"Der digitale Zwilling ist die Zukunft"
a3BAU: Mit der Drohnentechnologie ist in die Vermessungsbranche viel Bewegung gekommen. Gut oder schlecht fürs Geschäft?
Oberzaucher: Die Branche ist derzeit sehr disruptiv. Das hat aber weniger mit den Vermessungskollegen zu tun, sondern es treten fachfremde Anbieter mit neuen Technologien in den Markt. Gerade im Bereich der Drohnen sind kaum Vermesser, sondern Maschinenbauer oder Mechatroniker am Werk. Es ist derzeit jedenfalls recht spannend.
Von den Innovationen kann man aber auch als Branchen-Leader profitieren, oder nicht?
Oberzaucher: Auf der einen Seite führen diese Innovationen immer wieder zu neuen technischen Hilfsmitteln. Auf der anderen Seite verfügen diese Anbieter nicht immer über das entsprechende Know-how, treten aber dennoch am Markt auf und nehmen Geschäft weg. Die Vermessung ist ja nicht umsonst ein Studium, bei dem man fünf Jahre an die Uni geht. Wirklich erfolgversprechend halte ich jene Spin-offs, die in Kooperationen mit etablierten Vermessungsbüros gehen. Bei der Firma NavVis, ein Spin-off der TU München, wo der Trolley entwickelt wurde, haben wir zunächst in einem Projekt etwas gemappt. Nach einem dreiviertel Jahr haben wir uns zum Kauf entschieden. Das war der Beginn der gemeinsamen Entwicklung eines Vermessungssystems. Nach zwei Jahren können wir jetzt behaupten, dass Kunden aus unseren Daten ein 3D-Modell bauen können. Der Trolley kartiert in kürzester Zeit die Umgebung mittels Laserscanner. Gleichzeitig liefern Kameras ein dichtes Netz hochauflösender 360-Grad-Fotografien des Innenraums. Ein IndoorViewer ermöglicht das Umschauen im Gebäude, Wegfindung, die Interaktion mit beliebig hinterlegten Points of Interest, wo Video- und Audiodateien eingespielt werden können, sowie präzise Punkt-zu-Punkt-Messungen.
Wie wichtig ist Kollaboration in Ihrem Bereich?
Schubert: Das Arbeiten in Teams, wo jeder seine speziellen Fähigkeiten einbringt, ist sehr sinnvoll. Wir kommen aus der Vermessung und haben von der Bautechnik weniger Ahnung. Bauingenieure und Architekten wissen genau, was für die weitere Bearbeitung gebraucht wird, haben aber wiederum weniger Ahnung von der Fehlerfortpflanzung. Wenn ich mit dem Trolley durch ein Gebäude fahre, die Werte aber nicht mit hochgenauen Fixpunkten absichere, kann es passieren, dass ein Gebäude in den Ecken um ein paar Dezimeter auseinanderläuft.
Sie haben vorhin von Anbietern gesprochen, die nicht vom Fach sind – welche Leistungen bieten die an?
Oberzaucher: Die Anbieter treten beispielsweise als Drohneninspektionsfirmen auf und liefern Bilder von schwer zugänglichen Orten, von Windrädern oder Brücken. Gleichzeitig bieten sie aber auch die Vermessung an, weil man aus den Bildern der Drohnen leicht Punktwolken rechnen kann.
Wie ist es rechtlich, wenn diese Firmen nicht über die entsprechende Qualifikation verfügen und es später zu Rechtsstreitigkeiten aufgrund falscher Unterlagen kommt?
Oberzaucher: Einige Anbieter sind mittlerweile Kooperationen mit befugten Firmen eingegangen, vielleicht auch, weil sie schon das eine oder andere Mal auf die Nase gefallen sind.
Schubert: Wir sind nicht nur einmal aufgerufen worden, im Zusammenhang mit Schadenersatzansprüchen die Ergebnisse von solchen Anbietern zu überprüfen.
Wer haftet für den (Folge-)Schaden, wenn mit ungenauen oder falschen Plänen Bauwerke errichtet werden?
Schubert: Die Baufirma wird sich an denjenigen halten, der die falschen Pläne geliefert hat, oder an den Auftraggeber, der diese Pläne beigestellt hat. Das ist ausjudiziert. Viele Auftragnehmer wissen es nicht besser oder trauen sich dem Auftraggeber gegenüber nicht zu sagen, dass die Unterlagen unbrauchbar sind, weil sie Angst haben, den Auftrag zu verlieren.
Oberzaucher: Oft merken die Auftragnehmer erst später, dass die Pläne nicht realitätsgetreu sind, dann, wenn sich etwas nicht ausgeht …
Schubert: Dann kommen ein Sachverständiger und wir ins Spiel.
Sie sind 2013 eine Zusammenarbeit mit der dibau-ZT eingegangen und treten seither als „Die BIM-Vermesser“ auf – was heißt das?
Schubert: Beide Unternehmen – also Schubert Vermessung und das Bauingenieur-Büro von Professor Edmund Bauer – waren viele Jahre in überlappenden Teilbereichen der Bestandsdokumentation tätig und sind seit 2013 gemeinsam in der Vermessung des Gebäudebestands und Erstellung von BIM 3D-Gebäudemodellen in Revit oder ArchiCAD tätig. 2016 haben wir unsere Zusammenarbeit um die Segmente IndoorMapping, IndoorViewing und IndoorNavigation erweitert. Unter dem Label „Die BIM-Vermesser“ liefern wir „As Built“-3D-Gebäudemodelle. BIM-Vermesser in einem Satz gesagt: Wir sind diejenigen, die dem Auftraggeber jenes BIM-Modell liefern, das er sofort übernehmen und mit dem er weiterplanen kann.
Oberzaucher: Durch die Zusammenführung der beiden Unternehmen können wir sowohl Vermessungs- als auch Bautechnik-Know-how in die Projekte einbringen, sozusagen: Das Beste aus zwei Welten!
Wie gehen Sie mit der Schnittstellenproblematik um?
Oberzaucher: Wir liefern unsere Modelle in dem System, das der Auftraggeber braucht – zum Beispiel Revit oder ArchiCAD. Öffentliche Auftraggeber dürfen sich hingegen in der Ausschreibungsphase nicht auf ein System festlegen. Mit der BIG haben wir gerade ein Projekt abgewickelt, bei dem wir IFC-taugliche Modelle geliefert und getestet haben, ob diese auch in ArchiCAD und Revit einspielbar sind. Da sind wir auf einem guten Weg, aber sicher noch nicht am Ende angelangt.
Schubert: Die Schnittstellenproblematik betrifft alle, weil so viele unterschiedliche Gewerke am Projekt und damit an einem gemeinsamen Modell arbeiten müssen.
Was bekommt der Kunde tatsächlich von Ihnen?
Oberzaucher: Wir klären im Vorfeld mit dem Auftraggeber ab, wie sehr wir generalisieren, und für welche Software wir die Modelle aufbereiten sollen.
Schubert: In unserer langen Berufserfahrung haben wir gelernt, dass die Architekten an der einen Stelle gewisse Details überhaupt nicht brauchen und an anderer Stelle zu wenig detailliert erfasst wurde. Die Kunst ist es, mit einem Minimum an Aufwand das Maximum an Information herauszuholen. Mit neuer Technik, wie dem NavVis-Trolley, haben wir die Möglichkeit, Pläne nicht nur in 2D zu liefern, wo man sich die dritte Dimension dazudenken muss, sondern man sieht, wie die Räume wirklich sind. Das ist eine völlig andere Qualität.
Oberzaucher: Und wirklich interessant ist es natürlich, wenn wir Informationen über Materialien, Bodenaufbauten etc., also alles, was man von außen nicht sieht, in die BIM-Modelle einbauen. Und zwar dort, wo es für den Planer wichtig ist.
Sie sind in mehreren Sparten – Kataster, Ingenieur- und Bestandsvermessung – tätig. Welcher Bereich ist der wichtigste?
Oberzaucher: Kataster- und Ingenieurvermessung sind seit jeher Grundsäulen unseres Unternehmens. Was immer mehr nachgefragt wird, ist die baubegleitende Vermessung. Dabei vermessen wir vor Projektbeginn und nach Fertigstellung des Umbaus bzw. des Neubaus, weil die meisten Gebäude nicht so gebaut werden, wie sie geplant sind. Oft werden wir zur Beweissicherung beauftragt, aber auch um frühzeitig Abweichungen vom Plan festzustellen. Letztendlich profitiert der Bauherr, weil er über die gesamte Bauzeit hinweg alle Schritte dokumentiert hat. Bei einem Umbau nehmen wir zunächst den Bestand auf, dann nimmt man die Haustechnik auf, die man später ja nicht mehr sieht, wegen abgehängter Decken beispielsweise.
Wie lange dauert normalerweise eine Bestandsaufnahme?
Oberzaucher: Wir begleiten derzeit den Bau des Technologiezentrums in der Seestadt Aspern, wo parallel ein digitaler Zwilling entsteht. Da schaffen wir die 2.000 Quadratmeter in etwa zwei Stunden. Nachdem es vier Geschosse sind, die vollständig dokumentiert werden, müssen wir aber in Summe vermutlich trotzdem 20-mal hinfahren.
Schubert: Kurz gesagt: Je komplexer die Gebäudetechnik, wie beispielsweise in Krankenhäusern, desto aufwendiger die Bestandsaufnahme.
Was kostet baubegleitende Vermessung zur Dokumentation dem Bauherren?
Schubert: Einen Bruchteil von dem, was sich der Bauherr erspart.
Oberzaucher: Wir bewegen uns da im Promillebereich von den Herstellungskosten. Wobei das der falsche Ansatz ist, eigentlich muss man die kompletten Lebenszykluskosten hernehmen, weil man ja auch nach dem Bau etwas von unseren Daten hat.
Schubert: Das Wesentliche ist, dass mit diesen Unterlagen alle Beteiligten im Dialog mit dem Bauherrn abstimmen können, was Sache ist. Oft kommt es vor, dass der Bauherr erst in der Bauphase erkennt, dass er etwas so oder so nicht wollte. Durch die plastische Darstellung kann man problematische Bereiche im Rahmen einer Baubesprechung an die Wand projizieren oder mit dem Model Checker auch abseits von BIM schon früh Kollisionen feststellen.
Wir haben vorhin von Lebenszyklus- und Betriebskosten gesprochen. Wie stark fragt die Facility-Management-Branche Vermessungsleistungen nach?
Oberzaucher: NavVis verfügt über einen IndoorViewer, mit dem Daten sowohl gehostet als auch präsentiert werden können. Es gibt einige Big Player, wie beispielsweise SAP, die dafür Anbindungen programmiert haben, weil die grafische Darstellung immer wichtiger wird. Auch Archibus, eine amerikanische CAFM-Software, hat Anknüpfungen an NavVis. Die Branche hat erkannt, dass sie für die Generation StreetView die Daten jederzeit und überall zugänglich machen muss. Mittlerweile können Sensoren direkt in den Viewer eingebunden werden, und der Nutzer kann sich zum Beispiel die Raumtemperatur anzeigen lassen, offene Kühlschranktüren schlagen Alarm und so weiter.
Schubert: Die Zukunft liegt darin, dass die Menschen Räume gestalten können, ohne dass sie vor Ort sind. Menschen wollen den Raum beherrschen. Zwischen 2025 und 2030, schätze ich, wird das gang und gäbe sein, so wie heute jeder ein Navigationsgerät im Auto hat. Die Zukunft liegt im digitalen Zwilling des Raumes, den ich optimal gestalten kann.
In welche Richtung werden die Innovationen hinsichtlich der technischen Ausstattung in der Datenaufnahme gehen?
Oberzaucher: Es geht in Richtung Massenaufnahmen und Laserscanner. Immer stärker kommen Multisensor-Plattformen mit Handscannern, die schnelles, mobiles Erfassen ermöglichen. Die Umwelt wird nicht mehr mit einzelnen, sondern mit Millionen von Punkten erfasst – und das sowohl am Boden als auch in der Luft. Die neuen Drohnen sind bereits mit Laserscannern ausgestattet. Federführend ist das Unternehmen Riegl in Horn. Wir würden uns auch wünschen, dass Endgeräte wie Tablets und Handys in unsere Systeme integriert und mittels Datenbrillen Bilder eingespielt werden. In naher Zukunft wird man mit diesen Brillen durch Räume gehen und sehen, was sich hinter den Wänden verbirgt oder sich Informationen wie Manuals hereinholen. Die Vermessungsinstrumente selbst entwickeln sich immer mehr in Richtung autonome Aufnahme. Der Trolley wird in Zukunft autonom durch das Gebäude fahren oder fliegen und die Baustelle selbstständig dokumentieren. Die Frage ist nur, wie verarbeitet man diese enorme Menge an Daten …
Schubert: Da gehören Menschen her, die das Datenmanagement beherrschen.
Oberzaucher: Das macht uns immer mehr zu Datenmanagern, die das aus den Daten herausziehen, was der Auftraggeber braucht. Da muss sich an den Unis einiges tun. Da passiert noch zu wenig in der Ausbildung.
Schubert: Wobei diese Datenmanager nicht unbedingt aus der Vermessung kommen müssen. Am ehesten sehe ich dieses Berufsbild bei den Bauingenieuren angesiedelt. Das können auch HTL-Absolventen sein, weil die eigentliche Ausbildung dafür sowieso in den Betrieben stattfindet.
Wie akquiriert man geeignetes Personal?
Schubert: Wir kooperieren viel mit Universitäten und Fachhochschulen, an der New Design University in St. Pölten finanzieren wir ein Stipendium. Wir sind auch Entwicklungspartner der HTL Krems.
Oberzaucher: Uns geht es darum, dass dort vielleicht aus den Daten, die wir liefern, ein Mehrwert generiert, neue Produkte entwickelt werden und wir von dieser Technik profitieren. Außerdem sind wir seit Jahrzehnten einer der größten Lehrlingsausbildner der Branche und bieten Studenten immer wieder gerne Berufspraktika an.
Schubert: Man muss Geld und Zeit investieren, um weiterzukommen. Nur das zu machen, was alle anderen schon können, ist zu wenig.
Wie groß ist der Gerätepark?
Oberzaucher: Wir haben rund 55 Mitarbeiter und auch ebenso viele Geräte in Verwendung. Die kosten enorm viel Geld. Aber was das größere Problem dabei ist: Man kann sich aufgrund der Schnelligkeit der technischen Entwicklungen nie sicher sein, ob das Gerät, das man gerade anschafft, in zwei Jahren überhaupt noch gebraucht wird. Das heißt heute eine große Investition und in zwei Monaten gibt es vielleicht etwas ganz Neues.