"Sanierung braucht Initiativen mit größerer Hebelwirkung"
a3BAU: Mit dem Branchenradar beobachten Sie seit rund 30 Jahren die Volumens- und Preisentwicklungen bei Bauprodukten und -dienstleistungen. Wie geht es der Branche aktuell?
Andreas Kreutzer: Im Juli haben wir den aktuellen Branchenradar Trend veröffentlicht, in dem wir die Entwicklung der wichtigsten bauaffinen Produkte im ersten Halbjahr untersuchten, von Abdichtungsbahnen bis Ziegel. Im Durchschnitt stieg die Nachfrage um 13 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2020. Ich würde sagen, der Branche geht es sehr gut.
Wobei man den Anstieg coronabedingt bereinigen müsste …
Die Steigerungen sind trotz alledem in manchen Bereichen enorm. Zudem sind die Preise im ersten Halbjahr um circa vier Prozent gestiegen. Substanziell war das Wachstum bei Bauelementen – also Fenster, Türen und Tore –, hier verzeichnen wir einen Anstieg um rund ein Fünftel, bei Dachmaterial, Abdichtungsbahnen oder WDVS ebenso. In den meisten Fällen ist es so, dass vor allem Rebound-Effekte aus dem Vorjahr den Markt treiben. Wir hatten letztes Jahr in der thermischen Gebäudesanierung starke Rückgänge gehabt, bei Fenstern, bei WDVS, bei Dämmstoffen. Da wird offensichtlich einiges aufgeholt. Jedenfalls kann man sagen, es geht allen gut – aber allen, die mit Bauelementen, Dämmungen, Dachsanierungen zu tun haben, denen geht es besonders gut.
Wie sieht es mit den Materialverfügbarkeiten aus?
Zu Beginn des Jahres waren die Lager entlang der gesamten Wertschöpfungskette leer. Die Industrie hatte wenig vorproduziert, weil entweder Kurzarbeit weitergefahren oder Generalwartungen durchgeführt wurden. Auch der Handel hielt seinen Lagerstand nieder, genauso wie das ausführende Handwerk. Alle gingen auf Nummer sicher, man wusste ja nicht, wie es weiter geht. Dann ist die Nachfrage bereits im Jänner deutlich angesprungen – nicht nur in Österreich, in ganz Europa –, stimuliert von steigenden Energiepreisen und verschiedensten Maßnahmen, die die Regierungen gesetzt haben, darunter Fördermaßnahmen, Investitionszuschüsse und was es auch immer da gegeben hat. Neben der Lageraufstockung musste also eine unerwartet rasch steigende Nachfrage bedient werden. Auf einen solchen Bedarf war der Markt aber nicht vorbereitet. Bereits im Februar war die Verfügbarkeit in entscheidenden Warengruppen nicht mehr gesichert. Vielerorts hat das ausführende Gewerbe als Reaktion darauf bei mehreren Lieferanten gleichzeitig bestellt, in der Hoffnung, dass einer von ihnen schneller liefert. Das hat den Markt weiter unter Druck gesetzt.
Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?
Alle Unternehmen gehen davon aus, dass im zweiten Halbjahr die Nachfrage abflachen wird. In den Bereichen, wo man auf Lager einkaufen kann und das große Plus im ersten Halbjahr tatsächlich Lagereindeckungen waren, wird die Nachfrage nicht weiter so anhalten. Auf das gesamte Jahr 2021 gesehen wird der Markt eben nicht um diese 13 Prozent wachsen, sondern da reden wir dann absatzseitig von acht oder neun Prozent. Dafür werden die Preise im zweiten Halbjahr stärker steigen, weil im Plus von vier Prozent im Durchschnitt im ersten Halbjahr noch wenig von den Preiserhöhungen im März, April steckt. Wir rechnen durch die Preiserhöhungen der Industrie rund um die Jahresmitte und dann nochmals im Oktober mit einer Preissteigerung bei Materialien bis zum Jahresende im Durchschnitt von sechs Prozent. Und wenn der Markt absatzseitig um acht Prozent wächst, haben wir trotzdem ein Umsatzplus von 14 Prozent. Das hat es überhaupt noch nie gegeben.
Kann man sagen, dass Corona für manche Branchen die Chance ist, ihre Preise in die Höhe zu bringen?
Da gibt es unterschiedliche Entwicklungen. Zum einen gibt es Trittbrettfahrer, die über langfristige Kontrakte bei den Vormaterialien verfügen und eigentlich keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit für Preissteigerungen haben. Natürlich gibt es auch Hersteller, denen ist der Kontrakt im Februar ausgelaufen und die mussten teuer einkaufen, weil die Materialpreise schon hochgegangen sind. Jetzt tun aber alle so, als wären just im Jänner alle Kontrakte bei allen Firmen gleichzeitig ausgelaufen. Das ist ein Riesenblödsinn. Wir gehen aber davon aus, dass im nächsten Jahr bei den Polymeren, aber auch beim Holz die Preise wieder etwas sinken werden. Allerdings zeigen langfristige Statistiken, dass sinkende Preise bei den Rohstoffen nie in jenem Umfang an die Kunden der Endprodukte weitergegeben werden wie Preiserhöhungen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Preisentwicklung bei Polymeren und Dämmstoffen wie EPS.
Wie schaut die Entwicklung bei Holz aus?
Kurzfristig sind die Preissteigerungen seit Mitte 2020 massiv. In der langfristigen Betrachtung liegen wir jetzt dort, wo wir 2013 auch schon gelegen sind und da kann ich mich nicht erinnern, dass irgendwer gejammert hat, weil das Holz so wahnsinnig teuer ist. Dazwischen lagen die Jahre mit dem Borkenkäfer-Befall, wo viel Schadholz auf den Markt gekommen ist und unglaublich viel Angebot da war, das auf die Preise gedrückt hat. In der subjektiven Wahrnehmung war der Preis nieder und jetzt sind wir plötzlich weit oben. Auch haben die USA viel Holz aus Europa gekauft, weil die Kanadier nichts mehr geliefert haben. Die Preisentwicklung flacht bereits langsam ab und wir werden wieder sinkende Holzpreise haben.
Massive Verwerfungen lösten auch die Stahlpreise aus – wie wird es da weitergehen?
Da sieht die Kurve schon anders aus. Im langfristigen Trend haben wir hier 4,8 Prozent pro Jahr plus. Manchmal gehen die Preise ein wenig herunter und die Kurve flacht ab, aber an und für sich wird Stahl immer teurer. Daran wird sich meines Erachtens auch nicht wahnsinnig viel ändern. Was insofern interessant ist, als die europäische Stahlindustrie immer über Billigimporte aus China klagt. Aber die dürften sich offensichtlich – auch aufgrund der Anti-Dumpingzölle – auf den Gesamtpreis nicht wirklich auswirken.
Sie haben vorhin die Preisentwicklung bei Dämmstoffen angesprochen – können Sie darauf näher eingehen?
Das Institut KI Kunststoff Information in Bad Homburg veröffentlicht eine Art Börsenpreis. Wenn man zum Beispiel Styrol, das man für EPS-Platten braucht, hernimmt, so liegen wir jetzt bei 1.444 Euro/Tonne (mittlerer Referenzpreis, Anm.). Das entspricht in etwa dem Niveau von 2013 – da ist alles hinaufgegangen. Eine ähnliche Entwicklung wie bei Holz. Wobei die Spotpreise – also bei kurzfristigem Einkauf ohne Kontrakt – deutlich niedriger sind, die lagen im Durchschnitt 2021 bisher bei 1.199 Euro/Tonne. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Parallel-Entwicklung von Styrol, also dem Ausgangsstoff und dem Dämmstoff EPS weiß. Bei Styrol ist der mittlere Referenzpreis 2020 stark gefallen, lag bei 804 und liegt jetzt 2021, wie gesagt, bei 1.444 Euro, ähnlich wie 2013. Der Preis für EPS weiß hingegen ist zwar 2020 auch gefallen – und zwar auf 1.275 – liegt aber jetzt bei 2.090 Euro/Tonne und damit weit über dem Referenzwert von 2013 (1.678, Anm.).
Das ist eigentlich nicht mit Preisentwicklungen am Rohstoffmarkt erklärbar …
Das ist zum Teil mit steigenden Personalkosten, Abschreibungen und Overhead-Kosten erklärbar. Der Rohstoff macht eben nur einen gewissen Prozentsatz des Gesamtpreises aus. Der Ausreißer nach unten 2020 hat vermutlich mit der nachlassenden Nachfrage durch Corona zu tun. Da wurde Styrol zu einem billigen Preis auf den Markt geworfen, weil man nicht alles auf Lager liegen lassen wollte. Anfang 2020 waren die Lager voll und dann kam Corona und man wusste nicht, wie es weitergehen würde. Die Werke haben zugesperrt oder sind in Kurzarbeit gegangen. Und im Herbst, als es wieder losgegangen ist, haben manche Hersteller an den Maschinen Wartungen durchgeführt. Aber es ist schon auch so, dass die Reduktionen der Preise bei Styrol nicht in dem Ausmaß weitergegeben worden sind, sondern man hat sich sozusagen einen Puffer geschaffen.
Wie wirken sich die Preissteigerungen auf die Baukosten aus?
Betrachtet man die Entwicklung der Baukosten, die von der Statistik Austria für den großvolumigen Neubau – Wohnungs- und Siedlungsbau – ausgewiesen werden, sieht man gut, wie extrem sich die Materialkosten im Vergleich zu den Personalkosten entwickelt haben. In den Jahren 2018 bis 2020 ist die Materialtangente in Summe leicht rückläufig gewesen, während die Personalkosten durch höhere Lohnabschlüsse stärker gestiegen sind. Seit der Pandemie tut sich beim Personal wenig, aber das Material treibt die Baukosten unglaublich in die Höhe – ein Großteil kommt vom Stahl.
Kann die Nachfrage nach Bauleistungen derzeit gänzlich befriedigt werden? Wir haben einen eklatanten Fachkräftemangel …
Das Thema der Umsetzung der Nachfrage ist im ausführenden Bereich schon eine Riesenherausforderung. Wir haben bei Materialien wie schon beschrieben zum Teil sehr lange Lieferzeiten, wir haben aber auch bei der Montage also in der Ausführung Engpässe. Das wird sich bis in das nächste Jahr hineinziehen, weil sich möglicherweise, auch aufgrund gewisser Lieferschwierigkeiten bei Materialien, einiges verzögert. Zynisch gesagt: Manchen ausführenden Unternehmen spielen die Lieferschwierigkeiten in die Karten, weil sie die Nachfrage zum Teil ohnehin nicht abarbeiten könnten. Wir reden immer vom Fachkräftemangel, aber wir haben generell einen enormen Beschäftigungsmangel.
Und wie steht es um die Produktivität am Bau?
Wir haben im vorigen Jahr in einer großen Studie das Thema Arbeitsproduktivität untersucht. Seit 1997 hat sich die Arbeitsproduktivität am Bau nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, die ist sogar gesunken, weil heute der Aufwand in der Ausführung höher ist, die Normen und die Ausführungsdetails umfangreicher geworden sind und das Bauhandwerk wenig unternimmt, um die Prozesse auf der Baustelle zu optimieren. Alleine die Stehzeiten betragen nach einer Untersuchung der ETH Zürich im Durchschnitt 19 Prozent. Deshalb müssen die Unternehmen für jeden Euro, der umgesetzt wird, anteilsmäßig mehr Personal einstellen. Das ist eine Riesenherausforderung. Und die Sanierung ist ein besonderer Produktivitätskiller.
Apropos: Wie entwickelt sich die Sanierung?
Wir haben für den Wohnbau sehr belastbare Zahlen, was den Sanierungsmarkt betrifft. Der Großteil der Investitionen geht in die thermische Gebäudesanierung und der kleinere Teil – etwa ein Viertel – geht in die Energieoptimierung. Wobei man berücksichtigen muss, dass der Personalkostenanteil im ausführenden Bereich, also die Wertschöpfung, die auf der Baustelle stattfindet, bei der thermischen Sanierung wesentlich höher ist als bei der Energieoptimierung, weil ein Heizkessel schnell mal installiert ist. Wenn ein Dach thermisch saniert und neu eingedeckt werden muss, da arbeitet man schon mal zwei Wochen daran. Der Materialanteil hingegen liegt bei der Dachsanierung dafür nur bei 15 bis 20 Prozent. Deshalb haben wir auch vergleichsweise so wenige Dachsanierungen, weil das für den Häuselbauer die größte und teuerste Herausforderung ist. Will man die Gebäudehülle thermisch optimieren, sind die Opportunitätskosten beim Fenstertausch am geringsten. Ein Fenstertausch kostet 20.000 Euro für ein Einfamilienhaus, dauert einen Tag und wird von innen gemacht, das heißt, die Arbeiter zertreten nicht den Garten. Bei einer neuen WDVS-Fassade braucht man » » hingegen ein Gerüst, da ist der Garten hin und es dauert zumindest eine Woche. Deswegen haben wir die höchste Sanierungsquote bei Fenstern. Im Grunde genommen bräuchten wir hier keine Förderung. Dann kommen die Fassaden und dann kommt das Dach. Es hat ganz einfach mit praktischen Umständen zu tun und mit den Kosten. Sinnvolle Sanierungsmaßnahmen beim Eigenheim beginnen bei 10.000 Euro und gehen bis 70.000 Euro und mehr hinauf, je nachdem, was gemacht wird.
Also keine Förderung für den Fenstertausch …?
Förderungen sind für mich immer an die Frage der Bedürftigkeit geknüpft und an die Hebelwirkung die von Ihnen ausgeht. Wenn wir die Dekarbonisierung wirklich vorantreiben wollen, dann sollten wir uns vor allem auf jene ungefähr 400.000 Haushalte in Einfamilienhäusern konzentrieren, die so wenig verdienen, dass sie sich überhaupt keine Sanierung leisten können, gar nichts, null. Insofern passt für mich auch der Split, den wir derzeit in der Sanierungsförderung haben, nicht. Denn es gehen 200 Millionen Euro in den Heizkesseltausch und nur 125 Millionen in die thermische Gebäudesanierung. Damit werden wir bei der thermischen Sanierung kaum eine Hebelwirkung erzielen, sondern nur Mitnahmeeffekte, wie das früher auch beim klassischen Sanierungsscheck war. Ich habe deshalb einmal pointiert den Sanierungsscheck als Ledersitz-Förderprogramm für die Autoindustrie bezeichnet, weil dadurch kaum zusätzliche Gebäudesanierungen ausgelöst wurden und die abgeholte Förderung wohl auch in Ledersitze fürs neue Auto investiert wurde.
Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Im Grund genommen hängt die Wirksamkeit einer Förderung immer an der Förderquote. Bei den Heizkesseln erreichen wir mit 5.000 Euro pro Heizkessel eine Förderquote von 35 Prozent. Obwohl wir dort eigentlich ohnehin auch regulatorische Maßnahmen haben. Trotzdem finde ich es richtig, mit den 200 Millionen die Kosten für die Konsumenten abzufedern. Die maximale Fördersumme bei einer umfassenden Gebäudesanierung, und da reden wir wirklich von 40.000 Euro aufwärts, liegt jedoch auch nur bei 6.000 Euro, also einem Zuschuss von 15 Prozent und weniger. Damit werden wir kein großes, zusätzliches Volumen bei der thermischen Gebäudesanierung schaffen. Dafür ist die Förderquote eindeutig zu niedrig. Und um auf Ihre Frage und auf die Haushalte, die sich keine Gebäudesanierung leisten können, zurückzukommen: In diesen Fällen hilft wahrscheinlich nicht einmal eine Förderquote von 50 Prozent. Denn die weiteren 10.000 Euro für neue Fenster haben die nicht.
Denken Sie an eine Koppelung der Förderung an das Haushaltseinkommen?
Nein. Aber ich denke an ein Modell, wo die gesamte Sanierung von der öffentlichen Hand oder der Kommune in Form einer Hypothek auf das Haus vorfinanziert wird. Wenn die Immobilie später verkauft oder vererbt wird, dann müssen die Käufer oder Erben diese Hypothek übernehmen oder begleichen. Eine andere Variante ist – in der Schweiz durchaus üblich – ein lebenslanger Kredit. Zurückgezahlt werden nur die Zinsen, das Kapital bleibt stehen. Wenn das Haus verkauft oder vererbt wird, muss zuerst der aufgenommene Kredit für die Sanierung getilgt werden. Wir brauchen jedenfalls unbedingt ein System für jene Haushalte, die sich gar keine Sanierung leisten können. Vor allem bei älteren Leuten haben wir das Riesenproblem, weil man ab 70 praktisch keinen Kredit mehr bekommt. Da gibt es eine sehr schöne Statistik von der Nationalbank. Die Finanzwirtschaft müsste ein bisschen in Vorlage gehen. Sonst werden wir locker 30 Prozent der sanierungsbedürftigen Immobilienbesitzer für die Dekarbonisierung nicht erreichen.
Wie ist es generell um das Thema Nachhaltigkeit bestellt? Spiegelt sich das Thema in den Absatzzahlen wider?
Offen gesagt, denke ich, dass Nachhaltigkeit eher ein Thema für FMCG – fast moving consumer goods – als für Baustoffe ist, die – wenn überhaupt – nicht vor 30 oder 50 Jahren erneuert oder ausgetauscht werden. Bei Dachmaterial für gedeckte Dächer hatten wir zum Beispiel letzten Jahren eine Sanierungsquote von 1,4 Prozent. Das heißt, alle 70 Jahre wird das Dachmaterial ausgetauscht. Solange wir Plastikflaschen in Einweg haben, sage ich ganz offen, hat die Baustoffindustrie nicht wirklich eine riesengroße Verpflichtung. Manche springen auf den Zug auf, klar, aber die Nachfrage hält sich in Grenzen. Bei organischen Dämmstoffen zum Beispiel haben wir noch immer nur einen Marktanteil von sechs Prozent.
Woran liegt es, dass ökologische Produkte so wenig nachgefragt werden?
Das hat vor allem damit zu tun, dass die Ausführenden im Baugewerbe unglaublich konservativ sind. Die Lernkurve ist flach und die Leute tun sich schwer mit neuen Technologien. Ein Beispiel sind Abdichtungen. Da gibt es mittlerweile tolle neue Produkte aus flüssigen Kunststoffen, aber die Leute flämmen lieber Bitumen, weil sie das seit 50 Jahren so machen. Neue Produkte brauchen Schulungen, das Verarbeitungsrisiko ist groß und die Gewährleistung ein Riesenthema. Daher tut sich die Industrie schwer, innovative Produkte in den Markt zu bringen. Wo sich wirklich viel tut in Sachen Nachhaltigkeit, ist der Bereich der Heizsysteme. Und zwar nicht erst seit der „Raus aus dem Öl“-Geschichte, sondern hinsichtlich der Wärmepumpe, und in Österreich zumindest auch hinsichtlich der Biomassekessel. Wobei Biomassekessel ja nicht gerade emissionsfrei sind, Fakt. Holz zu verbrennen, halte ich nicht für besonders modern. Innovativ ist Photovoltaik, und die Wärmepumpe wird, wenn es so weitergeht, sicher langfristig das dominierende Heizsystem werden, weil wir im Neubau mittlerweile im Einfamilienhaus Installationsquoten von über 80 Prozent haben. Allerdings ist die Wärmepumpe im Bestand hochproblematisch, weil da das Haus und das Heizsystem wirklich sehr, sehr gut durchsaniert werden müssen – eine Wärmepumpe mit einer Radiatorheizung wird nicht wirklich gut funktionieren. Und der nachträgliche Einbau einer Niedrigtemperaturheizung passiert nur sehr selten, auch wenn es mittlerweile schon recht gute Systeme mit einem sehr, sehr flachen Aufbau gibt. Dennoch gehen im Jahr von den rund 24.000 Heizungswärmepumpen keine 4.000 Stück in den Bestand. Das ist alles Neubau.
Wie beurteilen Sie das Thema Bauteilaktivierung?
Da bin ich ein großer Fan davon, vor allem in der Kombination mit Kühlen finde ich die Technik hoch spannend, weil wir sonst ganz einfach alles, was wir an Energie beim Heizen einsparen, durch die Klimaanlagen wieder hinausblasen. Der Markt für Klimasplitgeräte wächst jährlich um 20 Prozent. Das ist genau das was wir nicht brauchen für die Dekarbonisierung. Auch in der Wohnraumlüftung gibt es zwar Innovationen wie zum Beispiel die im Fensterrahmen integrierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung. Aber die verkauft sich nicht.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Das Fenster ist Teil des Rohbaus und die Wohnraumlüftung ist Teil der TGA. Das heißt, dieses System müsste bereits im Vorfeld in der Planung berücksichtigt werden. Der Architekt müsste dem TGA-Planer sagen, dass er sich nicht um die Lüftung kümmern muss, weil die im Fenster integriert ist. Das würde aber bedeuten, dass die Wertschöpfung vom TGA-Bereich in den Baustoffbereich wandert. Und das ist noch nicht üblich. Ähnlich ist das bei der Bauteilaktivierung, wo die Heizung bereits im Rohbau mitgemacht wird. Diese fehlende Verschränkung der Gewerke und die Vielzahl der Player bei der Errichtung sind ein Problem und hemmen neue technologische Entwicklungen sowie Produktivitätssteigerung am Bau.
Andreas Kreutzer
ist seit 1991 Geschäftsführer der Branchenradar.com Marktanalyse GmbH in Wien sowie Gründer des Beraternetzwerks Kreutzer Fischer & Partner, Wien-Berlin. Für die Baustoffindustrie arbeitet Kreutzer seit nunmehr 30 Jahren.
Branchenradar.com
Seit 1991 dient der Branchenradar Unternehmen in mehr als 100 Märkten als Grundlage für Entscheidungen im Marketing und Vertrieb und ist Datenquelle im Reporting. Der Repräsentationsgrad ist sehr hoch, so melden etwa 43 von 45 Fensterherstellern bzw. knapp 80 Prozent der Dämmstoffhersteller ihre Zahlen für den Branchenradar, bei Dachmaterialien sind es 100 Prozent.