Gebäudeautomation Schüco a3bau
Bei Schüco werden sogar die Schiebetüren intelligent.
© Schüco

Intelligente Gebäudetechnik: Voll vernetzt

Ob Internet-of-Things, Data-Sharing oder Cloud-Lösungen – intelligente Gebäudetechnik erobert den Breitenmarkt: Offene Standards und die Bereitschaft zur Kooperation ebnen dafür den Weg. Mehrwert für den Nutzer ergibt sich aus der präzisen Analyse seiner Aktivitäten, die es möglich macht, dass Gebäude darauf reagieren. (Text: Reinhard Ebner)

Die Zukunft der Gebäudetechnik ist digital, so die Überzeugung von Nicolas Zimmer: „Geht die Gebäudeautomation den Weg in die Vernetzung, können nicht nur enorme Einsparungen erreicht werden“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Technologiestiftung Berlin. „Auch Mehrwert für die Nutzer, von bedarfsgerechter Lüftung bis zum Austausch von Wärme und Energie mit dem Nachbarn als ,Prosumer‘ wird dadurch erst möglich.“ Die präzise Nachverfolgung der Nutzeraktivitäten erlaube es dem Gebäude zudem, darauf zu reagieren. Schließlich produziere ein intelligentes Gebäude permanent wertvolle Daten. „Doch wo sind die Geschäftsmodelle, die den Mehrwert dieser Daten ausschöpfen?“, fragt Zimmer. Um die Möglichkeiten der Technologie auszuloten, arbeitete die Technologiestiftung eine Studie über „Smart Buildings im Internet der Dinge“ aus. Die Publikation wurde a3BAU exklusiv vorab zur Verfügung gestellt.

Gebäudedaten kommen im Smart Building in mehrerer Hinsicht zum Einsatz: für das Monitoring, für verstärkte Effizienz, zum Erzielen von Mehrwert (Klimaziele, Barrierefreiheit etc.) und natürlich zur Energieeinsparung. Experten gehen davon aus, dass bis zu 30 Prozent Energieeinsparung in Gebäuden möglich sind, wenn die bestehenden haustechnischen Anlagen optimiert werden. Ein Grund, weshalb Professor Christoph Kaup hier den Schlüssel der Energiewende sieht. „Die Energiewende darf nicht nur auf den Strommarkt und die Wärmedämmung begrenzt bleiben. Viel eher muss das Gebäude systemisch als Ganzes betrachtet werden“, meint der Präsident des deutschen Fachverbands Gebäude-Klima (FGK).

Woran es hapert

Die Chancen für eine Digitalisierung von Gebäuden liegen laut Anne-Caroline Erbstößer in den Bereichen Effizienz, Mehrwert und Sharing. Gerade Letzteres, das Teilen von Zustandsdaten, sei Voraussetzung für den künftigen Austausch von Strom oder Wärme in der Nachbarschaft, so die Studienautorin des Technologieinstituts.

Viele Herausforderungen sind allerdings noch zu bewältigen:

  • Eine Interoperabilität der Komponenten und Systeme ist in der Regel nicht gegeben.
  • Intelligente Gebäude sind selten und sie sind noch seltener vernetzt, was Voraussetzung fürs Sharing wäre.
  • Qualifizierte Fachkräfte, die die neue Technik einbauen und betreuen können, sind Mangelware.
  • Der Sicherheitsaspekt wird vielfach unzureichend berücksichtigt. Nutzerrollen und Zugriffsrechte sind klar zu definieren.

Anne-Caroline Erbstösser a3bau

"Der Wandel in der Gebäudeautomation ermöglicht neue Geschäftsmodelle in der Datennutzung"

ANNE-CAROLINE ERBSTÖSSER, Technologiestiftung Berlin



Gemeinsam in die Zukunft

Offene Standards, gemeinsame Plattformen und die Bereitschaft zur Kooperation scheinen unverzichtbar für die Zukunft der Gebäu- detechnik. Mit Schüco und Gira haben zwei führende Hersteller in diesem Bereich auf der Bau 2019 eine umfangreiche Zusammenarbeit vereinbart. „Gemeinsam stehen wir für das ganzheitlich integrierte Smart Building“, ist Gira-CEO Dirk Giersiepen überzeugt.

Konkret schaffen die beiden Premium-Hersteller für Architekten und Bauherren im Objektbereich und im gehobenen Wohnungsbau die Option einer holistischen Gebäudepla- nung. Gebäudehülle und Innenräume werden so von einer einzigen Plattform aus steuerbar. Die Bereiche Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit werden zu einer Einheit. Die technische Basis für die Integration der jeweiligen Systeme bildet der KNX-Standard. Im Rahmen der Zusammenarbeit nutzen die Unternehmen ihre jeweiligen Stärken: Gira steht für die intelligente Steuerung im Ge- bäude und für ein umfassendes Sortiment von Sicherheitssystem bis hin zu Schaltern und Steckdosen. Schüco ist Weltmarktführer bei Systemlösungen für das Smart Building – angefangen bei Glasfassaden und Sonnen- schutz bis zu dezentralen Lüftungslösungen.

Für Schüco-Chef Andreas Engelhardt ist klar: „Intelligente Gebäudetechnik steht kurz vor dem Durchbruch im Breitenmarkt.“ Aktuellen Untersuchungen zufolge wird sie bis 2021 allein im Wohnbereich bei rund 30 Prozent der Immobilien eingesetzt werden. In Ge- werbe- und Verwaltungsobjekten ist smarte Vernetzung bereits heute üblich.

Eine Schule wird intelligent

Ein Musterbeispiel dafür ist die „intelligente Schule“ von Hard (Vorarlberg), die mit Be- ginn des laufenden Schuljahrs neu eröffnet wurde. Das Gebäude beinhaltet eine Total Building Solution von Siemens, in der Ge- bäudetechnik, Gebäudeautomation, Brand- schutz, Sicherheit, Beleuchtung und Beschat- tung kombiniert und nahtlos miteinander verknüpft werden.

Bernhard Mager, zuständig für den Vertrieb bei Siemens Building Technologies, ist stolz auf die „Schule am See“, mit der nach nur zwei Jahren Bauzeit eine der modernsten Schulen Österreichs eröffnet wurde. Diese enthält so manches Extra, das es nirgendwo sonst gibt. Mager: „Unsere Gebäude sprechen. Nicht nur mit uns, sondern auch mit sich selbst innerhalb der Gewerke.“ Dies gilt etwa für die kommunikationsfähige Brandmeldeanlage: Wird in einer Klasse Brandalarm ausgelöst, fahren die Markisen im Gebäude hinauf, das Licht wird auf 100 Prozent Stärke erhellt, die Lüftung schaltet sich aus, der Fluchtweg wird beleuchtet und die Beschallungsanlage gibt die je nach Szenario notwendigen Anweisungen durch.

Insgesamt 6.000 Datenpunkte werden über eine standardisierte Schnittstelle gesammelt und laufen auf einer zentralen und vernetz- ten Gebäudemanagement-Plattform zusammen. Desigo CC heißt bei Siemens diese Sys- temlösung, die alle Gewerke grafisch darstellt und zentral verwaltet.

Moderne Gebäudetechnik für Mensch und Tier

Dass sich eine wirkungsvolle  Gebäudeautomation auch im Bestandsbau installieren lässt, zeigt das Beispiel der Universität für Veterinärmedizin in Wien. Den Profis von Sauter gelang das Kunststück, einen Aus- tausch der Anlagen bei laufendem Betrieb vorzunehmen. So wurden 550 ausgediente Automationsstationen durch Komponenten der modularen Systemfamilie EY-modulo 5 ersetzt. Diese basiert auf dem offenen Kommunikationsprotokoll BACnet/IP und erlaubt somit, künftig auch Drittsysteme einzubinden. „Wir sind stolz auf dieses Projekt, in dessen Rahmen wir die älteste Veterinärmedizinische Universität im deutschsprachigen Raum mit modernster Automationstechnik, die sich über 47 Gebäude erstreckt, ausstatten durften“, sagt CEO Werner Karlen.

Im Rahmen der Arbeiten, die bis Jahresende 2018 liefen, wurden zudem die Räumlichkeiten mit modernen Druck- und Feuchtereglern ausgestattet.  Neue Volumenstrom-Kompaktregler helfen dabei, die Luftzufuhr in Räumen und Labors bedarfsgerecht zu regeln und den Energieverbrauch zu optimieren. Über die Visualisierungs- und Gebäudemanage- ment-Lösung NovaPro Open sowie über 74 vernetzte Displays lassen sich sämtliche Gewerke, von der Heizung bis zur Beleuchtung, aus der Ferne überwachen und steuern.

Zur sportlichen Herausforderung geriet die Umstellung auf dem 15 Hektar großen Cam- pus aufgrund der Notwendigkeit sehr knapp bemessener Ausfallzeiten der Systeme. So sind die Veterinärmediziner in den Operationsräumen und Tierlabors aus hygienischen Gründen auf eine exakte Regelung des Über- und Unterdrucks angewiesen. Um den Wechsel vor Ort möglichst effizient vorzunehmen, vereinheitlichten und optimierten die Planer gewisse Arbeitsschritte und bauten die Automationsstationen teilweise bereits vor- gängig zusammen. Der eigentliche Umbau beschränkte sich jeweils auf wenige Stunden, der Ausfall auf Minuten.

BIM in der Planung der Gebäudeautomation

Dass die Baubranche in einem Wandel ist, ist für die Experten von Wago unüberseh- bar. Zum Tätigkeitsschwerpunkt des Unternehmens zählt der Bereich der Automatisierungstechnik, die auch in smarten Gebäuden zum Einsatz kommt. „Die Nachfrage nach intelligenten Wohn- und Zweckbauten, die eine höhere Wohn- und Lebensqualität bie- ten, steigt“, erklärt Marketingleiter Martin Morpurgo. „Künftige Funktionalitäten gehen über das Gebäude hinaus und ermöglichen die Interaktion mit den Versorgungsnetzen, um Bedarf und Angebot von regenerativen Energien zu managen.“

Mit den steigenden Anforderungen an moderne Gebäude wird eine integrale Planung ohne Software-Unterstützung schwierig – ob nun mit oder ohne Gebäudeautomation. Bei Wago hat man sich daher von Kopf bis Fuß auf BIM eingestellt. „Wir streben grundsätzlich an, Planungen nach Building Information Modeling umzusetzen“, so Christopher Thiele aus dem Wago-Projektvertrieb.

Neben BIM werden in Zukunft weitere digitale Methoden und Technologien eingesetzt, etwa Cloud Computing, Big Data oder Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung. Thiele: „Schon heute lässt sich das Gebäudemanagement mit intelligenten Steuerungen über eine sichere VPN-Verbindung aus dem Gebäude heraus in die Cloud verlagern. Über mobile Endgeräte kann dann standortunabhängig auf die Daten zugegriffen werden.“

Big Data-Intelligenz ermöglicht den nächsten Schritt: Durch die großen Datenmengen könnte beispielsweise mit Hilfe von Indikatoren vorhergesagt werden, wann der beste Zeitpunkt für die Wartung einer speziellen Anlage ist.

Auch Unternehmen sparen Energie

Das Internet der Dinge in die Praxis umgesetzt hat  Rexel mit  seiner aktuellen Power-App. „Die App ist die weltweit erste Energiemanagement-Lösung, die auf der Cloud-Platt-orm MindSphere von Siemens basiert“, erläutert Robert J. Pfarrwaller. Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Rexel Austria sieht echten Kundennutzen in der Verknüpfung der App für Betriebe mit Sensoren an den Energieverbrauchern. Unternehmensverantwortliche sehen Energieverbrauchsdaten einfach und verständlich auf Dashboards in Diagramm-Form aufbereitet und können so gezielt Energiesparmaßnahmen setzen. Da- mit ist es künftig auch möglich, Energiedaten mehrerer Standorte eines Unternehmens zu verknüpfen. Das Produkt hilft, Kosten einzusparen und gesetzliche Auflagen zu erfüllen: Laut Bundes-Energieeffizienzgesetz sind große Unternehmen verpflichtet, mindestens alle vier Jahre ein externes Energie-Audit durchzuführen. Pfarrwaller: „Durch transparente Energiedaten in der Power-App fällt der Aufwand dafür erheblich geringer aus.“

Welches Potenzial sich durch konsequentes Energie-Monitoring heben lässt, wurde am 23.000 Quadratmeter großen Zentrallager des Großhändlers im oberösterreichischen Weißkirchen demonstriert: Dank der App konnte der Stromverbrauch des größten Elektrolagers in Österreich um 15 Prozent verringert werden. Das entspricht dem Verbrauch von 40 Einfamilienhäusern. Die Überraschung dabei: Die größten Energieverbraucher waren nicht – wie erwartet – die Motoren der Maschinen, sondern Beleuchtung und Büro-IT. ■

HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

In einer Studie beschäftigt sich die Wissen- schaftlerin Anne-Caroline Erbstößer mit der digitalen Zukunft von Gebäuden. Da- raus leitet sie konkrete Empfehlungen ab:

Für Bauherren, Planer & Architekten:

» Im Bestand Planungsunterlagen „nach- digitalisieren“, zum Beispiel mit 3D-Scans.

» Prozesse nicht nur für den Einbau, sondern auch für Betrieb, Wartung und Datenzugang der Gebäudetechnik mitplanen.

» Künftige Nutzerrollen vorab festlegen.

» Bei Sanierungen smarte Technologien verbauen und Sensorik nachrüsten.

» Möglichkeiten zum Datenaustausch zwischen Gebäuden (Gateways etc.) vorbereiten.

Für Hersteller von Gebäudetechnik:

» Datenaustausch mit Datenplattformen oder Anwender-Software durch doku- mentierte Schnittstellen ermöglichen.

» Offene Standards für Interoperabilität nutzen.

» Mit zugänglichen und lesbaren Proto- kollen Vernetzung und Datenaustausch für Sharing und Prosuming ermöglichen.

» Weiterbildungen für ausführende Betriebe anbieten.

» Dokumentationen der Komponenten, verwendeten Kommunikationstechnik und Schnittstellen zugänglich machen.

Für Aus- und Weiterbildung:

» Möglichkeiten der Vernetzung für das Gebäudemanagement aufzeigen.

» Digitale Entwicklungen als Standard- elemente in den Unterricht einfließen lassen.

» Image der einschlägigen Berufsbilder verbessern.

» Fachhandwerkern durch Weiterbil- dung den Einbau und die Inbetriebnah- me smarter Komponenten erleichtern.

» Unternehmen über die Nutzung von BIM, Datenplattformen und Fernwar- tung informieren, um durch den Einsatz dieser Technologien Fachkräfte effizienter einsetzen zu können.