
Quartiersentwicklung Otto Wagner Areal: Damit Jugendstil nicht alt wird
Manchmal kann sich eine herbe Enttäuschung auch als Segen erweisen. Als 2022 die Central European University (ECU) für die Stadt Wien überraschend entschied, doch nicht im Otto Wagner Areal einzuziehen, war die Frustration entsprechend groß. Immerhin hatte man für diese Quartiersentwicklung dafür zwei Jahre intensiv geplant, unter anderem waren finanzielle Gründe für die Absage ausschlaggebend.
Doch das Innehalten hat eine neue Betrachtung ermöglicht, die einen größeren Wurf ermöglichte, wie Heribert Fruhauf im Gespräch mit a3BAU offenbart. Gemeinsam mit Manuela Moser-Ritzinger hat der Ingenieur die Geschäftsführung der Otto Wagner Areal Revitalisierung GmbH (OWA-Wien) inne, die speziell für die Modernisierung des Areals geschaffen wurde. Als Tochter der WSE Wiener Standortentwicklung GmbH steht sie in engem Austausch mit der Wien Holding. Man baut schließlich für die Zukunft der Stadt.

Die Kompetenzen der WSE liegen in der Entwicklung von Bildungsinfrastruktur, von Wohnraum und Gewerbeflächen, von Sportstätten sowie von Kultureinrichtungen. Sie wurde bereits 2001 für die Entwicklung, Umsetzung und Verwaltung wichtiger Immobilien- und Stadtentwicklungsprojekte gegründet. Mit den unter ihrem Dach gebündelten Gesellschaften ist sie in der Projektentwicklung, im Bauprojektmanagement und im Liegenschaftsmanagement tätig und somit von zentraler Bedeutung für ambitionierte Stadtentwicklungsvorhaben. Immerhin zeugen die von Otto Wagner entworfenen Pavillons ebenso wie das Mahnmal, das Theater und die Kirche von einer architektonischen Glanzperiode der Stadt. Neben der Klinik Penzing, dem vormaligen Otto-Wagner-Spital, war es jedoch über viele Jahre allzu still.

Wie lassen sich diese Prunkbauten in eine zeitgemäße Nutzung verwandeln? Dieser Frage geht man seit dem Mediationsverfahren 2012/2013 intensiv nach – insbesondere nach dem Absprung der CEU kam 2023 sprichwörtlich und auch buchstäblich neue Energie in die Thematik. Denn das Areal ist zwar am Fernwärmenetz angeschlossen, die 2019 von der Kommission der EU ins Leben gerufene „New European Bauhaus“-Initiative empfiehlt für Areale dieser Größe selbst eine energiepolitische Pionierfunktion. So sieht das neue Nutzungskonzept etwa einen Mix aus Geothermie, PV-Anlagen, Begrünungen, Betonkernaktivierung sowie ressourcenbewussten Materialeinsatz vor. Die Fernwärme bleibt zur Spitzenlastabdeckung aber mit an Bord.
Moderne Quartiersentwicklung: Die Erde wärmt und kühlt zugleich
„In einem Jahr beginnen wir mit den Erdsonden. Wir rechnen aktuell mit rund 500 Sonden, die jeweils 150 Meter tief in den Boden getrieben werden“, skizziert Fruhauf die geothermische Planung. Die Umsetzung erfolgt stufenweise. Die vielen Freiräume zwischen den Gebäuden schaffen eine leichtere Implementierung erneuerbarer Energiequellen, als dies etwa im dicht verbauten Innenstadtbereich möglich ist. Obwohl die Pavillons strengen Denkmalschutzauflagen unterliegen, hat man mit dem Bundesdenkmalamt offenbar einen Spielraum für die Adaption arrangiert. „Wir können die Jugendstilfassaden natürlich nicht mit Dämmplatten überziehen“, führt Fruhauf aus. „Allerdings gibt es eine Sockelsanierung. Die erdberührten Teile werden trockengelegt und auch entsprechend gedämmt. Die Fenster werden thermisch ertüchtigt und in den obersten Geschossdecken erfolgt ebenso eine effiziente Dämmung. Ferner ist an eine extensive Begrünung gedacht, die wartungsarm ist und ganzjährig positive Anreize für die Luftqualität setzt. Auf den begrünten Dachflächen ist die Verankerung der PV-Module eingearbeitet, darauf werden die Paneele montiert.“

Eine Innendämmung der Gebäude wäre denkmalschutzverträglich, ist jedoch aufgrund des bescheidenen Wirkungsgrades und anderer Gründe nicht vorgesehen. Dafür soll je nach Gebäudetypus eine Bauteilaktivierung über Boden, Wände und Decken für angenehme raumklimatische Verhältnisse und geringe Emissionen sorgen. Die konkrete Ausführung hängt aber selbstverständlich von der jeweiligen Gebäudenutzung und vom jeweiligen Nutzungsgrad ab. Sukzessive reduziert das Areal den Fernwärme-Anteil und entwickelt sich hin zur Energieautarkie, die wesentlich ist fürs Konzept des „New European Bauhaus“.
Das passt fundamental zu den ambitionierten Klimazielen der Stadt Wien und versteht sich für Gebäude von öffentlichem Interesse wohl in Zukunft von selbst. Abgesehen von Modernisierungsmaßnahmen im medizinischen Teil der Anlage ist das Areal seit seiner Eröffnung 1907 kaum saniert worden. Das ist auch an der Infrastruktur zu erkennen. Eine der ersten Maßnahmen war etwa die 2024 begonnene denkmalpflegerisch vorgeschriebene Sanierung der Außenmauern sowie der Tor- und Zaunelemente.
Wie groß das Areal ist, beweist allein eine Auflistung der jeweiligen Flächen: Das Projektareal für die Neugestaltung umfasst 272.000 Quadratmeter, dazu zählen 34 Gebäude exklusive der Otto-Wagner-Kirche. Die weiteren Areale weisen ebenfalls statt- »
liche Ausmaße auf: das Wirtschaftsareal beträgt 93.000, die Klinik Penzing 160.000 und das Erholungsgebiet Steinhof 451.000 Quadratmeter. Zu den entsprechend langen Außenmauern kommen Abwasserkanäle und Wasserleitungen sowie weitere Modernisierungen – schließlich gilt es, das Gelände auch kommunikationstechnisch up to date zu bringen. Immerhin erfordern die flexiblen Nutzungen möglichst vielseitige Bespielungen. In den kommenden Jahren stehen schrittweise die Außenhüllen sämtlicher Pavillons und Funktionsgebäude an. Zu den wegweisenden Qualitäten zählen auch die grundsätzlichen Leitlinien, die bei WSE-Projekten beherzigt werden: Dazu gehören etwa Wärmerückgewinnung oder hocheffiziente und emissionsarme Belüftungsanlagen.
Koordination von Stakeholdern
Zum Gebäudeensemble gehört gewissermaßen auch ein Ensemble an Projektbeteiligten, denn die OWA-GmbH steht ferner in engem Kontakt mit der Urban Innovation Vienna (UIV). Naheliegend ist, dass auch die TU Wien ihre Expertise einbringt, und zwar konkret in Form der Kooperation mit dem Institut für Hoch- und Industriebau, insbesondere dem Department für Gebäudeerhaltung.
Ein Denkmal ist die Anlage aber auch in anderer, sehr schmerzvoller Hinsicht. Im Pavillon 15 lief während des nationalsozialistischen Regimes ein Euthanasie-Programm. Die euphemistisch genannte „Fürsorgeanstalt am Spiegelgrund“ quälte und tötete fast 800 an geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen leidende Kinder und Jugendliche. Viele weitere Menschen starben infolge von gezielter Mangelernährung und durch Deportation in Konzentrationslager. Dieser schrecklichen Zeit wird in Form einer Kunstintervention mit einem Teddybären vor einer bronzenen Tafel mit den zehn Geboten gedacht.
Einer der beiden ersten Mieter des Areals soll das Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstands (DÖW) werden, das sich seit Jahrzehnten verdient macht, die Gräuel des NS-Terrors aufzuarbeiten. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der österreichischen Geschichte scheint deshalb auf diesem Areal prädestiniert. „Diese historische Dimension des Otto Wagner Areals ermöglicht zwei gegensätzliche Positionen: Entweder ich lasse diese Geschichte so bestehen und bleibe damit im Nachhall dieser oder wir setzen neue Impulse und gehen aktiv mit diesem belasteten Standort um und befassen uns verantwortungsvoll damit“, erklärt Fruhauf. „Wir denken, dass wir das Areal so in eine neue und auch positive Zukunft führen und respektvoll mit der Vergangenheit umgehen.“
Der zweite fixe Mieter stärkt den Kunst- und Kulturstandort Wien, denn ab 2027 werden im Pavillon 18 – Atelierhaus Wien – Wiener Künstler und ein internationales Artists-in-Residence-Programm einziehen. Die Fläche von 3.500 Quadratmeter, verteilt auf vier Geschosse, erlaubt großzügige Ateliers und Arbeitsräume. Workshop- und Sound-Art-Räume lassen multidisziplinäre Kooperationen zu. In Summe sollen bis zu 100 Künstler hier gestaltend mit der Wirklichkeit umgehen. Die Sanierung dieses Hauses beginnt in diesen Tagen.
Die beiden Mieter lassen schon ein Bild erahnen, welche Mischnutzung im neuen Otto Wagner Areal angestrebt wird. Es sind Bildung, Kunst- und Kultur sowie Erlebnisse aller Art.
Kluge Aufbauarbeit nötig
Eine Maßnahme, das beschauliche Areal beständig zu vitalisieren, sind Zwischennutzungen. Bereits heute kann man auf einige öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zurückblicken, etwa die Contemporary Art Messe „Parallel Vienna“, die im September 2024 hier zum zweiten Mal gastierte und über 20.000 Besucher anlockte. Im Monat davor sorgte das Kammermusikfestival für Zustrom und gerade eben gibt es ein Stationentheater sowie Vorbereitungen für Aufführungen der Oper „Cachafaz“. Auch sportliche Impulse setzen Aktivitäten am OWA. Im vergangenen November unterstützte der „Movemberlauf“ die Sichtbarkeit des Themas „Männergesundheit“ und im kommenden Sommer laden zahlreiche Outdoor-Beschäftigungen dazu ein, sich im Erholungsgebiet zu stärken.
„Wir erkennen allmählich eine Änderung in der Wahrnehmung des Areals“, ist Fruhauf zuversichtlich. „Lange hatte man hier einzig und allein die Assoziation des Spitalsgeländes, aber jetzt ist immer öfter zu hören, ‚hey, da oben entsteht wirklich etwas Neues‘.“
Eine Zwischennutzung kann sich übrigens auch durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken – wie das Beispiel der Zusammenarbeit mit der Caritas belegt – und nicht nur über wenige Tage oder Wochen. „Im Zuge unserer Ideenfindung sind wir zu drei Nutzungskonzepten gelangt, der Zwischennutzung, der Pioniernutzung und der langfristigen Nutzung“, erklärt der studierte Raumplaner Fruhauf. „Die Pioniernutzung kann sich durchaus auch aus einer Zwischennutzung ergeben. Hier sind Partner gefragt, die sich etwas trauen und eine Siedlerfunktion einnehmen. Logischerweise ist das Ziel eine langfristige und verlässliche Zusammenarbeit.“ Das Wesen des Pioniers ist es, neue Areale zu prägen und andere zu ermutigen, es ihnen gleich zu tun. Das gilt für Länder genauso wie für Stadtentwicklungsgebiete.
Die Voraussetzung für diese Langfristigkeit ist selbstverständlich die kontinuierliche Sanierung des gesamten Gebiets. „Wir hoffen ferner, dass wir zeitnah einen Ankermieter finden, der mehrere Gebäude nutzen möchte“, stellt Fruhauf eine weitere vielversprechende Kooperation in Aussicht. Auf Rückfrage, um wen es sich handelt, betont Fruhauf, dass er die Bezeichnung „Anker“ mit gutem Grund gewählt habe. Ein Areal dieser Größe braucht nicht nur eine technisch hochwertige Infrastruktur, sondern auch eine gute Versorgung mit Gastronomie und Freizeiteinrichtungen. Angesichts seiner Ausdehnung wird ein belebtes und gut genutztes Otto Wagner Areal über den Bezirk hinaus anziehend sein. Die „Grätzl“-Visionen der Stadt Wien haben jedenfalls kaum ein attraktiveres Umfeld in den Außenbezirken zur spielerischen Neuausrichtung zur Verfügung, als es dieses Terrain bietet. ■
Webtipps
https://www.owa-wien.at
https://wse.at
https://urbaninnovation.at