Interview Heimo Scheuch
a3BAU: Großbritannien wird am 29. März die Europäische Union verlassen. Sie haben sich öffentlich dazu geäußert und gemeint, der Brexit wäre eine Katastrophe – warum eigentlich?
Heimo Scheuch: Es ging in diesen Interviews um den harten Brexit und ich habe gesagt, ein unkoordinierter, unvorbereiteter Brexit wäre eine Katastrophe. Davon ist aber nicht auszugehen.
Steuern wir aber nicht gerade darauf zu …
Nein. Da muss man unterscheiden zwischen medialem Lärm und einem politischen Vorgehen, das natürlich nicht immer einfach ist. Europa ist ja grundsätzlich nicht verantwortlich für die internen Probleme Englands, wo es um interne Abstimmungen über die Zuständigkeiten geht, wer stimmt worüber ab, wer darf sich wozu äußern etc. Europa verhandelt mit den gewählten Repräsentanten Englands. Und das ist geschehen. Es liegt eine Austrittsvereinbarung auf dem Tisch, die im Parlament ordnungsgemäß behandelt wurde. Seit kurzem hat im englischen Parlament eine Mehrheit gesagt, was es will. Es ist ja heutzutage eine Kunst, Politikern abzuringen, was sie wollen. Das Parlament stimmt dem Abkommen zu, wenn die irische Problematik gelöst ist. Das ist eine sehr kryptische Aussage. Es geht hier im Prinzip um eine Grenze – es ist zu definieren, ob das eine EU-Außengrenze, eine offenere Grenze ist etc. Dazu zwei Anmerkungen, die politischer Natur sind, mit der Bauwirtschaft nichts zu tun haben: Nordirland hat sich viele Jahre im Bürgerkrieg befunden. Das haben wir alle schon vergessen. Die Europäische Union hat dorthin Frieden gebracht, weil Irland und Nordirland gemeinsam zu einer größeren Einheit, der EU, gehören. Aber es gibt immer wieder Leute von gestern, die Zäune, Gräben und Mauern bauen wollen. Ist das so sinnvoll, stelle ich die Frage. Ich bin überzeugt, es wird eine Einigung geben.
Warum meldet sich die Wirtschaft, die unter dem Wegfall des freien Warenverkehrs leiden würde, nicht stärker zu Wort?
Die Wirtschaft hat sich mittlerweile sehr stark zu Wort gemeldet und gesagt, dass wir einen geordneten Ausstieg für ein stabiles weiteres Zusammenleben brauchen. Jetzt wird die Regierung unter May versuchen, dieses Sonderthema auch für die Medien in England zu regeln.
Sie meinen, hinter den Kulissen ist der geordnete Brexit bereits ausgemachte Sache?
Natürlich. Abseits der Öffentlichkeit spielt sich etwas ganz anderes ab. Aber es geht darum, dass keiner das Gesicht verlieren will. Mittlerweile ist da schon so viel Vernunft angekommen, dass nicht zu erwarten ist, dass am 29. März das Chaos ausbrechen wird, Grenzbalken errichtet und das Kriegsrecht ausgerufen wird.
Wie bewerten Sie Meldungen der vergangenen Tage, wonach viele Firmen mit dem Abzug ihrer Niederlassungen aus Großbritannien drohen?
Dass der Brexit kommt, wissen wir mittlerweile alle, da braucht man nicht mehr zu drohen. Viele Maßnahmen sind bereits geschehen. Ich verweise auf den Finanzsektor, das wichtigste Element der englischen Wirtschaft durch die City of London. Viele Banken und Finanzinstitute haben bereits ihre Teilbereiche, die sie nach dem Brexit brauchen, in die EU – nach Frankfurt, Paris oder Amsterdam – verlegt. Der Imageschaden für den Finanzplatz London ist bereits geschehen und hat dazu geführt, dass viele jetzt sehen, dass es nachhaltig ein wenig schwieriger für England werden wird. Die neue Realitätswahrnehmung wird aber erst nach dem 29. März stattfinden, wenn es um die Tagesarbeit geht. Das wird weniger lustig werden für Großbritannien.
Der Wienerberger-Konzern produziert in Großbritannien lokal vor Ort. Wie stark ist das Unternehmen vom Brexit betroffen?
Wir wissen heute noch nicht, welche Folgen der Austritt Englands aus der EU haben wird, weil die wirtschaftlichen Konsequenzen nicht klar sind. Das hängt auch davon ab, wie weit die englische Politik eingreift beziehungsweise steuert. Möglicherweise wird es zu einer hohen Inflation kommen, damit ergibt sich etwa die Währungsthematik.
Sie haben immer wieder gesagt, es gibt Konzepte in der Schublade. Auf welches Szenario hat sich Wienerberger eingestellt?
Wir stellen uns auf viele Szenarien ein, unabhängig vom relevanten Thema Brexit. Auf Wirtschafts- oder politische Krisen vorbereitet zu sein, das ist unsere Verantwortung, unser tägliches Brot. Wir haben beispielsweise derzeit einen Abschwung im französischen Markt, das ist nicht nur bedingt durch Änderungen in der Immobilienbesteuerung, sondern weil wir in Frankreich Unruhen haben. Die Bewegung der Gelbwesten hat natürlich auch Auswirkungen auf das gesamte wirtschaftliche Gefüge. Auf das muss sich Wienerberger einstellen.
Was wäre aus Sicht der Wirtschaft eine gute Lösung für die letzten Kilometer?
Die Lösung, die vorliegt, nämlich dass wir im gemeinsamen Markt bleiben mit einer Zollunion und dem vollen Zugang Englands zum gemeinschaftlichen Markt, ist eine gute Lösung. Was in der Reziprozität auch bedeutet, dass wir vollen Zugang zum englischen Markt haben.
Sie sind zuversichtlich, dass es bei der Zollunion bleibt, auch wenn es dafür Gegenwind in Großbritannien gibt?
Natürlich. Gegner wird es immer geben, auch nach dem offiziellen Austrittsdatum. Aber es muss mal aufhören, dass wir in Europa nur mehr den Brexit diskutieren und nicht unsere Themen, damit wir weiterkommen. Es muss auch wieder ein Leben ohne Thema Brexit geben.
Ein paar Worte zur Entwicklung der Wienerberger-Aktie?
Ich bin sehr zuversichtlich. Wir haben im letzten Jahr sehr gut performt, sind vom Ergebnis her wieder stark gewachsen und werden den Aktionären eine starke Steigerung der Dividende vorschlagen. Das zeigt, dass wir Optimismus und Zuversicht für die Zukunft haben.
Das heißt, Sie gehen davon aus, dass sich der Aktienmarkt eher an der Stabilität der Wienerberger und nicht an kurzfristigen Irritationen wie dem Brexit orientiert?
Wenn man mit Leuten diskutiert und den Finanzmarkt analysiert, dann hat man drei große Themen: Das erste ist der Brexit, der für Unsicherheit sorgt, das zweite sind die ewigen Handelskriege. Wenn sich diese zwei Themen entspannen, ist die Unsicherheit weg. Dann werden meist noch Kriege ins Treffen geführt. Aber Sie wissen so gut wie ich: Wir leben in einer Zeit der Kriege. Wir haben sie in der Ukraine, in Syrien – überall. Das wird auch leider so weitergehen. Das heißt Instabilität ist Teil unseres Geschäfts geworden und auch der Finanzplätze. An den Börsen befürchtet man eine große Rezession, deshalb sind die großen Finanzmärkte auch so stark gefallen. Diese Wette auf die Rezession hat der Finanzmarkt abgeschlossen. Und da der Finanzmarkt gerne recht hat, versucht er sie herbeizuführen.
Ein Thema, das in jüngster Zeit auch verstärkt diskutiert wird, ist die Zuwanderung, verbunden damit ist der Arbeitskräftemangel zu sehen. Welche Probleme und Lösungen orten Sie hier?
Sprechen wir zuerst über Fachkräfte und das, was die Baubranche braucht. Wir brauchen eine Verbesserung der Logistikkette und auch der Planung und des geordneten Managements der Bauausführung. BIM ist ein interessantes Tool, dieses einzusetzen, wäre eine Verbesserung. Denn wir müssen effizienter werden in allen Bereichen, von der Bauzulieferindustrie und der Ausführung bis zum Betreiben der Immobilien. Warum sage ich das? Weil dann Arbeitskräfte umgeschichtet werden könnten für diese Herausforderungen. Heute sind wir durch Ineffizienzen so aufgestellt, dass teilweise ein Gebäude drei Mal neu geplant und umgebaut wird. Es wird schon viel getan, aber wir haben noch Potenzial nach oben. Zweite Anmerkung: Im Europäischen Wirtschaftsraum haben wir genug Arbeitskräfte, die wir eigentlich einsetzen könnten. Die Fragen, die sich stellen sind: Wie bringe ich diese von einem Land ins andere? Und sind sie ausreichend geschult? Die Sinnhaftigkeit eines Wirtschaftsraumes ist auch, dass man eine gewisse Mobilität fördert. Gerade wir Österreicher sollten das wissen, denn wir haben in den letzten zehn Jahren deshalb eine Hochkonjunktur gehabt, weil wir relativ gute, qualifizierte Arbeitskräfte bekommen haben. Der Tourismus, die Gastronomie, aber auch die Bauindustrie haben viel von unseren Nachbarländern profitiert, von Ungarn bis hin zu Rumänien.
Aber der Arbeitskräftemangel besteht nach wie vor …
Die Frage ist: Können wir die Arbeitslosen, die wir haben, umschulen? Kann man sie mobilisieren? Das ist ein wesentlicher Punkt. Das andere ist wie gesagt, die Prozesse neu zu gestalten. Was die Frage der Zuwanderung betrifft, so muss man natürlich schauen, welche Qualifikationen haben diese Menschen und passen sie in unser Land. Denn wir brauchen auch Leute – und das ist ernst zu nehmen – die in Alpentälern arbeiten, nicht nur in der Agglomeration Wien. Da gibt es klimatische, kulturelle und sprachliche Herausforderungen zu lösen.
Wie geht der Wienerberger-Konzern mit dem Arbeitskräftemangel um – gibt es hier spezielle Programme, um Leute zu mobilisieren?
Wir machen mit jungen Menschen, die in das Unternehmen kommen, Talente-Management, Scouting etc., um die Mobilität zu erhöhen. Das heißt, diese Leute arbeiten in verschiedenen Ländern. Das ist bei uns gang und gäbe. Wir haben in Belgien Fabriken, wo 15 Nationalitäten arbeiten. Damit sind Herausforderungen in der Esskultur, in der Religion, in der Hygiene, im ganzen Umgang miteinander verbunden. Das ist alles nicht einfach zu managen.
Seit der Übernahme des Vorsitzes bei Wienerberger 2009, sehen Sie da eine Veränderung, hat sich die Mobilität in den vergangenen zehn Jahren erhöht?
Natürlich. Die Europäer werden mobiler. Aber die Herausforderungen an uns alle hinsichtlich der Integration von Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen werden größer.
Wienerberger feiert in diesem Jahr das 200-Jahre-Jubiläum. Der Schritt ins Ausland ist erst 1986 gemacht worden, womit ist dieser gesetzt worden?
Mit einem Zukauf eines kleinen Familienunternehmens in der Nähe von Münster, den das damalige Management in Norddeutschland getätigt hat. Natürlich hat es in der K.u.K.-Monarchie Ableger in Kroatien und Ungarn gegeben, die aber nach dem Ersten Weltkrieg alle weg waren. Das ostösterreichische Unternehmen Wienerberger ist dann über viele Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf verfallen, aus dem es 1986 durch diese Akquisition wachgeküsst wurde.
Als Sie den Vorsitz 2009 übernommen haben, musste sich Wienerberger an ein neues Marktumfeld anpassen. Wie gut ist das gelungen?
Die Krise hat 2008 den Ausgang in Amerika genommen. Es hat aber bis 2010 gedauert, bis die Krise hier angekommen ist. Daran sieht man, dass der Bau ein Spätzykliker ist. Diese Neuausrichtung hat uns sehr lange beschäftigt, weil wir auf der einen Seite die Märkte mit den Produkten abdecken, uns auf der anderen Seite auf ganz andere Verhältnisse einstellen mussten. In Amerika hatten wir ein Unternehmen, das bis zur Krise einen Markt von zwei Millionen Neubau-Einheiten bedienen konnte. Dieser ist dann auf 500.000 gefallen. Das ist brutal. In unserem Nachbarland Ungarn beispielsweise war es ähnlich. Wir sind von Höhen von über 40.000 Einheiten auf ein paar tausend gefallen. Wenn sie eine Struktur haben mit 13 produzierenden Werken, die auf eine Handvoll zusammengeschrumpft werden, dann sind das neue Realitäten. Das ist für jedes Unternehmen eine große Herausforderung, nicht nur im Personalabbau und Schließen von Standorten, sondern im Umstellen des ganzen Konzerns. Wenn ich das mit einer Bäckerei vergleichen darf: Sie sperren um sieben Uhr auf und um 7:10 sind alle frischen Handsemmeln ausverkauft, weil die Kunden zu ihnen kommen. Und dann haben sie eine Bäckerei, die bietet das gleiche an, aber da ist bis 11:00 noch niemand gekommen. Das ist unangenehm, sehr unangenehm. Und dann müssen Sie lernen rauszugehen und die Kunden zu akquirieren. Das war diese Umstellung für uns, die in den letzten Jahren sehr erfolgreich umgesetzt wurde.
Es gibt ab 2019 eine neue Aufteilung der Geschäftsfelder. Können Sie diese näher erläutern?
Wir haben eine Unit Wienerberger Building Solutions in Europa, wo alle Ziegel- und Betonaktivitäten enthalten sind – Dach, Wand, Fassade und Flächenbefestigung – und die performen alle uneingeschränkt gut, da gibt es keine Problemfälle.
Und wie sieht es in den einzelnen Märkten aus?
In Europa haben wir 2018 bis auf Frankreich überall stabile bis leicht wachsende Märkte gehabt. Bei der Unit „Piping Solutions“ haben wir grundsätzlich auch einen leichten Aufwärtstrend gesehen in Osteuropa, die nordischen Märkte waren stabil und leicht steigend, Österreich ist ebenfalls stabil, Niederlande leicht steigend. Und in Nordamerika, wo wir mit verschiedenen Produkten in der Fassade und auch im Rohrbereich tätig sind, haben wir ein solides Geschäft mit einem leichten Aufwärtstrend.
Piping oder Building – welcher Markt verspricht bessere Aussichten?
Wir haben gute Wachstumsraten in beiden Bereichen. Und wenn ich mir die Innovationstätigkeit der letzten Jahre anschaue, so kommen rund 25 Prozent vom Gesamtumsatz aus innovativen Produkten und Lösungen. Deshalb wachsen wir ein wenig marktunabhängig.
Wie definieren Sie Innovation – der mit Dämmstoff verfüllte Ziegel, der immer wieder als Innovation propagiert wird, ist nicht mehr wirklich neu am Markt, eher Standard, oder?
Also Standard ist er noch nicht. Aber Sie haben Recht, in Ländern wie Süddeutschland oder Österreich ist es keine Innovation mehr, in einem tschechischen oder französischen Markt jedoch schon. Oder wenn wir das Dryfix-System hernehmen: Ist in Österreich keine Innovation mehr, aber dafür in Belgien, wo wir zweistellige Wachstumsraten damit verzeichnen.
Immer wieder wurden Versuche mit Vorfertigung von Ziegelwänden unternommen. Wirklich durchgesetzt hat sich bislang noch kein System, Wienerberger startet einen neuerlichen Versuch mit einem Ziegelroboter …
Ich denke schon, dass das System Zukunft hat, weil der Markt jetzt reif ist für schnelle, effiziente und wetterunabhängige Vorfertigung. Wir haben vorhin über qualifizierte Arbeitskräfte gesprochen. Das ist ein treibender Faktor. Wenn wir als das führende Unternehmen in unserer Branche mit unserem Ziegelroboter und vorgefertigten Ziegelwand-Elementen kommen, dann treiben wir den Markt an. Die Versuche im süddeutschen Raum laufen gut und der Response ist es auch. Dabei lernen wir auch sehr viel. Das ist generell die Philosophie der Wienerberger: Wir nehmen uns ein, zwei Kernmärkte her, wo wir neue Konzepte diskutieren, im Markt ausrollen, Feedback einholen und die Produkte dann optimieren.
In der Strategie 2020 steht, Wienerberger ist Vorreiter in der Digitalisierung – was können wir uns hier erwarten? BIM-fähige Produkte, AR-Brillen, all das haben andere Unternehmen auch …
Stimmt. Es geht auch nicht immer darum der First-Mover zu sein (…) Aber natürlich läuft deutlich mehr im Hintergrund. Unter dem Stichwort „Wir gehen näher zum Endkunden“ digitalisieren wir unsere Prozesse immer stärker und stellen uns noch effizienter auf. Da sind wir mitten drin in einer langen Reise.
Heimo Scheuch
ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender der Wienerberger AG. Seine Karriere im Unternehmen startete Scheuch 1996 als Assistent des Vorstands. Ein Jahr später wechselte er in das Senior Management von Terca Bricks in Belgien, 1999 wurde er ihr CEO. 2001 wurde Heimo Scheuch Mitglied des Vorstands der Wienerberger AG.