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Entwurf neue europäische Bauproduktenverordnung

Die aktuell vorgeschlagene Neufassung der Bauproduktenverordnung setzt umfangreiche Maßnahmen, um die hohen Ziele aus dem europäischen „Green Deal“ umzusetzen. Leider ist das Maßnahmenbündel, das 2025 in allen Mitgliedsstaaten Gültigkeit erlangen könnte, auch geeignet, drastische Materialpreissteigerungen bei gleichzeitig stark schrumpfendem Angebot zu verursachen. Es gilt daher die Frist zur Stellungnahme bis 12. Juli zu nützen.

Der 2016 erarbeitete Bericht an die Kommission über die Durchführung der Bauproduktenverordnung 305/2011 hat drastische Schwächen in der Umsetzung herausgefunden. Die gewünschte Harmonisierung von bauproduktbezogenen Normen findet seit 2011 kaum statt: Bisher gibt nur 12 neue harmonisierte Normen. Die Marktüberwachung erscheint der Kommission zahnlos zu sein und die neuen Ziele des Green Deal waren 2011 noch gar kein Thema.

Nach zwei Terminen zur Konsultation der Sachverständigen der Mitgliedsstaaten erfolgte eine öffentliche Konsultation um herauszufinden, ob die Bauproduktenverordnung außer Kraft gesetzt, in der derzeitigen Form belassen oder komplett überarbeitet werden soll. Obwohl der größte Anteil der befragten Interessensgruppen dafür war, die Bauproduktenverordnung unverändert in Kraft zu lassen, hat die Kommission auf Basis einer Folgenabschätzung entschieden die Bauproduktenverordnung komplett zu überarbeiten und die wesentlich strengeren Marktüberwachungsregeln der Verordnung 1020/2019 auch für den Bauproduktensektor in Anwendung zu bringen.

Der inklusive Anhang im Umfang gegenüber der aktuellen Bauproduktenverordnung fast verfünffachte Entwurf zur neuen Bauproduktenverordnung inklusive umfangreicher Erwägungsgründe liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor. Die Frist zur Stellungnahme über das EU-Portal läuft am 12. Juli 2022 ab.

Wünschenswerte Ziele

Der Entwurf ist Teil des ersten Legislativpakets zur Kreislaufwirtschaft von März 2022 zum Green Deal, welches unter anderem auch die neue Normenstrategie und die Ökodesignverordnung umfasst. Unbestritten sind die hier verfolgten Ziele zur Ökologisierung, nachhaltigen Ressourcenverwendung, langfristig nutzbarer und wiederverwend- bzw. wiederverwertbarer Produkte zeitgemäß und sinnvoll.

Kostspielige Umsetzung

Die Wahl der Mittel um diese wünschenswerten Ziele zu erreichen gibt jedoch Anlass zur kritischen Betrachtung, da sie sowohl dem Gemeinwesen als auch den Wirtschaftsakteuren umfangreiche Mehraufwendungen überbürdet, die nicht nur extrem kostspielig, sondern auch kaum mit dem verfügbaren Personal umsetzbar sind.

Erhebliche Ausweitung der betroffenen Produktbereiche

Die Formulierungen des Vorschlages lassen so gut wie keinen Produktbereich offen. Bereits die Definition der Produktbereiche im Anhang umfasst neben 32 definierten auch noch einen offenen Produktbereich der „alle davon nicht erfassten Produkte“ umfasst. Weitere Definitionen legen fest, dass grundsätzlich jedes neue oder wiederverwendete Produkt, das theoretisch für Bauwerke eingesetzt werden könnte, unter die Verordnung fällt, es wäre denn der verantwortliche Marktteilnehmer ist in der Lage zu verhindern, dass dieses Produkt als Teil von Bauwerken – und sei es nur als Dekoration – eingesetzt wird. Die vereinfachten Regeln für als Dekoration eingesetzte Produkte lindern den Schmerz nur geringfügig. Umfasst sind nicht nur Industrieprodukte, sondern auch Vorprodukte, Produkte aus 3D-Druck, wiederverwendete Bauteile und vieles andere bis hin zu Fertigteilhäusern.

Erhebliche Ausweitung der Verpflichtungen und Sanktionen der Wirtschaftsakteure

Bereits der Begriff des Wirtschaftsakteurs wird erheblich ausgeweitet und umfasst nun so gut wie jede natürliche oder juristische Person die auf gewerblicher Basis irgendwie mit der Lieferkette oder der Verwendung bzw. Wiederverwendung von Produkten zu tun hat die für Bauwerke einsetzbar sind.

Die Verpflichtungen der Wirtschaftsakteure werden erheblich erweitert und umfassen auch diverse Berichtspflichten im Falle erkannter oder vermuteter Nichtkonformität eines Produktes. Es ist ein klar formuliertes Ziel der Kommission, die Straftätigkeit wie auch die Strafhöhen erheblich zu erweitern und im Falle nicht behobener Nichtkonformität das Produkt nicht nur im Zielmarkt, sondern in der ganzen Union und „kooperierenden“ Drittstaaten vom Markt zu nehmen.

Explosion der Nachweispflichten

Bereits die Vorlage der Leistungserklärung im Anhang der Verordnung umfasst mehrere Seiten von thematischen Überschriften zu welchen Informationen detailliert zu erfassen sind. Aus den sieben wesentlichen Merkmalen der alten BPVO wurden – je nach Produktart – dreißig und mehr detailliert darzustellende Leistungsmerkmale, die mittels unabhängiger Dritter – sogenannter notifizierter Stellen – im Detail wiederholt nachzuweisen sind.

Hier sind nicht nur physikalisch feststellbare Eigenschaften nachzuweisen, sondern auch komplexere Leistungsfaktoren wie Softwarequalität, Kompatibilität mit angrenzenden Materialien und Produkten Dritter oder die Möglichkeit zur Materialtrennung im Rückbau.

Erheblicher Ausbau der zuständigen Behörden

Der Vorschlag beinhaltet einerseits die Einführung von neuen, zusätzlichen Behörden auf nationaler wie auch auf Unionsebene. Dies führt zu insgesamt über 15 unterschiedliche Behörden und behördenähnliche Dienststellen, die meisten davon in jedem der Mitgliedsstaaten. Andererseits entsteht die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, ihre Behörden wie z.B. die Marktüberwachungsbehörde oder die notifizierenden Behörden personell und infrastrukturell drastisch zu erweitern. Auch für notifizierende Stellen werden technische und personelle Mindestausstattungen vorgeschrieben.

Die jeweiligen Stellen unterliegen umfangreichen Berichtspflichten an die Kommission und müssen Mindestvorgaben erfüllen. So haben die nationalen Marktüberwachungsbehörden Mindestquoten an durchgeführten Prüfungen nachzuweisen und über die Anzahl und Höhe der verhängten Sanktionen Rechenschaft abzulegen.

Finanzierung durch Wirtschaftsakteure

„Sanktionen müssen wirkungsvoll, abschreckend und verhältnismäßig sein“ – diese Vorgabe ist klar definiert und hilfreich bei der vorgesehenen Finanzierung der neuen und erweiterten Behörden durch die sanktionierten oder auch nur geprüften Wirtschaftsakteure.

Lawineneffekte

Die umfangreichen Berichts- und Benachrichtigungspflichten der Wirtschaftsakteure und der nationalen und europäischen Behörden untereinander führen zu lawinenartiger Verbreitung vermuteter Probleme mit der Konformität von Produkten über alle Vertriebsregionen der europäischen Union und aufgrund der beabsichtigten Kooperation mit Drittstaaten auch darüber hinaus.

Da im Fall unterschiedlicher Auffassungen der nationalen Behörden über die Konformität und Anforderungen eines Produktes überwiegend die strengste Auffassung zur Anwendung kommen wird, ergibt sich potenziell faktische Zuständigkeit fast jeder einschlägigen Behörde in der Union für ein Produkt oder eine Produktart.

Ein Beispiel: So ein Vorlieferant eines Bauteiles eines Bauproduktes in einem Land der EU einer Nichtkonformität dieses Bauteiles bezichtigt wird, werden sowohl dieses Bauteil als auch alle Produkte aller Hersteller, die dieses Bauteil verwenden, zu vermutlich nicht konformen Produkten und im schlimmsten Fall nicht nur vom Markt genommen sondern auch die Öffentlichkeit unionsweit informiert.

Durchgriffsrecht der Kommission

Nicht nur aufgrund der Unzufriedenheit mit der Normungsleistung der letzten Jahre hat sich die Kommission an vielen Stellen des Dokumentes ein unmittelbares Durchgriffsrecht auf beinahe alle Themenbereiche im Wege delegierter Rechtsakte vorbehalten, die nur einer Konsultation der Sachverständigen der Mitgliedsstaaten bedürfen und unmittelbar in Kraft treten, wenn nicht Parlament oder Rat innerhalb einer kurzen Frist Einspruch erheben.

Diese Ermächtigung wird auf Basis eines Berichtes nach fünf Jahren jeweils stillschweigend um weitere fünf Jahre verlängert und ermöglicht der Kommission den Durchgriff auf so gut wie jeden Produktbereich in der Union der nur irgendwie mit dem Bauwesen zu tun hat.

Vermutete Auswirkungen

Die Maßnahmen erscheinen geeignet, die Kosten und Aufwendungen für Wirtschaftsakteure, die Bauprodukte am Unionsmarkt platzieren wollen, erheblich zu erhöhen. Die extrem angestiegenen Prüf- und Nachweispflichten sind personell sowohl unternehmens- als auch behördenseitig kaum mit ausreichend ausgebildetem Personal zu hinterlegen. Die erheblichen Einflussmöglichkeiten der Kommission untergraben zusätzlich die Rechtssicherheit. Es ist also von stark marktbeschränkenden Effekten sowie einer maßgeblichen Verteuerung des Baumaterials auszugehen.

Möglichkeit zur Stellungnahme

Bis 12. Juli 2022 ist eine Stellungnahme hier möglich:

Formular für Stellungnahmen zum Entwurf der neuen Bauproduktenverordnung finden Sie unter
https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say (Eingabe Stichwort Bauprodukte)