Quo vadis Energieausweis: Baustein des Green Deal oder lästige Pflicht?
Text: Reinhard Ebner
Nach Meinung von Branchenexperten ist der Nutzen des Energieausweises aus derzeitiger Sicht eher ausbaufähig. Dabei hätte er durchaus das Zeug zum Planungstool.
In Oberösterreich feiert der Energieausweis heuer sein 25-jähriges Jubiläum. Die gesetzliche Einführung erfolgte hier bereits 1999, einige Jahre später zogen auch die übrigen Bundesländer nach. Wie für Österreich nicht untypisch, bilden die Regelungen zum Energieausweis hierzulande eine föderalistische Mischkulanz, zu der auch Bund und Europäische Union ihren Beitrag geleistet haben. Immer wieder kam es zu gesetzlichen Änderungen auf Bund- und Länderebene.
Einen wesentlichen Anstoß lieferte die EU-Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vulgo Energy Performance of Building Directive (EPBD) aus dem Jahr 2010. Umgesetzt ist die EU-Direktive teils durch die OIB-Richtlinie 6 „Energieeinsparung und Wärmeschutz“, teils durch das Energieausweis-Vorlagegesetz (EAVG) von 2006. Letzteres wurde 2012 novelliert.
Das Layout des Energieausweises weicht regional geringfügig ab, immerhin konnten sich jedoch alle neun Bundesländer auf einheitliche Berechnungsstandards verständigen. Und für die Erstellung selbst wird auf verbindliche Normen zurückgegriffen – von Önorm B 8110-2 (Wärmeschutz im Hochbau – Wasserdampfdiffusion, -konvektion und Kondensationsschutz) bis Önorm H 5059 (Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden – Beleuchtungsenergiebedarf).
Ungeliebte Pflichtübung
Vorgelegt und ausgehändigt werden muss ein gültiger Energieausweis zurzeit bei der Vermietung, Verpachtung und beim Verkauf von Gebäuden oder Nutzungsobjekten. Die Pflicht trifft demnach Verkäufer, Vermieter oder Verpächter. Wird sie nicht eingehalten oder ist der Energieausweis älter als zehn Jahre und somit abgelaufen, kann eine Verwaltungsstrafe von bis zu 1.450 Euro verhängt werden.
Dafür dass die Vorlagepflicht vom Gesetzgeber so streng verfolgt wird, ist der Nutzen des Energieausweises nach Meinung von Branchenexperten aus derzeitiger Sicht eher ausbaufähig. „Die Ursprünge des Energieausweises liegen im letzten Jahrhundert, für den damaligen Stand mag das eine innovative Entwicklung gewesen sein“, so Alfred Waschl. Der heutige Vorstandssprecher der digitalen Bauplattform buildingSMART Austria war zu diesem Zeitpunkt Eigentümer eines technischen Büros. „Wir haben den Stundenaufwand für einen Energieausweis, also für Datenerhebung, Unterlagenerstellung und Ausarbeitung, kalkuliert und kamen auf einen Preis von rund 1.000 Euro ohne Mehrwertsteuer“, erinnert er sich. „Mittlerweile bekommt man einen Energieausweis schon um 150 Euro. Da kann gar kein aussagekräftiges Dokument dabei herauskommen.“
Der Preisverfall müsse notwendigerweise auch zu sinkender Qualität führen und damit zu Kennzahlen, „die von der Realität oft meilenweit entfernt sind“. Zur Ausstellung eines Energieausweises berechtigt sind viele Berufssparten – vom Baumeister zum Elektrotechniker, vom Zivilingenieur zum Innenarchitekten. Ja, sogar Hafner und Rauchfangkehrer sind dazu in bestimmten Fällen befugt. Freilich kann und will nicht jeder bei diesem Preiskampf mitbieten.
Von HWB bis PED
Kennzahlen, die im Zuge der Erstellung eines Energieausweises berechnet werden, betreffen den Heizwärmebedarf (HWB), den Primärenergiebedarf (PED), die Kohlendioxidemissionen und den Gesamtenergieeffizienzfaktor (fGEE). Hier setzt Michael Vatter, Geschäftsführer der Vatter & Partner ZT-GmbH, an: „Ein wesentlicher Kritikpunkt am derzeitigen Energieausweis ist der Fokus auf Heizwärmebedarf und Gesamtenergieeffizienzfaktor.“
Der HWB beschreibt den reinen Energiebedarf für die Beheizung eines Gebäudes und wird häufig als Hauptkennzahl für die energetische Qualität herangezogen. Der fGEE ergänzt dies, indem er die Energieeffizienz der gesamten Haustechnik miteinbezieht. Diese Nachweisführung habe – so Vatter – in der Vergangenheit durchaus zur Förderung energieeffizienten Bauens beigetragen.
„Allerdings zeigt sich, dass diese beiden Werte nicht ausreichen, um den tatsächlichen Einfluss eines Gebäudes auf das Klima zu erfassen. Sie berücksichtigen weder die Art der eingesetzten Energiequellen, noch die CO2-Emissionen, die bei der Energieerzeugung entstehen.“ Vonnöten sei ein umfassenderer Ansatz. Die Nachweisführung müsse daher stärker auf den Primärenergiebedarf und den CO2-Ausstoß ausgerichtet werden. So könne der Einsatz erneuerbarer Energien durch eine CO2-basierte Nachweisführung besser honoriert werden, was einen zusätzlichen Anreiz zur Dekarbonisierung bieten würde.
Der Primärenergiebedarf eines Gebäudes umfasst die gesamte Energie für den Bedarf im Gebäude, einschließlich des Aufwandes für Herstellung und Transport des jeweils eingesetzten Energieträgers. Er ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung des Energieflusses und kann zur Verbesserung der Effizienz der Energieversorgung sowie zur Auswahl des Energieträgers herangezogen werden. Auch in die im Energieausweis aufgeführten Kohlendioxidemissionen sind jene für Transport und Erzeugung der Energieträger sowie aller Verluste inkludiert.
openBIM statt Milchmädchenrechnung
Waschl wie Vatter sehen die Aussagekraft der vielfach verwendeten standardisierten Berechnungen und Annahmen kritisch. „Vor allem bei Bestandsgebäuden werden oft Defaultwerte verwendet, da Informationen über Dämmung, Fenster oder Heizung nur mit größerem Aufwand zu erheben sind“, weiß Vatter. „Diese Art der Standardisierung kann zu erheblichen Abweichungen gegenüber dem realen Energieverbrauch führen.“ Daraus resultieren letzten Endes die großen Preis- und Qualitätsunterschiede bei Energieausweisen. „Während günstigere Ausweise häufig auf vereinfachten Annahmen beruhen, bieten teurere Varianten eine umfassende Analyse.“
„Was es braucht, sind offene, standardisierte Gebäudedaten“, hält Waschl fest. „Da sind wir in Österreich noch meilenweit davon entfernt.“ Andere europäische Staaten wie Deutschland, die Schweiz, Norwegen und Schweden seien da schon wesentlich weiter. Auch ein Blick über den großen Teich zeige, wohin die Entwicklung geht. Ein Infrastrukturprogramm des amtierenden US-Präsidenten Joe Biden sieht Milliardeninvestitionen vor – nicht ohne dabei die Weichen in Richtung einer nachhaltigen Digitalisierung zu stellen: „Alles, was neu geplant wird, muss openBIM-Kriterien entsprechen.“ Die Basis dafür sei auch in Österreich gegeben. „Die Branche hat die Daten zu 90 Prozent“, versichert der BIM-Experte. Insbesondere die Fertigteilbranche habe hier die Benchmarks gesetzt. „Das geht bis ins Detail – bis zur Fichtenholzstütze aus der Ramsau und zum verwendeten Dachpappennagel.“
Vom Energieausweis zur Gebäudesimulation
Derzeit ist der Energieausweis vielfach noch ein Pflichtdokument, für das gilt: je billiger, je besser. In Zukunft hätte er jedoch durchaus auch das Zeug zum Planungstool. „Wobei er bei Gebäuden mit eher einfacher Struktur und Technik schon heute nützliche Informationen für die energetische Optimierung liefern kann“, merkt Vatter an. Deshalb, weil der Energieausweis durch die standardisierten Annahmen einen Vergleich zwischen verschiedenen Gebäuden und Bauvarianten ermöglicht.
Wesentlich mehr Aussagekraft als Standardwerte biete eine Gebäudesimulation, die auch variable Bedingungen wie Wetter, Tageszeit und Nutzungsverhalten berücksichtigt. Das macht sie zu einem effektiven Werkzeug, um realistische Aussagen über den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu treffen. „Simulationen bieten auch die Möglichkeit, detaillierte Einflussfaktoren wie Verschattungsgrade, die Speichermassen des Gebäudes und die Dynamik von Gebäudetechnik wirklichkeitsnah abzubilden“, erläutert BIM-Manager Michael Vatter. Sie seien daher besonders geeignet, um komplexe Gebäude zu planen und zu optimieren. Wie komplex Gebäudesimulation sein kann, zeigt das Beispiel des Naturhistorischen Museums. Für ein entsprechendes Projekt gemeinsam mit der TU Wien gibt man sich bis 2027.
Bei aller Kritik am Status-quo ist Vatter überzeugt: „Der Energieausweis bleibt ein wichtiges Instrument für die Vergleichbarkeit.“ Unersetzlich sei die Gebäudesimulation, wenn es um eine genaue Feinjustierung im Planungsprozess geht. „Deshalb sollten beide Methoden idealerweise in Kombination eingesetzt werden – der Energieausweis für den grundsätzlichen Vergleich, die Simulation für die detaillierte Planung und Optimierung.“
Die EU macht Dampf
Hausverkäufern und -vermietern sind die erwähnten einschlägigen Kennzahlen wohl weniger vertraut als die bunte Klassifizierungsskala von A++ in sattem Grün bis G in dunklem Rot, die Bestandteil jedes Energieausweises ist. Diese wurden bisher nach absoluten Kriterien, wie dem Heizwärmebedarf in Kilowattstunden pro Quadratmeter, vergeben.
Mit der neuen EU-Gebäuderichtlinie wird sich hier einiges ändern. Verabschiedet wurde die überarbeitete Direktive vom EU-Parlament am 13. März dieses Jahres. Bis 2026 soll sie nun in allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union umgesetzt werden. Hauptziel der überarbeiteten Energy Performance of Building Directive ist die vollständige Dekarbonisierung des gesamten Gebäudebestands bis 2050 durch die energetische Sanierung von Bestandsbauten und die Errichtung emissionsfreier Neubauten (Null-Emissions-Gebäuden). Die Richtlinie entspricht damit dem European Green Deal, mit dem die Union bis 2050 klimaneutral werden will.
Gerade der Gebäudesektor ist dafür ein wesentlicher Hebel: Laut Berechnungen der Europäischen Kommission werden 40 Prozent des Endenergieverbrauchs durch den Gebäudebestand verursacht. Beheizt wird weiterhin zu einem großen Teil mit fossilen Energieträgern wie Erdgas (39 Prozent), Heizöl (elf Prozent) und Kohle (drei Prozent). Der Wärmebedarf der Gebäude verursacht damit 36 Prozent der CO2-Emissionen.
Gebäude im Klassenvergleich
Auch im Bereich der Energieausweise ergeben sich Änderungen durch die neue EPBD. Deren nationale Umsetzung wird daher wohl eine Neufassung des Energieausweis-Vorlagegesetzes nach sich ziehen müssen. Die erwähnten Energieeffizienzklassen werden von absoluten Kriterien auf eine relative Klassifizierung umgestellt. Klasse A entspricht dann einem Null-Emissions-Gebäude. Ein Objekt der Klasse G fällt unter die schlechtesten 15 Prozent des nationalen Gebäudebestands. Optional wird es noch die Klasse A+ geben für Bauten, die um mindestens 20 Prozent effizienter sind als ein Null-Emissions-Gebäude. Das heißt, die erneuerbar erzeugte Energie übersteigt in diesem Fall den Primärenergiebedarf.
Womit sich wiederum Fragen nach Datenverfügbarkeit, -durchgängigkeit und -qualität stellen. Woher etwa kommen die Vergleichswerte zum gesamten Gebäudebestand? Und was sind diese Zahlen wert, wenn sie lediglich auf dem Papier existieren? Die von BIM-Proponenten angeregte Professionalisierung der Branche ist spätestens mit der neuen EU-Richtlinie wohl hoch an der Zeit.
Auch im Hinblick auf die Sanierungsquote nimmt die Europäische Union die Mitgliedsstaaten künftig in die Pflicht. Sie „sind angehalten, einen sogenannten ,Nationalen Gebäuderenovierungsplan‘ zu erstellen“, so Heinz Pecina von der WKO-Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik. „Schon Ende 2025 ist dieser Plan der Europäischen Kommission als Entwurf vorzulegen.“ Mit 1. Jänner 2027 soll er in Kraft treten.
Um eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen, sollen bis 2050 grundsätzlich alle Gebäude in die Kategorie „Null-Emissions-Gebäude“ fallen. Ab 2030 sind alle Neubauten bzw. bereits ab 2028 alle öffentlichen Bauten als solche zu errichten. Mit dem Jahr 2030 gilt das auch für umfassende Renovierungen. Zumindest in farblicher Hinsicht ist die Entwicklung des Energieausweises somit klar vorgezeichnet: von Rot zu Grün.
Der Energieausweis, wie wir ihn kennen, wird sich verändern. Die Skala beginnt dann bei A+ und klassifiziert nach relativen Kriterien unter Berücksichtigung des Gesamtgebäudebestands.
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Ein Schlüsselbegriff in der neuen Gebäuderichtlinie der EU sind die sogenannten MEPS (= Minimum Energy Performance Standards), oder zu Deutsch: Minimumeffizienzstandards. Dazu definiert die EU jeweils Zielpfade für die Jahre 2030, 2040 und 2050.
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Einer dieser MEPS ist der das GWP, also das Global Warming Potential. Im Deutschen wird der Begriff etwas konkreter als „Lebenszyklus-Treibhausgaspotenzial“ übersetzt. „Der Indikator betrachtet, was ein Gebäude von den ersten Grabungsarbeiten über die Nutzung bis hin zu Abriss und Deponierung zum Klimawandel beiträgt“, sagt Heinz Pecina, Umwelt- und Energiepolitik-Experte der Wirtschaftskammer Österreich. Das GWP ist für neue Gebäude offenzulegen.
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Zielpfade wurden auch für den Primärenergieverbrauch des Wohngebäudebestands definiert: Bis 2030 sollen 16 Prozent, bis 2035 zwischen 20 und 22 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs eingespart werden. „Darüber hinaus sollen 55 Prozent der Einsparungen durch Renovierungen von Wohngebäuden mit der schlechtesten Energieeffizienz kommen.“ Für Nichtwohngebäude sollen die Einsparungen ebenfalls 16 Prozent bis zum Jahr 2030 sowie 26 Prozent bis 2033 betragen.
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Spätestens 2040 ist Schluss mit Heizkesseln, die mit fossilen Energieträgern betrieben werden. Der Weiterbetrieb mit erneuerbaren Energieträgern (etwa HVO, E-Fuels, Biogas oder Wasserstoff) ist möglich.