Stellplätze auf die rund vier Millionen Pkws der Österreicher warten – fast ausschließlich zu ebener Erde anstatt mehrgeschossig ober- oder unterhalb der meist eingeschossigen Handelsbauten.

Straßenbau trägt zum Bodenverbrauch bei

Auch im Straßenbau sind wir Europameister. Während dem VCÖ zufolge auf jeden von uns 15 Meter Straße entfallen, findet der statistische Durchschnittsbürger in Deutschland und der Schweiz mit jeweils acht Metern sein Auslangen. Österreich hat eines der dichtesten Autobahn- und Schnellstraßennetze Europas – und, demnach wenig überraschend, ex aequo auch den höchsten Motorisierungsgrad. Die heimischen Stellplatzverordnungen tun mit ihren großzügig bemessenen Mindeststellplatzzahlen ein Übriges, dass die Summe aller Autoverkehrsflächen in diesem Land bereits der Fläche Vorarlbergs entspricht – und täglich um drei Hektar wächst. All dem müsste die Verkehrspolitik des Bundes und der Länder als ihren Beitrag zum Bodenschutz entgegenwirken. Doch werden, Klimawandel hin oder her, fleißig weiter Äcker und Wiesen für ruinöse Autobahn- und Schnellstraßenprojekte geopfert: sei es für die dubiose Waldviertelautobahn oder die Traisentalschnellstraße, sei es für die Komplettierung der Wiener Außenringschnellstraße durch die Lobau oder den verkehrspolitisch ebenso anachronistischen Westring in Linz.

Österreichs Bundesregierung und die oft noch entscheidenderen Landesregierungen zeigen keinerlei Bereitschaft, das Milliardengeschäft Autobahn- und Schnellstraßenbau einer unabhängigen Bedarfsprüfung oder gar einer wirklich seriösen Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterwerfen. Der ausdrückliche Wunsch eines Landesfürsten reicht nach wie vor, um Hunderte Hektar Agrarland unter kaum genutzten Asphaltpisten zu begraben – ungeachtet aller Einwände selbst aus dem Umweltministerium. Nicht einmal die Bereitschaft zur Begrenzung der hierzulande oft großzügigen Querschnitte von Überlandstraßen bei neuen Projekten ist gegeben, ganz zu schweigen vom sinnvollen Rückbau vieler bestehender Verkehrswege und Parkplätze.

Bodenpolitik über finanzielle Anreize steuern

Da Österreichs Politik im Bereich Siedlungsentwicklung und Verkehr nur schwer für Gebote und Verbote zu gewinnen ist, läge es nahe, über finanzielle Instrumente zu versuchen, Veränderungen herbeizuführen. So könnte eine faire Verteuerung des Autoverkehrs nicht nur die durch ihn verursachten öffentlichen Schäden an Klima, Umwelt, Immobilien und nicht zuletzt Gesundheit zumindest teilweise abgelten, sondern auch die überfällige Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs ermöglichen – der um ein Vielfaches bodensparender organisiert werden kann als der motorisierte Individualverkehr. Alle, denen derartige Vorschläge viel zu radikal erscheinen, blenden aus, dass kosmetische Reformen längst nicht mehr reichen, um unseren Ressourcenverbrauch hier und jetzt notwendigerweise um mindestens zwei Drittel zu reduzieren.

Von Flächengroßverbrauchern wie Handels- und Gewerbebetrieben könnte im Zuge der Baugenehmigung eine Art Kaution verlangt werden – für den Fall, dass ein Unternehmen den Standort schon nach wenigen Jahren wieder aufgibt und ihn als „Altlast“ in der Landschaft hinterlässt. So wie man beim Kauf eines Kühlschranks gleich auch dessen Entsorgung mitbezahlt, würde diese Kaution der Gemeinde ermöglichen, den Standort rückzubauen und wiederzuverwerten oder aber zu renaturieren. Striktere Maßnahmen wären, Baugenehmigungen auf „Green Fields“, also auf unberührtem Boden, nur dann zu erteilen, wenn nachweislich keine „Brown Fields“, kein brachgefallenes Bauland für eine bestimmte Nutzung in Betracht kommt – oder wenn als Ausgleich im selben Umfang andernorts Gewerbebrachen entsiegelt und wiederbegrünt werden. Mit einer progressiven Gestaltung der Grundsteuer und der Abwassergebühren wiederum könnten – auch im Wohnbau – flächenintensive Siedlungsformen beziehungsweise unnötige Bodenversiegelung verteuert und im Gegenzug bodenschonende Bebauungsformen aufkommensneutral unterstützt werden.

Wie so oft lohnend ist ein Blick in die Schweiz, deren Siedlungsentwicklung sich jahrzehntelang nicht grundsätzlich von jener in Österreich unterschieden hat. Ende der 90er-Jahre hat man in unserem westlichen Nachbarland allerdings die Zeichen der Zeit erkannt – und die Raumordnungs- und Verkehrspolitik Schritt für Schritt nachhaltig gestaltet, auch zum Schutz des Bodens. Bei den Eidgenossen ist nachhaltige Entwicklung kein politisches Lippenbekenntnis, sondern ein in Artikel 2 der Bundesverfassung festgeschriebenes Staatsziel – ebenso, wie die Verfassung den Bund, die Kantone und Gemeinden gemeinsam zu einem „haushälterischen“ Umgang mit dem Boden verpflichtet.

Interessanterweise wird die Politik bei der Umsetzung dieses Auftrags von der Bevölkerung zu immer restriktiveren Vorgangsweisen gedrängt. Auf Basis einer sogenannten Volksinitiative stimmten die Bürger 2012 dafür, dass kein neues Bauland mehr gewidmet wird sowie alle Bauerwartungsgebiete aufgehoben werden. Ziele wie die Ernährungssouveränität des Landes oder die Transformation der Schweiz zu einer energie- und emissionssparenden „2000-Watt-Gesellschaft“ wären – so die Mehrheitsmeinung im Stimmvolk – bei Fortschreibung der bisherigen Siedlungsentwicklung nicht erreichbar. Allen voran in der Metropole Zürich bewirkte das Referendum eine beeindruckende Neuorientierung der Stadtentwicklung, die nun kompromisslos auf Umnutzung, Durchmischung und Nachverdichtung insbesondere von bisher gewerblich dominierten Stadtteilen setzt.

So beobachtet man heute in Zürich-West neue Wohnbauten und schicke Hotels in unmittelbarer Nachbarschaft von Produktionsbetrieben, trendigen Boutiquen und Lokalen nebst einer modernen Müllverbrennungsanlage – oder eine zum Bildungs- und Kulturzentrum umgebaute Molkerei, umspült von Eisenbahn- und Straßenverkehr in Hochlage. Im Stadtteil Oerlikon wurde ganz selbstverständlich ein großer Supermarkt mit fünf Geschossen Büros und Wohnungen überbaut. Und neben ebenerdigen Industriehallen mit weitläufigen Parkplätzen aus früheren Zeiten finden sich immer öfter auch fünfstöckige Gewerbebauten oder siebenstöckige Parkhäuser. Selbst ein neuer Grünraum wurde in Oerlikon mehrgeschossig ausgeformt: Der MFO-Park auf dem Gelände einer früheren Maschinenfabrik wird von einem 17 Meter hohen Stahlgerüst von der Dimension des historischen Fabriksgebäudes umfasst – in das üppig begrünte Rankseile, Pflanzentröge, Treppen, Galerien und Terrassen eingehängt sind. So kann der dreidimensionale Grünraum auf unterschiedlichen Ebenen genutzt und erlebt werden – und auf knappem Raum das bieten, wofür ein herkömmlicher Park eines Vielfachen an Fläche bedürfte.

DR. REINHARD SEISS studierte Raumplanung und Raumordnung an der Technischen Universität Wien und arbeitet als freier Planer und Berater, Fachpublizist und Filmemacher in Wien.

 

Weiterführende Informationen zu Zersiedlung.

So gehen Gemeinden mit Zersiedlung um.