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„Die KIM-Verordnung wird als Vorwand benützt“

Immer wieder wurde der Ruf nach der Abschaffung der KIM-Verordnung (Kreditinstitute-­Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung) laut, oder zumindest Verbesserungen durchzuführen - beispielsweise was die Ausnahmekontingente betrifft. Im Interview nimmt Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA), Stellung zu diesen Vorwürfen, erklärt warum die Bauwirtschaft aufhören sollte, die KIM-Verordnung als Sündenbock zu missbrauchen und lehnte eine Aufweichung ab. Doch der Druck war letztlich stärker. Inzwischen fiel die Entscheidung, bei den Ausnahmekontingenten Verbesserungen vorzunehmen.

Bei der Bauwirtschaft schrillen die Alarmglocken: Die fertiggestellten Neubaueinheiten gehen 2024 bereits deutlich zurück, ab 2025 wird ein dramatischer Abfall erwartet. Praktisch alle Bauträger vermelden seit Monaten eine sinkende Nachfrage. a3BAU führte ein Interview mit FMA-Vorstand Helmut Ettl über die KIM-Verordnung:

a3BAU: Dem Wohnbau drohen dramatische Rückgänge, einige Vertreter der Bauwirtschaft, insbesondere Bauträger, fordern die Abschaffung der KIM-Verordnung, die ein zusätzlicher Hemmschuh am Weg zu Wohnungseigentum für die Österreicher sei. Wie lange wird es die KIM-Verordnung noch geben?

Helmut Ettl: Wie schaut die Entwicklung der österreichischen Wohnimmobilienwirtschaft aus? Bis 2010 sind die Preise von Wohnimmobilien in Österreich völlig parallel zur Einkommensentwicklung gelaufen. Bis dahin haben wir auch niemals irgendeine große Krise im Wohnimmobilien-Bereich erlebt. Im Zuge der globalen Finanzkrise und der nachfolgenden Schocks haben sich dann aber die Immobilienpreise – und später die Baukosten – von der Einkommensentwicklung entkoppelt. Die Preise von Wohnimmobilien haben sich zwischen 2010 und 2022 mehr als verdoppelt, die verfügbaren Einkommen sind hingegen lediglich um 50 Prozent gestiegen. Hier ist eine Schere aufgegangen, die vorerst durch ein lang anhaltendes, extrem niedriges Zinsniveau, das es so davor noch nie gegeben hat, zugedeckt worden ist. Die extrem niedrigen Fremdfinanzierungskosten haben verschleiert, dass die Leistbarkeit der Wohnimmobilien immer schwieriger geworden ist. Und dann ist noch eines passiert: Diese Diskrepanz zwischen der Preis- und der Einkommensentwicklung ist zusätzlich durch eine immer lockerere Kreditvergabe überbrückt worden. Das hat uns auf den Plan gerufen, weil lockere Kreditvergabe nichts anderes heißt als ein erhöhtes Risiko, dass die Rückzahlung dieser Kredite nicht mehr gewährleistet ist und dass an Menschen Kredite vergeben werden, die nicht mehr in der Lage sind, über den langen Zeitraum die Kreditrückzahlung zu stemmen. Ich darf in Erinnerung rufen: Die globale Finanzkrise 2008 wurde durch die Subprime-Krise in den USA ausgelöst. Um Eigentum zu ermöglichen, wurde dort die Immobilienkreditvergabe dereguliert. Es wurden an einkommensschwache Bevölkerungsschichten in den USA – die sich eigentlich Wohneigentum nicht leisten konnten – trotzdem Kredite vergeben. 2007 platzte die Immobilienblase und die Kreditnehmer verloren ihre Eigenheime über Nacht wieder, letztlich löste die Sub-Prime-Krise 2008 die globale Finanzkrise aus. Immobilien­finanzierungen sind einer der großen Faktoren der Finanzmarktstabilität. Und die zu wahren ist unser vorrangiger gesetzlicher Auftrag. Wir sind daher an einer nachhaltigen Kreditvergabe interessiert, damit die Finanzmarktstabilität auch in Zukunft gewährleistet sein wird. 

Helmut Ettl im Interview

Diese Gefahr, die Sie beschreiben, dieses Schreckgespenst ist in Europa und speziell in Österreich aber nie aufgetreten …

In einem Finanzmarkt ist es immer so, dass alles das erste Mal auftritt. Und im Übrigen haben die Fremdwährungskredite, die – bis wir sie 2008 verboten haben – auch sehr stark zur Immobilienfinanzierung verwendet wurden, den Banken letztlich sehr große Probleme bereitet, und zum Teil – insbesondere auf ihren Märkten in Zentral- und Osteuropa – bereiten sie ihnen das bis heute. Wenn eine Entwicklung neu ist, ist man oft unvorbereitet, weil man der Auffassung ist, so etwas kann nicht passieren. Der Franken-Wechselkurs-Schock hat die Kosten für viele Kreditnehmer letztlich um 40, 50, 60 Prozent und mehr erhöht. Jede Finanzkrise ist genau so entstanden, weil man wesentliche Faktoren – wie eben eine übermäßige Kreditvergabe – ausgeblendet hat. Übermäßige Kreditvergabe heißt noch nicht, dass sich eine Finanzkrise wirklich entwickelt, aber über die Zeit kommen oft noch verschiedene Risikofaktoren hinzu – wir haben jetzt eine nie gekannte Inflation, davor Covid, Lieferkettenprobleme und einen Ukraine-Schock. Das sind Momente, die von außen hereinkommen und wo wir wissen, so etwas übersteht man am besten, wenn man solide aufgestellt ist. Wenn man hart an die Grenzen der finanziellen Leistungsfähigkeit geht oder gar darüber hinaus, ist man besonders verwundbar.

Was Sie beschreiben, ist eine Art System-Risiko. Der Bankenverband bestreitet allerdings vehement, dass man keine vernünftige Kreditvergabe betrieben habe. Und untermauert diese Aussage auch damit, dass es in Österreich immer sehr geringe Kredit-Ausfallsquoten gibt, auch jetzt …

Ja, im Segment der Hypothekarkredite haben wir derzeit noch sehr geringe Ausfallsquoten. Wir sehen aber bereits Verschlechterungen bei den Risikoeinstufungen. Und wann hat man Maßnahmen zu setzen? Nicht erst, wenn die Ausfallsraten hoch sind, sondern dann, wenn man noch etwas beeinflussen kann. Wir haben gesehen, dass sich die Kreditvergabestandards der Banken verschlechtert haben.

Kann man das tatsächlich so pauschal sagen?

Ja, wir reden nicht von einzelnen Banken, sondern vom Trend im gesamten Markt. Wir haben hier eine systemische Sichtweise und fokussieren nicht auf eine einzelne Bank X, sondern reden über den österreichischen Bankensektor. Da haben wir seit 2010 – seit dem extremen Niedrigzinsumfeld – eine kontinuierliche Verschlechterung, eine immer lockerere Kreditvergabe gesehen. Das war der Moment, wo wir von Institutionen weltweit und in Europa, deren Aufgabe die Überwachung der Systemstabilität ist, aufgefordert wurden, rechtzeitig Maßnahmen zu setzen und nicht erst, wenn es zu spät ist. Wir haben hier Warnungen und Empfehlungen des Europäischen Systemrisikorates (ESRB) bei der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds sowie der OECD vorliegen, die diese Entwicklungen einordnen und auch ein kollektives historisches Bewusstsein über die verschiedensten Arten von Finanzmarktkrisen aufgebaut haben. Wir haben bis jetzt keine große Immobilienkrise in Österreich erlebt, und wir wollen das auch nicht erleben. Daher ist es wichtig, rechtzeitig zu handeln und auch immer wieder zu erklären, warum wir es machen. Wir machen es nicht deshalb, weil wir schon große Ausfälle haben, sondern weil die Risiken enorm zugenommen haben und sich die wirtschaftliche Lage signifikant verschlechtert. Wir haben derzeit noch eine sehr hohe Beschäftigung, aber die Wirtschaft lahmt und schrumpft zum Teil sogar; nicht nur in Österreich, auch in für uns wichtigen Auslandsmärkten. Wir werden in der nächsten Zeit sehen, dass die Anspannungen zunehmen werden, fürchte ich.

Wir sehen aber auch, dass wir in eine Baukrise schlittern und das ist volkswirtschaftlich auch nicht unbedingt förderlich. Ist es gerechtfertigt, eine Baukrise zu riskieren, um ein vermeintliches Systemrisiko abzuwehren? Die KIM-Verordnung wurde eingeführt, als die Zinsen bereits im Steigen waren und die Kreditnachfrage ohnehin zurückging. Die zentrale Frage, die sich daher stellt: Ist die KIM-Verordnung noch zeitgemäß?

Eine Verordnung der FMA, die so etwas regelt, kommt immer zur gefühlten Unzeit bei den Beteiligten. Für uns ist das eine Bestätigung, dass die KIM-Verordnung wirkt, etwas verändert und verbessert. Die KIM-Verordnung beeinflusst die Entwicklung des Kreditvergabevolumens nicht nachhaltig. Wir haben im ersten Halbjahr 2022 – als Vorzieheffekt – eine massive Ausweitung der Neukreditvergabe gehabt, im zweiten ist sie massiv gefallen. Der anhaltende signifikante Rückgang der Kreditvergabe ist eine Folge mangelnder Leistbarkeit und großer Verunsicherung. Was ist da passiert? Praktisch gleichzeitig hat die Zinswende der EZB eingesetzt, die Zinsen sind massiv gestiegen und damit sind die Fremdfinanzierungskosten massiv gestiegen. Zudem waren und sind viele potenzielle Kreditnehmer angesichts stark gestiegener Lebenshaltungskosten stark verunsichert. Was passiert da jetzt noch weiter? Kann ich mir vor diesem Hintergrund in einer anderen Zinslandschaft mein Projekt noch leisten, wenn ich bis dahin de facto mit Nullzinsen kalkuliert habe? Die Generation, die im Käufermarkt tätig ist, hat bis zu diesem Moment weder Inflation kennengelernt, noch kannte sie ein normales Zinsniveau. Damit ist es nicht verwunderlich, dass auf einen Schlag die Nachfrage nach Krediten massiv eingebrochen ist. Es ist daher nicht das Thema, dass die Kreditvergabe verknappt worden wäre, sondern dass die Kreditnachfrage eingebrochen ist. 

In der KIM-Verordnung sehen Sie also nicht den Grund für den Rückgang des Neukredit-Volumens?

Nein. Wir haben die KIM-Verordnung mit dem Ziel in Kraft gesetzt, dass die Kredite nachhaltig vergeben werden, die Leistbarkeit im Vordergrund steht, nicht die hypothekarische Besicherung. Und das erreicht sie. Die KIM-Verordnung selbst ist, was die Vergabekriterien betrifft, im internationalen Vergleich nicht als besonders streng anzusehen. Der Hausverstand der Österreicher steht auch hinter der KIM-Verordnung. Bei einer Beleihungsquote von 90 Prozent muss man nur zehn Prozent selbst aufbringen. Das ist jetzt nicht unbedingt die Welt. Bei einer Beleihungsquote von 100 Prozent kann ich mir etwas kaufen ohne eigenes Geld. Das entspricht nicht der Kultur der Österreicher. 

Kritisiert wird von der Bauwirtschaft vor allem die Grenze von 40 Prozent des Netto-Haushaltseinkommens für die Rückzahlungsquote. Bei einkommensschwächeren Haushalten ist die vermutlich gerechtfertigt, bei Besserverdienern sollten diese die Wahl haben, ihr Mehr an Einkommen in Wohneigentum zu investieren oder mehr zu konsumieren. Also warum an der starren 40-Prozent-Grenze festhalten?

Die Verordnung ist sehr einfach gestrickt und damit sehr transparent. Um nicht jeden einzelnen Fall im Detail regeln zu müssen, haben wir uns für sehr großzügige Ausnahmekontingente entschieden: Wir haben den Banken gesagt, für Fälle, wo ihr überzeugt seid, nachhaltig finanzieren zu können, obwohl das eine oder andere KIM-V-Kriterium nicht erfüllt ist, gestehen wir euch ausreichende Ausnahmekontingente zu. 20 Prozent der Gesamtkreditvergabe der Banken können so außerhalb der KIM-V-Kriterien erfolgen.

Der Bankenverband sagt dazu, dass die Ausnahmekontingente teilweise sehr kompliziert formuliert sind …

Also ganz ehrlich, das ist eine der einfachsten Verordnungen, die jemals im Finanzmarktbereich geschrieben wurde. Die Verordnung ist aufgrund der wenigen Parameter einfach handhabbar. Die Ausnahmekontingente werden aber bei weitem nicht ausgeschöpft.

Gegenargument: Die Ausnahmekontingente sind mit ihren Parametern teilweise verschränkt und dürfen insgesamt auch nicht eine gewisse Summe überschreiten. Da wäre man sehr beschränkt und würde sich wünschen, dass man diese Regelungen gemeinsam überarbeitet …

Das ist einfach ein irreführendes Argument. Wenn über alle Aus­nahmekontingente hinweg 50 Prozent des potenziellen Volumens nicht ausgenützt wurden, dann sind wir weit davon entfernt, dass wir eine Ausweitung der Kontingente brauchen. 

Offensichtlich gibt es Bereiche, wo man mehr Ausnahme­kontingente brauchen würde und andere, die gar nicht ­gebraucht werden …

Wir haben das ganz klar analysiert. Es hat nie einen Mangel bei den Ausnahmekontingenten gegeben, es gibt daher auch kein Problem im Kreditangebot. Es wäre daher ehrlicher zu sagen, dass die Kreditnachfrage leider zurückgegangen ist. Das ist eigentlich das, was wir am Markt heute beobachten.

Der Bankenverband glaubt, dass ohne KIM-Verordnung rund zehn Prozent mehr Kredite vergeben werden könnten. 

Das deckt sich einfach nicht mit den Zahlen, Daten und Fakten, die uns die Banken selbst berichten müssen. Wir evaluieren – gemeinsam mit der Oesterreichischen Nationalbank – laufend. Unsere Aussagen basieren daher nicht auf Anekdoten, sondern auf Fakten. Auf einige Argumente der Banken, die eine gewisse Berechtigung hatten, haben wir auch sehr rasch mit einer ersten KIM-Verordnungs-Novelle reagiert.

Die Novelle betrifft aber nicht die Kernsegmente, die stören, wie zum Beispiel die 40-Prozent-Grenze ... 

Im Bankensektor gibt es unterschiedlichste Wortmeldungen: „Die KIM-Verordnung gehört überhaupt weg“; dann hat es Leute gegeben, die gesagt haben, „das ist die Entmündigung des Bankensektors“ usw. Das sind Wortmeldungen, die wir immer wieder hören, was uns aber nicht davon abhält, unseren Auftrag, nämlich die Finanzmarktstabilität zu stärken, sicherzustellen. Da die Zahlen so klar sind, dass 50 Prozent des Ausnahmekontingents nicht genutzt werden, dann kann es nicht sein, dass irgendein Kredit, der eigentlich vergeben werden könnte, da rausrutscht. Das ist nicht möglich. Da werden einfach Argumente in den Raum gestellt, die nicht durch Zahlen, Daten und Fakten belegt werden können. Bei jedem Gespräch sagen wir: Erzählt keine Geschichten, bringt uns Zahlen, Daten und Fakten. Wir tun uns sehr schwer, über nicht zahlenbasierte Sachen zu diskutieren. Es ist offenkundig für einige Banken leichter, dem Kunden zu sagen: Du bekommst den Kredit nicht, weil es die KIM-Verordnung gibt. Als ihm zu sagen: Lieber Kunde, wir können dir leider keinen Kredit geben, weil den kannst Du dir nicht leisten. 



Sie vermuten, dass die KIM-Verordnung hier als Ausrede dient? 

Es ist unsere jahrelange Erfahrung, dass Regulierungen der FMA vorgeschoben werden, um dem Kunden nicht die ganze Wahrheit ins Gesicht sagen zu müssen. 

Warum sollten die Banken diese Kredite nicht weiterhin vergeben wollen, wenn die Ausfallquoten im Hypothekarbereich so minimal sind? Es ist eine Tatsache, dass Bauträger seit Monaten kaum Wohnungen verkaufen. Das kann es ja auch nicht sein. So steuern wir auf einen Wohnungsmarkt zu, der kein Angebot mehr hat. Das kann auch nicht im Sinne der Leistbarkeit sein. 

Es ist eine Frage der Leistbarkeit. Und Ausfallquoten von heute, geprägt durch ein historisch einmaliges Niedrigzinsumfeld, sagen nichts über Ausfallquoten in der Zukunft aus, geprägt von einem normalen oder Hochzinsumfeld. Hinter Ihrer Frage steckt zudem das Thema, dass Bauträger im Niedrigzinsumfeld zum Teil zu anderen Preisen kalkuliert haben, weil sie andere Finanzierungskosten zugrunde gelegt hatten, als sie sie jetzt bei normalisierten Zinsen vorfinden. Das Gleiche passiert auch auf der privaten Kreditnehmerseite. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob die Finanzierung mit einem Prozent oder mit fünf Prozent zu verzinsen ist. Das stellt dann die Frage, ob dieser Kredit noch leistbar ist. Die Leute warten derzeit ab, wie sich die Zinsen weiterentwickeln und überlegen, ob sie gerade jetzt – bei all den großen Unabwägbarkeiten mit Inflation und Jobunsicherheit – in den Immobilienkauf einsteigen sollen und sich tatsächlich in eine langfristige Finanzierung begeben wollen.

Dass jemand seinen Job verlieren kann, diese Unsicherheit hat es immer schon gegeben ...

Aber wir hatten noch selten so viel Verunsicherung gehabt wie jetzt. Alle Umfragen bestätigen, dass die Stimmung nicht gut ist. Die Leute sind im Moment verdammt verunsichert, wie es weitergeht. Und wissen Sie, wie die Kreditvergabe in anderen Ländern läuft, die im Juli 2022 keine KIM-Verordnung eingeführt haben? Im Wesentlichen parallel zu Österreich. In Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, der Slowakei ist die Kreditvergabe sogar noch stärker zurückgegangen als bei uns. Die Kreditvergabe ist fast in ganz Europa eingebrochen – durch die Zinswende, durch die große wirtschaftliche Verunsicherung. 

Wie schätzen Sie die Zinsentwicklung im Jahr 2024 ein? 

Wir wissen es nicht. Das ist eine Frage, die man an die Notenbanker weitergeben muss, da sind wir nicht die Experten. Wir sagen nur – unabhängig von der Zinsentwicklung –, dass wir uns jetzt so aufstellen müssen, dass wir alle Eventualrisiken, die auf uns zukommen könnten, auch bewältigen können. Es ist unsere Aufgabe, dass in dieser Situation keine übermäßigen Risiken eingegangen werden. Wir sagen den Banken, die im Jahr 2023 Rekordgewinne gemacht haben: Überlegt bitte genau, wie es weitergeht und wie viel ihr als Reserve zurücklegt und nicht ausschüttet. Die geopolitische Lage ist derzeit sehr unsicher. Und das wirkt sich bis zum kleinen Bürger in Österreich aus. 

Die Bauwirtschaft ist aber ohne Zweifel eine der Säulen unserer Volkswirtschaft, die es zu stützen gilt. Sehen Sie das nicht so?

Es geht um die Leistbarkeit. Und die kann man nicht erhöhen, indem man die Kredite lockerer vergibt, die Verschuldung massiv erhöht. Wenn Kredite vergeben werden, obwohl sich die Kundschaft diese nicht leisten kann, werden weder Kreditgeber noch Kreditnehmer glücklich. 

Leistbarkeit ist auch eine Frage von Angebot und Nachfrage. Derzeit steuern wir auf eine Wohnungsnot zu …

Es geht nicht nur um Angebot und Nachfrage, sondern eben auch um Leistbarkeit. Wenn wir darüber reden, wie Menschen zu leistbaren Wohnungen kommen, geht in der Debatte völlig unter, wie sich die Wohnbauförderungsausgaben in Österreich seit 2010 entwickelt haben. Da geht es um Gelder, die im österreichischen Staat aufgebracht werden und eigentlich für leistbares Wohnen zur Verfügung gestellt werden sollten. Diese Mittel sind seit dem Jahr 2000 um zwei Drittel zurückgegangen, gemessen am BIP. Damals waren wir bei 1,2 Prozent Wohnbauförderungsausgaben und heute sind wir bei 0,4 Prozent. Da frage ich mich, warum? Wie schaut es mit der steuerlichen Förderung aus? Das sind materielle Themen, die man in diese Diskussion einbringen muss. Wir sind nicht die Wohnbauförderungsexperten, aber das sind Dinge, die uns auffallen. Mir kommt vor, dass mit der KIM-V eine Ablenkungsdiskussion geführt wird. Über die Kreditvergabe-Standards wird man, bin ich überzeugt, relativ wenig Veränderungen herbeiführen, was die Belebung des Wohnbaus anbelangt. 

Wie stehen Sie zur Diskussion über die rückwirkende Umwandlung von variablen zu Fixzinskrediten?

Das ist eine politische Diskussion. Wir haben als FMA dazu bis jetzt keinen Vorschlag gesehen. Wir kennen das Thema nur aus der Zeitung.

Sie würden diesen Vorschlag nicht unterstützen?

Wir können nicht etwas unterstützen oder dagegen sein, solange wir nicht gesehen haben, was genau hier gemacht werden soll.

Die Evaluierung, die Sie vorhin angesprochen haben, betrifft nur den Markt an sich, nicht die KIM-Verordnung, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Die bleibt, bis sie im Juni 2025 ausläuft. Wird es danach eine KIM-VO II geben?

Die Evaluierung erfolgt durch das Finanzmarktstabilitäts­gremium FMSG unter dem Vorsitz des Finanzministeriums auf Basis von Zahlen, Daten, Fakten, Analysen und Studien laufend. Diese Experten analysieren die Entwicklung der Märkte, die Wirkung der KIM-Verordnung und diskutieren Anregungen und Verbesserungsvorschläge. Die KIM-V selbst wurde ja auf Basis einer Empfehlung dieses Finanzmarktstabilitätsgremiums gedraftet, die nachhaltigen Vergabekriterien wurden von diesem Gremium festgelegt und die FMA hatte sie rechtlich umzusetzen. Auf Basis von Empfehlungen des Finanzmarktstabilitätsgremiums haben wir die Novellierungen vorgenommen, auf Basis der weiteren Empfehlungen werden wir als Finanzmarktaufsicht die weiteren Schritte setzen. Das heißt, es wird jetzt einmal evaluiert und dann geschaut, wie es 2025 weitergeht. 

Wäre für die Zeit danach das Modell möglich, die KIM-Verordnung nur dann in Kraft zu setzen, wenn die Zinsen unter – zum Beispiel – drei Prozent fallen? Sind sie höher, dann regelt sich der Markt selbst – ein möglicher Denkansatz für Sie?

Nein. Denn keiner kann mir erklären, dass die jetzigen Kriterien der KIM-Verordnung auch nur irgendwie überschießend sind. Wie gesagt: Eine prudente Kreditvergabe an private Haushalte war in der Vergangenheit in Österreich kaum umstritten. Im Jahr 2017 haben wir genau mit diesen Kriterien eine Empfehlung herausgegeben. Und was hat uns die Bankenindustrie damals gesagt? Was wollen Sie? Das ist ohnehin selbstverständlich, dass man das einzuhalten hat. In weiterer Folge haben wir aber gesehen, dass diese Kriterien nicht eingehalten wurden. Daher haben wir das Ganze rechtlich verbindlich gemacht. Sie werden kaum einen Experten finden, der diese Kriterien langfristig und nachhaltig für falsch hält. 

Zusammenfassend bestehen die Auffassungsunterschiede ­darin, dass für die FMA die Geldvergabe zu locker war, Sie daher eingegriffen haben und die Kreditvergabe jetzt im richtigen Rahmen läuft? 

Die Kreditvergabe, also die Menge, die jetzt abgerufen wird, ist nachfragegesteuert. Das heißt, es gibt zu wenig Kreditnachfrage. Die Banken können gar nicht so viele Kredite vergeben, weil sich viele die nicht leisten können oder derzeit nicht wollen und daher nicht nachfragen. Das hat Gründe, die nicht in der KIM-Verordnung zu finden sind. Es kann nicht sein, dass in ganz Europa zum gleichen Zeitpunkt die Kreditvergabe so einbricht und nur in Österreich ist die KIM-Verordnung dafür verantwortlich. Das hat in Wahrheit mit der Zinswende der EZB sowie dem enormen Druck auf die verfügbaren Haushaltseinkommen zu tun. 

Sie sehen sich jedenfalls nicht in der Verantwortung für den Einbruch …

Auf keinen Fall. Zahlen, Fakten und Daten geben das auch nicht her. Und dass wir für vernünftige Kreditvergabe-Standards eintreten, ist jetzt keine Überraschung, das ist unser Job. Aber leistbares Wohnen setzt nicht an einer lockeren Kreditvergabe an, sondern setzt am verfügbaren Einkommen und am Preis an, der zu zahlen ist von den Bürgerinnen und Bürgern. Und da sind ganz andere Instrumente erforderlich. Warum redet niemand darüber, dass die Wohnbauförderung um zwei Drittel zurückgegangen ist? Wo ist das Geld? 

Zur Person

Mag. Helmut Ettl ist Vorstand der Finanzmarktaufsicht (FMA). Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes-Kepler-Universität Linz und trat 1995 in die Oesterreichische Nationalbank ein. 2008 wurde Ettl zum Vorstandsmitglied der FMA bestellt, seit 2011 ist er Mitglied im „Rat der Aufseher“ (Board of Supervisors) der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und im Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB). Seine aktuelle Funktionsperiode als Vorstandsmitglied der FMA läuft bis 13. Februar 2028. Seit Jänner 2014 ist Helmut Ettl stimmberechtigtes Mitglied des Aufsichtsgremiums (Supervisory Board) der Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB).