Zielscheibe Pfeil und Bogen
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Novelle ZT-Gesetz

Der Zorn der Ziviltechniker und Architekten über den aktuellen Entwurf zur Novelle des Ziviltechniker-Gesetzes ist berechtigt, weil der Gesetzesentwurf als Antwort auf das EuGH-Urteil im Juli weit über das Ziel schießt. Das Verfahren wäre vermutlich anders ausgegangen, wenn die Republik Österreich rechtzeitig entsprechende Argumente vorgetragen hätte.

Der Europäische Gerichtshof hat im Juli 2019 entschieden, dass die in Österreich geltenden gesetzlichen Regelungen über den Ort des satzungsgemäßen Gesellschaftssitzes, über die Rechtsform, über die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen und über die Beschränkung multidisziplinärer Tätigkeiten von Ziviltechnikergesellschaften, Patentanwaltsgesellschaften und Tierärztegesellschaften gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Die Europäische Kommission argumentierte, dass die innerstaatliche Vorschrift, die nur natürlichen Personen und berufsbefugten Ziviltechnikergesellschaften erlaubt Gesellschafter einer Ziviltechnikergesellschaft zu sein, gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoße. Durch diese Bestimmung sei es Berufsgesellschaften, die in einem anderen Land als der Republik Österreich niedergelassen sind, nicht möglich, eine Tochtergesellschaft in Österreich zu gründen. Zudem sehe das Ziviltechnikergesetz vor, dass die Mehrheit der Anteile an einer Ziviltechnikergesellschaft von Ziviltechnikern gehalten werden müsse. Auch diese Bestimmung sei diskriminierend.

"Faktum ist, dass sich die Juristen der Republik Österreich im Verfahren vor dem EuGH nicht mit Ruhm bekleckert haben."

Der EuGH ging in der Entscheidungsbegründung davon aus, dass es einem Mitgliedsstaat gestattet sei, Anforderungen an die Beteiligungen am Gesellschaftsvermögen zu stellen. Zur Rechtfertigung dieser Anforderungen müsse er sich aber auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses berufen. Er folgte zunächst der Argumentation der Republik Österreich, dass die von der Kommission beanstandeten Bestimmungen dem Ziel des Schutzes von Objektivität und Unabhängigkeit des Berufsstandes und der Sicherstellung der Dienstleistungsqualität dienten. Den Mitgliedsstaat treffe aber im Verfahren die Nachweispflicht, dass die Anforderungen zur Verwirklichung des verfolgten Ziels nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung notwendig ist.

Der EuGH stellte fest, dass die Kommission weniger restriktive Maßnahmen zur Sprache gebracht habe. Die Republik Österreich habe aber kein Vorbringen erstattet, das „dem Gerichtshof erlauben würde, zu dem Ergebnis zu gelangen, dass weniger beschneidende Maßnahmen nicht ausreichend wären, um die angeführten Ziele zu erreichen“.

Zum Verbot multidisziplinärer Gesellschaften brachte die Kommission vor, dass die Dienstleistungsrichtlinie vorsehe, dass es den Mitgliedsstaaten obliege, Anforderungen abzuschaffen, die den Dienstleistungserbringer verpflichteten, ausschließlich eine bestimmte Tätigkeit auszuüben oder die partnerschaftliche Ausübung unterschiedlicher Tätigkeiten beschränken. Die Vorschrift des Ziviltechnikergesetzes, nach der die Bildung einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht mit Gewerbetreibenden für Ziviltechnikergesellschaften nur zulässig sei, wenn die Gewerbetreibenden zu ausführenden Tätigkeiten nicht berechtigt seien, sei nicht richtlinienkonform.

Keine entsprechenden Argumente seitens der Republik Österreich vorgebracht

Die Republik Österreich machte geltend, dass die Regelung die Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Integrität des Ziviltechnikerberufes sicherstellen soll. Dazu stellte der EuGH fest: … „ Jedenfalls bringt die Republik Österreich nichts Konkretes vor, um darzutun, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen … nicht geeignet wären, die Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Integrität des Ziviltechnikerberufes sicherzustellen.“

Das Wirtschaftsministerium (Neusprech: „Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort“) hat nach dieser Schlappe beim EuGH am 29. 7. 2020 den Entwurf eines Bundesgesetzes ausgesendet, mit dem das Ziviltechnikergesetz 2019 geändert werden soll, zur Begutachtung bis 11. September 2020. Durch die Novelle sollen neue Regelungen über die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen von Ziviltechnikergesellschaften eingeführt werden. Künftig sollen nur 50 Prozent des Kapitals von Ziviltechnikergesellschaften von berufsbefugten Ziviltechnikern, Ziviltechnikergesellschaften oder interdisziplinären Ziviltechnikergesellschaften gehalten werden müssen.

Weiters soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Ziviltechniker künftig interdisziplinäre Gesellschaften mit Angehörigen anderer Berufe bilden, um andere Tätigkeiten als jene des Ziviltechnikerberufs auszuüben. Daraufhin ist ein Shitstorm ausgebrochen. Bernhard Sommer, Vizepräsident der Ziviltechniker- und Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland sagt, dass mit dieser Novelle „das Ziviltechnikerwesen obsolet“ wird und spricht von einer „hemmungslosen Durchkommerzialisierung des Berufes“.

Gesetzesentwurf schießt weit übers Ziel

Der Zorn der Ziviltechniker und Architekten ist berechtigt, weil der Gesetzesentwurf weit über das Ziel schießt. In der Kurzinformation des Wirtschaftsministeriums heißt es, dass aufgrund des EuGH-Urteils – angeblich – ein „geringer Umsetzungsspielraum“ bestehe. Das trifft in dieser Form jedoch keineswegs zu. Auch in diesem Fall betreibt Österreich – wie schon so oft in der Vergangenheit – „Gold Plating“, also die überschießende Umsetzung von Richtlinien oder EuGH-Entscheidungen.

Bei aufmerksamer Durchsicht der EuGHEntscheidung kann man leicht feststellen, dass es zu einer Verurteilung nur deshalb gekommen ist, weil „die Republik Österreich in keiner Weise erläutert hat, inwieweit die Unparteilichkeit, die Unabhängigkeit und die Integrität des Ziviltechnikerberufs infrage gestellt werden könnten, wenn es Ziviltechnikern erlaubt wäre, sich im Rahmen einer Gesellschaft mit Berufsfremden zusammenzuschließen“.

Ebenso wenig ist der Entscheidung zu entnehmen, dass Berufsfremde die Möglichkeit erhalten müssen, sich bis zu 50 Prozent an einer Ziviltechnikergesellschaft zu beteiligen, wie dies der vorliegende Entwurf vorsieht. Auch die Erläuterungen zum Gesetzesentwurf begründen mit keinem Wort, warum eine derart weitreichende Möglichkeit zur Beteiligung Berufsfremder an Ziviltechnikergesellschaft zugelassen werden soll. Wortreich dargelegt wird lediglich – inhaltlich durchaus zutreffend – warum es die Unabhängigkeit und Objektivität der Berufsausübung gefährden würde, eine Beteiligung berufsfremder Personen im Ausmaß von mehr als 50 Prozent zuzulassen. Die Erläuterungen sind daher auch widersprüchlich.

Es stellt sich daher die Frage: Warum macht das die Bundesregierung? Faktum ist, dass sich die Juristen der Republik Österreich im Verfahren vor dem EuGH nicht mit Ruhm bekleckert haben. Es ist peinlich, wenn das Gericht durchblicken lässt, dass das Verfahren vermutlich anders ausgegangen wäre, wenn die Republik Österreich entsprechende Argumente vorgetragen hätte. Viel beunruhigender wäre es aber, wenn sich hinter dieser „Schlamperei“ eine machiavellistische Methode verbergen würde. Österreich lässt sich durch den EuGH verurteilen, um dann umso leichter den Angriff auf die freien Berufe starten zu können. Derartige Versuche hat es ja schon des Öfteren gegeben. Jetzt sind es die Ziviltechniker, die Patentanwälte und die Tierärzte. Wer kommt als Nächster dran?