Wärmewende erfordert Technologie-Mix
Von etwa einer Million Wiener Haushalten werden bereits 400.000 per Definition mit klimaneutralen Energielösungen beheizt. Die verbleibenden 600.000 müssen bis 2040 auf saubere Energiequellen umgestellt werden. „Um die Wärmewende bis 2040 zu gestalten, ist es wichtig, sämtliche Stakeholder entlang der Energieversorgung mitzudenken und über den Tellerrand hinauszublicken, sich auszutauschen und offen für Neues zu sein“, betonten Matthias Gressel und Georg Pammer, Geschäftsführer der ASCR, in ihrer Begrüßung.
Hamburg verabschiedet sich von Kohle
Was für Wien „Raus aus Gas" heißt, ist für Hamburgs Fernwärme „Raus aus Kohle" - Hamburgs Stadtnetz wird heute zu großen Teilen durch Kohle versorgt. Damit einhergeht ein umfassender Ersatz der beiden Hamburger Kohleheizkraftwerke durch zwei neue modulare Erzeugerparks, die den vollständigen Kohleausstieg bis spätestens 2030 gewährleisten. So entsteht am Standort in "Tiefstack" ein Energiepark, für den das Heizkraftwerk Tiefstack auf den wahlweisen Einsatz von Erdgas oder nachhaltige, holzartige Biomasse umgestellt wird, um die Wärmeversorgung bedarfsabhängig und damit vorwiegend im Winter abzusichern. Damit profitiert Tiefstack von der bereits vorhandenen Infrastruktur. Der überwiegende Teil der Wärme von zirka 70 bis 80 Prozent wird durch klimaneutrale Wärmequellen erzeugt, darunter Abwärme aus Industrie und Müllverwertung. „Herzstück des Energieparks Tiefstack bilden zwei große Flusswärmepumpen. Sie sollen allein rund 130.000 Hamburger Haushalte klimaneutral versorgen“, rechnet Erik Sewe, Innovation und Systemplanung bei Hamburger Energiewerke, vor.
Wien schafft Grundlagen für Wärmewende
Wien beabsichtigt, bis 2040 fossile Abhängigkeiten in der Raumwärmebereitstellung zu überwinden. Wesentliche Grundlagen dazu bestehen in einem geeigneten Rechtsrahmen, einem langfristigen Finanzierungsplan, der Schaffung von gezielten Förderungen und Maßnahmen zur Qualifizierung von ausreichend Fachkräften, so Thomas Kreitmayer, Programmkoordinator „Raus aus Gas“ der Stadt Wien. Die technische Trägerrakete der Wärmewende besteht in der Fernwärme, da über diese klimafreundliche Wärme auch in historische, dicht besiedelte Stadtteile transportiert werden kann, wo umfassende Sanierungen nicht flächendeckend umsetzbar sind und daher eine Versorgung mit erneuerbaren Energien vor Ort nicht darstellbar ist. Im dichtbebauten Stadtgebiet wird Fernwärme die zukunftsfähigste Heizform sein und seit Jahren laufend ausgebaut. In weniger dicht besiedelten Bereichen und Randgegenden werden Wärmepumpenlösungen angestrebt, die neben Umweltwärme auch die Abwärme von Gewerbe und Industrie nutzen können. Das Ziel sei, bis 2025 die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, mithilfe einer effektiven Öffentlichkeitsarbeit über das Vorhaben zu informieren und Erfahrungen aus pilothaften Umsetzungen zu gewinnen. Basierend darauf soll ab 2026 der Rollout über die gesamte Stadt beginnen.
Herausforderungen auf vielen Ebenen: Von Bestandssanierung über soziale Fragestellungen bis hin zur Netzinfrastruktur
Die Dekarbonisierung einer Millionenstadt erfordert zahlreiche Schritte. Als Systembetreiber wie Siemens gehe es vor allem um die Energieverteilung und sinnvolle Nutzung der Energie. „Wir müssen uns sehr stark auf die Revitalisierung von Gebäuden fokussieren und sicherstellen, dass Gebäude effizient betrieben werden“, erklärt Gregor Glatz, Head of Siemens Niederösterreich. So habe die ASCR-Forschung gezeigt, dass bei modernen Gebäuden Softwarelösungen unter Anwendung von künstlicher Intelligenz Potenziale heben könne. Bei Bestandsobjekten liege aber der größte Hebel in der wärmegerechten Sanierung, so der Experte weiter.
Christian Bugl, Head of EHS, Ethics & Compliance, Sustainability bei Takeda, betonte, dass die größte Herausforderung in der Energiewende in der Verfügbarkeit des Stroms liegt. Der Rückgang des Gasverbrauchs wird einen gleichzeitigen Anstieg des Bedarfs an elektrischer Energie mit sich bringen. Bugl dazu: „Wir werden Energieverbünde benötigen, um so wenig Strom wie möglich zu verbrauchen.“ Standortpolitische Faktoren würden für die Energieversorgung von Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, wobei lokale Netzwerke und Energieverbünde eine entscheidende Funktion übernehmen können. Das zeigt sich auch am Bau des neuen Forschungs- und Entwicklungslabors von Takeda in aspern Seestadt. Bei diesem Gebäude wurde besonders auf Energieeffizienz und den Einsatz sauberer Energiequellen gesetzt. Dabei wird Dampf durch Prozessoptimierung so gut wie möglich vermieden und dieser Restdampf mittels Stroms erzeugt, sodass auf einen Anschluss an das Gasnetz verzichtet werden konnte. Der Standort sowie die hervorragende Infrastruktur in aspern Seestadt erfüllen diese Anforderungen in idealer Weise.
Schließlich sei auch für die Sozialbau AG nicht nur der ökologische Gedanke ein Treiber, sondern auch die gesellschaftliche Verantwortung von großer Bedeutung. „Es ist unsere soziale Verantwortung, die Menschen nicht im Stich zu lassen, insbesondere angesichts steigender Energie-Preise“, ergänzt Daniela Huber, Abteilungsleiterin der Sozialbau AG. Matthias Gressel, ASCR Geschäftsführer fasst die Herausforderungen zusammen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten. „Wir werden einen Mix verschiedener Technologien benötigen. Die Belieferung mit CO2-neutraler Energie ist der letzte Schritt einer Reihe von Maßnahmen, von denen der Ausbau der Netzinfrastruktur ein wichtiger Meilenstein ist“, erklärt Gressel.
Vor dem entspannten Netzwerkabend präsentierten Stefan Lendl, Projektleiter Energieprojekte und -konzepte bei Wien Energie, und Lukas Hammerer, Forschungsexperte bei Wien Energie, Ergebnisse aus drei Use Cases der ASCR.
Wissenstransfer von Neubau zum Bestand
Im Use Case 5b „Fußbodenkühlung“ wurden deutliche Erfolge mit einer alternativen Nutzung der Fußbodenheizung erzielt – im Rahmen des Projektes wurden ausgewählte Wohnungen durch die Fußbodentemperierung im Mittel um über 2 Grad im Sommer gekühlt. Die gewonnenen Erkenntnisse legten die Basis, dieses Wissen auch für neue Forschungsanlagen zu nutzen. Im Use Case 5a untersuchte das Team rund um Forschungsleiter Stefan Lendl die lokale Nutzung von Abwärme, also der Warmwasseraufbereitung im Haus, die regionale Nutzung – nämlich das Fernwärmenetz als Wärmestraße, und zuletzt auf saisonaler Ebene, die Geothermie als Wärmespeicher. Die Ergebnisse aus verschiedenen Lösungsansätzen im Neubau bilden ein stabiles Fundament für die Umsetzung in Bestandsgebäuden im Zuge der Wärmewende.
Dekarbonisierung möglich, intelligentes Lademanagement für E-Mobilität notwendig
Im Use Case 9 „Dekarbonisierung“ rund um Forschungsleiter Lukas Hammerer, entwickelte das ASCR-Forschungsteam ein „Bottum-up“- Modell, welches die CO2-arme Energieversorgung und ihre Wirkung auf das Niederspannungsnetz veranschaulichen soll. In fünf verschiedenen Referenzgebieten wurden die Bedingungen für die zukünftige Dekarbonisierung untersucht und anschließend auf Wien skaliert. Diese Gebiete zeichneten sich durch vielfältige Infrastrukturen aus, um sämtliche Aspekte einer Großstadt zu berücksichtigen. Sie reichten von historisch geprägten Gründerzeithäusern und Gemeindebau über gemischte Stadtteile bis hin zu dicht bebauten urbanen Gebieten sowie Wohnvierteln mit Kleingärten und Einfamilienhäusern. Die Ergebnisse zeigen: In Summe sollten Wärme- und Energiebedarf von Gebäuden sinken, beispielsweise durch Effizienzsteigerung, Sanierung und Neubau. „Elektromobilität spielt eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Dekarbonisierung. Wenn das Laden nicht intelligent gesteuert wird, führt dies zu erheblichen Anforderungen an den Netzausbau, während intelligentes Laden solche Ausbaumaßnahmen minimieren kann“, betonte Hammerer abschließend.