Baustelle
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Troubles am Baustoffsektor: Interviews mit Branchenexperten

Der hohe Auftragsstand bei den Bauunternehmen führt dazu, dass die Kunden unkoordiniert Mengen abrufen. Unsere Zementsilos sind kein „Tischlein deck dich“, spricht Berthold Kren, CEO Lafarge Österreich, die prekäre Situation bei der Zement-Versorgung an:

Umdenken in der Rohstoffplanung

Berthold kren
Berthold Kren, CEO Lafarge Österreich

Berthold Kren: Wir erleben derzeit in unseren beiden Werken in Österreich eine Nachfrage, die an Rekordwerte wie vor circa fünfzehn Jahren erinnert. Als verlässlicher Partner sehen wir unsere Verantwortung auch dahingehend, frühestmöglich auf mögliche Lieferengpässe hinzuweisen. Gelebte Praxis war, dass Kunden mit uns Ihren geschätzten Mengenbedarf samt entsprechenden Konditionen vorjährig abschließen, was bei normalen Abnahmemengen gut funktioniert. Jetzt geht der Baumarkt durch die Decke und der Markt ruft in relativ kurzer Zeit ohne Vorwarnung Mengen ab, die weit über dem üblichen Durchschnitt liegen. Dies führt unweigerlich zu Lieferengpässen. Unsere Zementsilos sind leider kein „Tischlein deck dich“. Wir haben ein starkes Netzwerk, aber wir können nur reagieren, wenn wir rechtzeitig informiert sind. Wer die Belieferung von zusätzlichen Mengen mit uns abstimmt, wird den Zement für seine Projekte erhalten. Hier muss ein Umdenken einsetzen. Eine bessere Rohstoffplanung ist unbedingt erforderlich. Niemand will Baustellen einstellen, weil die Versorgung zusammenbricht und wir wollen auch keinesfalls zu Kontingentierungen gezwungen sein. Um das zu vermeiden, muss sich die Planung verbessern.

Situation am Stahlmarkt spitzt sich dramatisch zu

Norbert Thumfart
Norbert Thumfart, Vorsitzender ARGE Stahl- und Metalldistribution

Der Stahlhandel ist grundsätzlich mit sprunghaft steigenden Preisen konfrontiert. Die Preise sind in den letzten Monaten aber im Jahresvergleich je nach Produktgruppe um über 130 Prozent gestiegen, was keine europäische, sondern eine weltweite Entwicklung ist. In bestimmten Produktsegmenten belaufen sich die Lieferzeiten schon auf mehr als sechs Monate. Viele Stahlwerke sind seit einigen Wochen „außer Markt“, d. h. sie geben weder Preise noch Mengeninformationen bekannt.

Die Versorgung durch die Stahlwerke verschlechtert sich insofern, weil China als weltgrößter Stahlexporteur aufgrund der dort vorherrschenden guten Konjunktur inzwischen zum Stahlimporteur geworden ist. Der österreichische Handel leidet darunter, dass teilweise vom Produzenten bereits zugesagte Liefermengen gekürzt werden, Liefertermine teilweise massiv verzögert sind oder Lieferungen sogar zur Gänze ausfallen.

Durch die fehlenden Mengen könnte es in Mitteleuropa zu einer massiven Verknappung kommen. Die Lieferausfälle führen dazu, dass beim lagerhaltenden Handel die Bestände schon jetzt auf einem historischen Tiefstand stehen, woraus wiederum negative Auswirkungen auf die Lieferbereitschaft resultieren.

Aufgrund dieser volatilen Situation kann den Stahlverarbeitern nur geraten werden, in den Verträgen mit ihren Kunden Preisgleitklauseln vorzusehen, um so weitere Preisanstiege kompensieren zu können. Weiters sind auch aktive Gespräche mit den Lieferanten betreffend des 2. Halbjahres anzuraten. Aus heutiger Sicht spricht vieles dafür, dass sowohl die Verknappung als auch die Preisentwicklung weitergehen dürften. Bei einigen Produktgruppen könnte es zu einer eklatanten Unterversorgung kommen.

Keine Entspannung in den nächsten 6-8 Monaten

Ingrid Janker Porträt
Knauf-GF Ingrid Janker

Nicht bei unserm Hauptprodukt Gips, aber bei allen Produkten rundherum trifft uns der Anstieg der Materialpreise natürlich schon. Wir haben schon letztes Jahr im FV Steine Keramik darauf aufmerksam gemacht, dass wir eine Rohstoffkrise im Bereich des Stahlsektors auf uns zurollen sehen. Im Zukauf für Stahlprofile, Zubehör etc. haben wir das Problem sehr rasch identifizieren können und zumindest in der Menge der Beschaffung gegensteuern können. Preislich kann man nicht gegensteuern, entweder man nimmt das Material oder eben nicht. Verhandelt wird nicht. Wir sehen keine Entspannung in den nächsten 6-8 Monaten, weil die Autoindustrie viel Stahl braucht und die USA und China auf den Weltmärkten für ihr Wachstum alles aufsaugen. Hinzu kommt, dass die Lieferketten coronabedingt leer waren. Die Lagerstände der Trader im Stahlsektor, aber auch in anderen Bereichen, wurden herunter gefahren.