Kraisbau
Billigste industrielle Massenfertigung bei gleichzeitig exponentiell steigenden Kosten für menschliche Arbeit haben der linearen Wirtschaftsform zum Durchbruch verholfen. Wertvolle Rohstoffe werden aus dem Boden geholt, zu kurzlebigen Gütern verarbeitet, in großen Mengen verbraucht und deponiert, weil sich Reparaturen nicht lohnen und dem Wirtschaftswachstum im Wege stehen. Das ist das Wirtschaftsmodell der letzten Jahrzehnte. Jetzt muss dieses Modell der Kreislaufwirtschaft weichen.
Seit 2019 versucht die europäische Kommission jedoch den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen nachzukommen und Wege zu finden, um zur Kreislaufwirtschaft zurückzukehren. Der europäische Green Deal umfasst neben der zentralen Ökodesignverordnung etwa zwei Dutzend kohärent formulierte Gesetzestexte, die alle dieselben Ziele verfolgen:
>> Längere Nutzung und Reparaturfähigkeit
>> Wiederverwendbarkeit der Bauteile und Materialien
>> Reduktion von Emission und Ressourcenverschwendung
>> Reduzierung der Rohstoffabhängigkeit und Erpressbarkeit
>> Schutz der Biodiversität und Menschenrechte
Aus Sicht der Ökodesignverordnung ist der ungünstigste Fall das Recycling – Deponie kommt als Option gar nicht mehr vor. Produkte sollen wieder reparierbar langfristig genutzt werden, und dann in anderen Produkten hochwertig wiederverwendet werden.
Bauwerke sind komplexer als Glasflaschen
Während die Wiederverwendung bei einfachen Produkten aus homogenen Materialzusammensetzungen wie etwa Glasflaschen problemlos umgesetzt werden kann, stellt sich dies bei Bauwerken deutlich schwieriger dar. Wo sind welche Materialien in welcher Menge und mit welchen Eigenschaften im Gebäude verbaut, wie kann man sie von anderen Materialien trennen und welche gesundheitlichen Gefahren müssen berücksichtigt werden?
Der Baustoffsektor hatte zwar stets eine teilweise Kreislaufkomponente – so ist die Wiederverwendung von Abbruch und Rückbaumaterialien Teil des Bauwesens – jedoch bisher überwiegend im Sinne des „downcyclings“ – also der Wiederverwendung in weniger wertigen Einsatzfeldern als das Ausgangsprodukt. Beispielsweise von der Dämmplatte zum Unterlagsmaterial oder vom Betonabbruch zum Hinterfüllmaterial. Die künftig erforderliche konsequente Nutzung von Rückbaumaterial als Sekundärrohstoff erfordert völlig neue Logistik- und Bereitstellungsdienstleistungen, die auch als neues Betätigungsfeld des Baustoffhandels in Frage kommen.
Der Kraisbau-Ansatz für die Kreislaufwirtschaft
Hier kommt „Kraisbau“ ins Spiel: Das BMK-Leitprojekt „Kraisbau – Entwicklung von KI-Werkzeugen für eine Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft entlang des Lebenszyklus von Gebäuden“ ist eine Kollaboration von 35 Partnern zur Realisierung einer nachhaltigen und zirkulären Bauwirtschaft. Das Projekt fokussiert auf die Entwicklung und Implementierung KI-gestützter Lösungen im zirkulären Bauen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Dass hier Großes geplant ist, lässt sich auch aus der mit vier Millionen Euro höchstmöglichen Fördersumme ableiten. Projektleiterin Anna-Vera Deinhammer (Circular Economy Forum Austria): „Wir sind sozusagen die Speerspitze des zirkulären Bauens in Österreich.“ Deinhammer baute bereits als Projektkoordinatorin für Kreislaufwirtschaft im Bauwesen bei der Stadt Wien umfangreiche Expertise auf, unter anderem war sie auch Programmleiterin des DoTank Circular City Wien 2020-2030: „Das große Versprechen, das mein Konsortium bei Kraisbau gegeben hat, ist, dass wir auch das dazugehörige Ökosystem für das zirkuläre Bauen in Österreich aufbauen. Hier muss man entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Projektentwicklung, Bau, Facility Management und Rückbau kulturell ein paar Krusten aufbrechen – das ist praktisch das Umbrella-Ziel und auch der Grund, warum wir so viele Projektpartner haben. Es gilt, die Anschlussstellen finden und zu schauen, wie diese verschoben werden müssen, damit wir in die Zirkularität kommen. Das ist die große Herausforderung.“
Das Projekt umfasst Factfinding und Proof-of-Concepts (PoCs) anhand von etwa 25 realen Gebäuden, die rückgebaut, saniert oder neu gebaut werden. Die Verfügbarkeit von Sekundär-Bauprodukten wird durch Vernetzung mit Baustoffdatenbanken erhöht. Die Nutzungsphase von Gebäuden wird durch die Integration biologischer Kreisläufe und innovativer Dienstleistungen optimiert. Kraisbau strebt systemische Innovationen im Hochbau an. Das Projekt analysiert und passt rechtliche sowie steuerliche Rahmenbedingungen an. „Es gibt massiv viele Hürden und dauernd wird erklärt, warum Kreislaufwirtschaft nicht geht. Mit unserem Wissenspool gehen wir in die Praxisprojekte und schauen, welche Hürden tatsächlich da sind – vor allem, was die Gesetzgebung betrifft, die gehen wir als erstes an. Derzeit werden mit Einsatz von Big Data die Richtlinien „gescannt“, um zu schauen, wo sich die Gesetzgebung z.B. widerspricht oder wo Hindernisse lauern.
Mit klassischer integraler Prozessanalyse werden Datenstromauswertungen aus der Grundlagenforschung von TU Wien und TU Graz mit den Ingenieurauswertungen verknüpft. Das heißt wir evaluieren immer alle Perspektiven für die jeweilige Planungsphase des Gebäudes an. Soll heißen: Wenn wir uns eine Sanierung anschauen, dann nicht nur hinsichtlich der technischen Komponenten, sondern immer auch die juristische Ebene und die Grundlagenforschung. Das alles wird übergeleitet in die Verfahrenstechnik. Wir wollen Verfahren für Rückbau, Sammlung von Sekundärmaterialien, und Aufbereitung der Materialernte entwickeln, sodass wir daraus Geschäftsmodelle entwickeln können. Soweit bin ich schon Pragmatikerin, dass ich weiß: Nur weil was technisch geht und rechtlich möglich ist, heißt das noch nicht, dass man damit Geld verdienen kann.“
Neue Kreislauf-Standards schaffen
Der Kraisbau-Ansatz fokussiert auf die Schaffung und Umsetzung von Standards für eine zirkuläre Bauwirtschaft. Die Datenverfügbarkeit wird durch die Erhebung und Modellierung von Daten zum Gebäudebestand unter Nutzung von Satelliten- und Geodaten gewährleistet. Die Nutzungsflexibilität von Bestandsgebäuden wird durch Automatisierungsunterstützung für eine Variantenplanung für hinsichtlich Umnutzung und Sanierung basierend auf umfassenden Bestandsanalysen verbessert.
Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Optimierung der Wieder- bzw. Weiterverwendung von Bauelementen, bei der Daten zur Baustoffdegradation erhoben und KI-Technologien eingesetzt werden. Künstliche Intelligenz spielt eine Schlüsselrolle, indem sie die besten Recyclingmethoden für Baumaterialien analysiert und neue Anwendungsfelder entwickelt. Die Lebenszyklusbetrachtung umfasst die Bewertung der Ökobilanz von Gebäuden und die Implementierung präventiver Instandhaltungsmaßnahmen, die ebenfalls durch KI unterstützt werden. Apropos Lebenszyklus: Es gibt aber auch Aspekte, wo es keinen Sinn macht, sich Gedanken über Kreisläufe nachzudenken, etwa bei der Tragkonstruktion eines Gebäudes, das 100 Jahre stehen wird. „Damit brauchen wir uns nicht aufhalten, diese Baustoffe müssen nicht zirkulär sein.“
Die Analyse von Vorschriften und rechtlichen Rahmenbedingungen deckt Hebel aber auch Schranken für die Kreislaufwirtschaft auf. Schließlich werden zirkuläre Lösungen in realen Demonstratoren umgesetzt und bzgl. Praxistauglichkeit evaluiert. Deinhammer: „Ich will keine Steuergelder für Projekte verwenden, die keinen Impact haben. Im besten Fall wird aus einem Förder-Euro zwei Euro in Form von Green jobs.“ KI unterstützt den Prozess der Evaluierung durch die Automatisierung der Datenerfassung und -verarbeitung, die Modellierung und Simulation sowie die Optimierung von Bau- und Recyclingprozessen.
Die KI-Komponente
Verschiedene KI-Innovationen spielen bei Kraisbau eine zentrale Rolle. Dazu gehören bildgebende Methoden und Technologien wie Infrarot und Bodenradar zur Elementerfassung und -erkennung sowie die Raumdatenableitung durch Machine/Deep Learning zur Datenvervollständigung. Zudem wird die BIM-Modellierung aus Punktwolken, Laserscandaten und thermischen Bildern genutzt.
Weitere KI-basierte Maßnahmen umfassen die Identifikation und automatisierte Planung von Flexibilitätsparametern, was die Nutzungsflexibilität erhöht und Renovierungsvorschläge ermöglicht. Effizienzsteigerungen beim Recycling von Baumaterialien entstehen durch das Matching von Bauabfällen mit passenden Aufbereitungsanlagen. Energiemodelle werden erstellt, treiben Optimierung und Dekarbonisierung voran. Die KI-gestützte Erfassung und das Matching von Bauteilen ermöglicht das Re-Use von Sekundärbauteilen.
Zusätzlich werden Geodaten verwendet, identifizieren Lagerflächen und Nachverdichtungspotenziale. Die Vernetzung der Recyclingwege mit potenziellen Käufern optimiert die Logistik. Präventive Instandhaltungsmaßnahmen werden definiert und getestet, Gebäude werden evaluiert, ermöglicht so eine belastbare Bewertung von Maßnahmen und ESG-Kriterien.
Die gewonnenen Erkenntnisse werden durch Factsheets, Roadmaps und Schulungen in der Branche ausgerollt, mit dem Auftrag, skalierbare und effiziente Ansätze für den Gebäudebestand zu etablieren.
Das Potenzial strukturierter Daten nutzen
Das Leitprojekt Kraisbau verfolgt einen interdisziplinären Ansatz sowohl auf der Ebene der Stoffströme und möglichen Verwertungswege in der Realität als auch auf der Ebene des digitalen Abbildes dieser Potenziale. Dazu bringen sich verschiedene Mitglieder von Kraisbau in der Weiterentwicklung von Datensystemen und Software ebenso ein wie in der Gestaltung neuartiger Geschäfts- und Dienstleistungsmodelle und insbesondere auch der europäischen Standardisierung des digitalen Produktpasses als zentralem strukturierten Datenträger entsprechend den Vorschriften der neuen Ökodesign-Verordnung der EU.
Otto Handle von Projektpartner Inndata Datentechnik erklärt: „Strukturierte Daten sind interpretierbar. Im Gegensatz zu beispielsweise PDF-Dateien sind strukturierte Daten unmittelbar mit Programmen auswertbar, weil ihre Datenelemente eindeutig in ihrer Position und Bedeutung definiert sind. Das können Tabellen, XML- oder JSON-Datensätze oder auch digitale Gebäudemodelle sein. Das wahre Potenzial eröffnet sich, wenn man verschiedene strukturierte Daten miteinander verbindet, um daraus Auswertungen zu generieren – was Computer bekanntlich wunderbar können.“
Bezogen auf das Bauwesen drängt sich hier auf, das dreidimensionale objektorientierte Gebäudemodell – Stichwort BIM – mit den zu verwendenden oder verwendeten Materialien bzw. Produkten sowie ihren Eigenschaften zu verknüpfen. Handle: „Ein laufend aktualisiertes Gebäudemodell verknüpft mit belastbaren Daten ermöglicht Auswertungen aller Art in Sekundenschnelle.“ Daraus lassen sich jene Fragen beantworten, die für den Stoffkreislauf evident sind: Wieviel eines bestimmten Materials ist im Gebäude vorhanden? Wo? Welche Wertstoffe lassen sich daraus beim Rückbau generieren? Wie ist es um die Trennbarkeit bestellt? Und bestehen Gesundheitsgefahren? Wofür kann man das Material verwenden? Wie kommt es wieder in den Wertstoffkreislauf? Wer kann es im Produktionsprozess als Rohstoff einsetzen? Wie hoch ist der erzielbare ökonomische und ökologische Wert? „Alle diese Werte sind auf Knopfdruck auswertbar. Aber nur, wenn strukturierte Daten vorhanden sind und miteinander verknüpft werden“, so Handle.
Zu erwartende Ergebnisse
Ein wesentliches Ziel von Kraisbau ist die Vernetzung der österreichischen Baucommunity, wodurch die zirkuläre Bauwende in Österreich vorangetrieben werden soll. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und die Weiterentwicklung digitaler Tools werden Kreislaufführung ermöglicht, Effizienz gesteigert und Einsparpotenziale identifiziert. Deinhammer: „Am Ende sollen Optimierungspotentiale von Bauelementen sowie Roh- und Baustoffen hinsichtlich ihrer Zerlegbarkeit und Recyclierbarkeit identifiziert sein, wodurch deren Lebensdauer erhöht werden soll. Der gesamte Lebenszyklus von Gebäuden und deren Ressourcen wird erfasst und entsprechende Optimierungsmaßnahmen implementiert.“
Handle ergänzt: „Kraisbau leistet somit einen Beitrag zur standardisierten, automatisierten Datenerhebung und Datenflüssen in der Bauwirtschaft. Maßnahmen zur Transformation hin zu einer gelebten Kreislaufwirtschaft in der Baubranche werden identifiziert und damit beschleunigt.“
Schließlich macht Kraisbau die Ergebnisse und Erkenntnisse des Projekts durch Factsheets und Schulungen für die gesamte Branche zugänglich, fördert somit die Verbreitung des Wissens und unterstützt die Umsetzung der erarbeiteten Lösungen.
Mehr Informationen: Kraisbau
35 Konsortiumpartner
alchemia-nova research & innovation gemeinnützige GmbH
Architekten Tillner & Willinger
Architekturbüro einszueins
BABEG - Kärntner Betriebsansiedlungs- und Beteiligungsgesellschaft m.b.H.
BFAxKLK (co. BÜRO KLK OG)
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Circular Economy Forum Austria
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cloud NYNE GmbH
Delta Projektconsult GmbH
Digital findet Stadt GmbH
ecoplus Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich
einszueins architektur ZT GMBH
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GeoVille
Grünstattgrau
inndata Datentechnik GmbH
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Institut für industrielle Ökologie
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